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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


der wohl durch den Gesang unserer schwarzen Ruderer im Schlafe, den er im dichten Uferschilfe gehalten, gestört worden, sich in’s Wasser stürzte und gegen uns anbrauste. Ich saß, nur eine leichte Vogelflinte in der Hand – denn ich war eben daran, uns ein Reiherbraten-Frühstück zu besorgen – im Schnabel des Bootes; Hagenbeck nahm den Platz am Steuer ein, ergriff aber sofort vom erwähnten Kistendeckel unsere Elephantenbüchse (Kaliber acht mit Sprengkugel), um dem „alten Knaben“ guten Morgen zu sagen. Dieser aber tauchte, wie um einen Anlauf zu nehmen, unter und rannte wie ein Sturmbock dem Boote in den Bauch, so daß ein Plankenstück von doppelter Handlänge ausbrach und unser Schifflein an der gegenüberliegenden Seite Wasser schöpfte.

Aber die Geistesgegenwart verließ uns nicht. Hagenbeck warf einen neben ihm sitzenden Negerdiener über die Flinten, die bereits angefangen zu rutschen und, einmal im Wasser liegend, sicher für immer verloren gegangen wären; ich packte einen der Ruderer, drückte ihn auf den Leck, aus dem ein Wasserstrahl einquoll, und stopfte diesen mit der nackten Seite des Entsetzten zu, ihm bedeutend, sich nicht zu rühren. Dies Alles war das Werk eines kaum bestimmbaren Zeitraumes. Unserm Angreifer schien übrigens die Nuß, die er zu knacken versucht, denn doch etwas gar hart und er fand es gerathen, im wahren Sinne des Wortes „Hals über Kopf“ auszukneifen. Dabei legte er aber sein ungeheures Hintertheil bloß, und Hagenbeck fand eben noch Zeit, an ihm mit Pulver und Blei eine gewisse Operation vorzunehmen, die in Europa gewöhnlich der Barbier verrichtet; der Patient schied, in der Eile selbst den Dank vergessend, auf Nimmerwiedersehen. Wir aber fuhren zu Land, flickten das Boot aus und zogen, noch lange lachend, weiter.

Gegen zehn Uhr Vormittags verlassen die Flußpferdheerden das Wasser und lagern auf den Schlamm- und Sandbänken, die sich in diesen von keinem Strombaumeister regulirten Flüssen allenthalben finden. Hier entwickelt sich ein liebliches Stillleben: die Alten liegen, im weichen Schlamm und Sand gebettet, in den gemüthlichsten Stellungen „dickfellig“ hier und dort und befinden sich so recht „sauwohl“, die Jungen krabbeln um ihre mächtigen Leiber herum, liegen auch saugend oder im Saugen eingeschlafen neben der Mutter oder spielen und „fechten“ mit den schon ganz respectablen Mäulchen, ihre noch nicht „gebrochenen“ Stimmen übend. Dazwischen schnarcht der tiefe Baßton des ernsten schlafenden Vaters.

Plötzlich kracht aus dem Röhricht in nächster Nähe ein Schuß. Jäher Schreck durchfährt die Heerde; einer über den andern stürzen sich die Kolosse in’s nahe Wasser, das hochaufbrausend sich über ihnen schließt. Nur eins, von einer Kugel in’s Hirn getroffen bleibt zurück. In furchtbarem Todesringen wühlt der mächtige Körper tief in dem schwarzen Schlamme; der gräuliche Rachen öffnet und schließt sich krachend; ein dumpfes Todesröcheln, ein letztes Zucken, dann liegt es verendet da, einem gestürzten Eichstamme gleich. Wenn die Flußpferdfamilie ungestört bleibt, so verweilt sie bis nahe vier Uhr Nachmittags auf der Bank, nur daß eins oder das andere einmal zum Bade geht, um die durch Trockenheit der Luft oder Sonne eingeschrumpfte „Dickhaut“ wieder etwas aufzuweichen, kehrt aber dann meist bald wieder zum weichen Schlammbette zurück. Gegen Vier nun betreten sie wieder allesammt ihren nassen Lebenspfad und wiederholen dieselben Wasserspiele wie Morgens, deren Schilderung ich oben bereits versucht habe.

Wenn die Tropensonne ihren „feurigen Ritt“ vollendet, sei es, um magischem Mondlichte oder schnell eintretender Finsterniß zu weichen, dann tritt, nachdem kaum das leise Abendzwitschern der Vögel verklungen, ein Nachtleben in seine Rechte, welches in seiner mächtigen Entfaltung zeugt von der nie ermüdenden Naturkraft in äquinoctialen Gebieten: der Aeolsharfenklang tanzender Moskitos, das Schnurren großer Grillen, das scharfe Zirpen geisterhaft segelnder Flederthiere aus der Nähe, das Kläffen der Schakale, das schaurige Grabesgeheul der Hyäne von der entfernteren Steppe, das gierige Gähnen des Leoparden und, Alles übertönend, das Commandowort des Löwen, des Königs im Reiche der Tropennacht, wirkt überwältigend und lehrt den Menschen erkennen, welch ein Schwächling er ist. Jetzt erwacht auch das Flußpferd aus dem Hinbrüten, dem es bei Tage sich ergeben. Wie Dämonen entsteigen sie dem Wasser und dem grauen, schwülen Nebel, der darauf lagert. Posaunengleich dröhnt das Brüllen, mit dem der Alte zum Sammeln ruft, durch die Finsterniß; aus Ufergebüsch, aus dichtem Schilfhorste, begleitet vom Knacken brechender Rohre, schallt ihm die Antwort der Weibchen. Geräuschlos entfernt sich die Heerde, vom Wasser durch Sumpflachen, Urwald und Grasdickicht; voran schreitet der Alte mit dem breiten Maule und der gewaltigen Brust, den Weg durch den Dschungel für die ihm folgenden Seinen bahnend. Da aber, wo das Terrain freier, bewegt sich der Troß durcheinander, das Junge zur Seite der sorgsam umherblickenden Mutter. Wo mögen sie hinziehen, die Unholde?

Ein gar seltsamer Ton schlägt mir, der ich den nächtlichen Wanderern folge, an’s staunende Ohr; stammt er aus dem Kuhhorne eines heimathlichen Hirten, oder hat ein grauses Geschick einen deutschen Nachtwächter in diese unwirthlichen Gefilde geschleudert und ihn verdammt, aus geborstenem Horne sein Leid ewig den Sternen zu klagen? Diesem Getöne schreiten die Flußpferde zu; schon klingt es ganz aus der Nähe – da verstummt’s. Die Thiere drängen vorwärts; ich folge schleichend und erreiche bald den Rand einer Lichtung, wo ich mich verstecke. Vor mir liegt, vom eben aufgehenden Monde beleuchtet, das Reisfeld eines Negers; die heuschoberähnliche Hütte scheint verlassen; denn kein Gesang, kein Klang der Handtrommel läßt sich aus ihr vernehmen. Stille ringsumher. Was aber gewahre ich dort? Aus dem Wasserspiegel, der hier und da zwischen den noch jungen Reispflanzen hervorblickt, erhebt sich auf vier wohl zehn Fuß hohen schwankenden Stöcken ein flaches, kaum quadratmetergroßes nestähnliches Dach aus Astwerk und Stroh, auf dem, wie ein brütender Vogel, die schwarze Gestalt eines Negers kauert. Er war der Musikant, der das Horn seines Vaters und Vorvaters ergriffen, um durch dessen Schreckruf die Verwüster seiner Saaten fernzuhalten. Mögen nun auch die Väter und Vorväter der Thiere, die ich begleitete, diesen dem „Organe“ des Herrn der Schöpfung ähnlichen Tone gewichen sein, die jetzige Hippopotamus-Generation, da es nie gefährlich sich zeigte, hat die frühere Achtung vor ihm in Liebe verwandelt und folgt, wie das Vieh der Schalmei, freudig seinem Rufe; führt es sie doch zur saftigen Reisweide. Als wären es Sicheln, mähen die breiten Schneidezähne der Ungethüme die köstliche Saat, die gewaltige Zunge führt sie zum Schlunde und Magen; lange währt es, bis dieser gefüllt ist; was den Weg zu ihm nicht gefunden, haben die ungeschlachten Beine in den Schlamm geknetet.

Und der Musikant? War ihm schon beim ersten Gewahren der Unthiere das „Gebläs“ ausgegangen, so mußte ihn jetzt wohl, da dieselben sich dicht unter seinem klapperigen Gestell herumwälzten, kalter Graus erfassen. Wenn einer der Giganten mit der Schulter anstieße, aus Versehen oder Muthwillen, so würde der leichte Pfahlbau unzweifelhaft zusammengebrochen sein, und wahrscheinlich hätte er dann, wie seine Pflanzung eingeknetet im Morast, das Grab gefunden. Wenn nun die Flußpferde ihren Hunger gestillt – und dazu gebrauchen sie fast die ganze Nacht – so kehren sie, hier und dort auch wohl noch etwas junges Gras[1] abweidend, zum Wasser zurück.




Blätter und Blüthen.


Pariser literarische Falschmünzerei. Mit Recht rühmt man der deutschen Uebersetzungsliteratur nach, daß sie die Geistesproducte fremder Literaturen mit der nöthigen Ehrfurcht vor der Unantastbarkeit des geistigen Inhalts, sowie mit seltener Treue der Nachdichtung sich aneignet. Unserm Nachbarvolk jenseits des Rheines kann man diese beiden Haupttugenden eines Uebersetzers leider nicht beimessen. Als ich jüngst Marlitt’s „Blaubart“ in französischem Costüme zu Gesicht bekam und darin blätterte, wirkte manches Einzelne erheiternd; allein als ich weiter und weiter las, ward mir ernster und ernster zu Muthe, und als ich das Buch am Schlusse aus der Hand warf, geschah es mit einem Unmuthe, als hätte mir Jemand eine Beleidigung in das Gesicht geschleudert. Das sollte Marlitt’s „Blaubart“ sein, diese liebliche Erzählung, mit den urthüringischen Gestalten? Unmöglich! Das sind zwar deutsche Gestalten, aber es sind Caricaturen von deutschen Gestalten, und das alles zu Liebe verletzter fränkischer Eitelkeit, die

  1. Laub scheinen die Hippopotamen nicht zu fressen, wenigstens fand ich keine Ueberreste davon in den untersuchten Mägen mehrerer derselben.
    D. V.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 422. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_422.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)