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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Der elsässische Volkswitz handhabt die Geschichte des Apostels Petrus mit demselben Freimuthe, mit welchem die „Edelsasser Chronick“ die Legende vom Kaiser Barbarossa bespricht. „Der gemein Mann ist beredt worden, diser Keyser Fridericus sey zu Hagenaw in der Burg lebendig verzucket worden, das ist aber Fabelwerck, dann wie es mit disem frommen Keyser (welcher nit allerdings des Bapst’s und der geystlichen liedlin singen wollen) ein ende genommen, bezeugen die Chronicken und Historien, so von ihme beschriben seyndt.“ Petrus, der ein zerbrochenes Hufeisen verschmäht, während sein Herr und Meister die übrigen Brocken sorgfältig sammeln läßt, der wie ein Landsknecht mit dem Schwerte dreinschlägt, wo der Heiland duldet und verzeiht, entspricht in der elsässischen Volksdichtung weit mehr seinem wahren geschichtlichen Bilde, als man nach der kirchlichen Ueberlieferung sich den Apostelfürsten denken mußte.

Eine mittelalterliche Sage erzählt, daß ein Papst einem kaiserlichen Gesandten die Schätze des Vaticans zeigte mit der Bemerkung: „Wir sagen nicht mehr, wie Petrus zu dem Lahmen vor der Thür des Tempels sagen mußte: Gold und Silber habe ich nicht.“ Mit großer Geistesgegenwart erwiderte der kühne Ghibelline: „Darum können Sie auch nicht fortfahren wie Petrus: Aber was ich habe, das gebe ich dir. Im Namen Jesu Christi von Nazareth, stehe auf und wandle!“ An diese Sage erinnerten unsere katholischen Bauern, als man sie aufforderte, sich bald an der päpstlichen Anleihe, bald am Peterspfennige zu betheiligen.

In den letzten Jahrzehnten wurde öfters in Predigten und Flugschriften behauptet, der Papst müsse eine weltliche Herrschaft und eine mächtige Armee zur Verfügung haben. Einzelne Elsaß-Lothringer traten in die Reihen der päpstlichen Zuaven ein; die Väter der Gemeinden aber erinnerten an die Frage, die ein elsässischer Fröhner beim edlen Waidwerke an den Bischof von Straßburg richtete: „Mein Gnadherr, Ihr seid heute als Landgraf, nicht als Bischof, ausgeritten. Wenn aber der Teufel einst den Landgrafen holt, wo wird der Bischof bleiben?“ Ein Bauer, der zur Zeit der Option im Namen der Kirche aufgefordert wurde, seinen Sohn in die französische Armee eintreten zu lassen, deutete auf den goldenen Hahn, der den Kirchthurm schmückte, und sprach: „Dieses Warnzeichen soll uns den Hahnenschrei und den großen Fehler in’s Gedächtniß zurückrufen, den Petrus begangen hat, als er das Schwert gegen die Obrigkeit zog. Mein Sohn soll dem Kaiser geben, was des Kaisers ist.“ Den tiefsten Eindruck aber machten die Worte des Apostels Petrus am 4. Mai 1873. An jenem Sonntage sollte der Sturm losbrechen, den die Madonna im Bitscher Ländchen angekündigt, und bereits hatten die Bürgermeister der Saarstädte Hülfsmannschaft begehrt. Wie eine Friedensbotschaft vernahm man die Worte der Sonntagsepistel: „Seid unterthan aller menschlichen Ordnung um des Herrn willen, es sei dem Könige, als dem Obersten, oder den Hauptleuten, als den Gesandten von ihm!“ An jenem Sonntage ging das Volk aus den Gotteshäusern mit dem Bewußtsein, daß Petrus das Schwert in die Scheide gesteckt hatte und aus den Reihen der elsässischen Liga getreten war.

Die elsässische Dorfsage erzählt vom goldenen Bilde eines Heidengottes, das bei Benfelden im Kiese der Ill verborgen liegt. Aehnliches berichtet man im Saarthale vom goldenen Sarge eines römischen Kaisers. Von Jahr zu Jahr sinken die Kleinodien tiefer hinab. Es sind die Wahrzeichen der römischen Weltherrschaft, die immer mehr aus dem Gedächtnisse unseres Volksstammes entschwinden.

Ein Elsässer.


Das Ende der Noth.
(Mit Illustration, Seite 413.)

Es trommelt zum Krieg, und das Scheiden thut weh.
„Ade, Weib und Kinder, lieb Mutterl, ade!
Und trifft mich die Kugel, die feindliche, dort,
Ist der König Euch Vater, und der König hält Wort.“

– Wohl steigt in die Berge mit Briefen der Bot’,
Und wie leicht ist die Noth, sind die Siegel noch roth!
Verwunden wird viel, hat das Herz noch sein Ziel:
Um die Lieb’ und das Leben erträgt man gar viel.

Doch bringt Dir der Bote ein Brieflein daher,
Und das Siegel ist schwarz: wird die Noth so schwer.
Da schreit sie zum Himmel, da tobet der Schmerz;
Da trifft sein Blei auch die Lieben in’s Herz.

Und hat sich die Zeit auf die Schmerzen gesenkt
Und vom Grabe den Blick in die Zukunft gelenkt,
Dann fehlt erst der Vater, dann wird erst der Tod
Der wahre Verkünder von Elend und Noth.

Wohl ist auf den Bergen der Himmel nicht fern
Und so nahe der schönste, der herrlichste Stern:
Das Gottvertrau’n, das die Macht nicht verlor,
Ob das Elend schauet aus Fenster und Thor.

Und siehe! da eilt mit dem Briefe der Bot’:
Fünf Siegel verkünden das Ende der Noth.
Des Vaters Trost erfüllte sich dort
Für Wittwen und Waisen; ja, der König hält Wort.

Fr. Hfm.


Zur Geschichte eines Nationalwerks. Wenn man auf die Reihe der wissenschaftlichen und schriftstellerischen Leistungen zurückweist, die im Laufe dieses Jahrhunderts durch Verbreitung einer tieferen politischen Bildung das politische Werden unserer Nation sehr wesentlich gefördert haben, so wird unzweifelhaft auch jener Sammlung historischer Darstellungen gedacht werden, die unter dem Gesammttitel „Geschichte der europäischen Staaten, herausgegeben von Heeren und Uckert“ allen gebildeten Kreisen Deutschlands bekannt sind. Dieses bewährte Unternehmen hat nicht blos thatsächlich nach der bezeichneten Richtung hin gewirkt, es ist auch von vornherein mit der Absicht begründet worden, einen solchen Einfluß zu üben. Als der Freiherr von Stein zu weiterer Kräftigung des mit den Franzosenkriegen erwachten geschichtlichen Sinnes die seitdem unter dem Namen „Monumenta Germaniae“ wissenschaftlich so bedeutsam gewordene vollständige Ausgabe der Quellen für die ältere deutsche Geschichte in’s Leben rufen wollte, gehörte der Buchhändler Friedrich Perthes in Hamburg zu den Ersten, mit denen er seinen umfassenden Plan besprach. Perthes, bekanntlich einer der besten deutschen Männer, ein Patriot von tiefer Gemüths- und Geistesbildung, erfaßte den Gedanken des großen Staatsmannes mit wärmster Theilnahme, aber als ein dem Volksleben näher stehender Beobachter verhehlte er sich nicht, daß es doch noch eines frischeren Eingreifens, daß es noch anderer Mittel als der bloßen Quellensammlung und gelehrten Geschichtsforschung bedürfe, wenn der Nation wirklich das geschichtliche Verständniß erschlossen, ihr Bedürfniß nach demselben befriedigt und jede der heilsamen Wirkungen erreicht werden sollte, welche man damals mit Recht von dem Einflusse der geschichtlichen Studien auf die Gegenwart zu erwarten begann.

„Die harten Jahrzehnte, welche die Deutschen durchleben mußten“, so schrieb der großsinnige Buchhändler in jenen Tagen, „sowie die Seelenerhebung des Jahres 1813 haben, was man früher nur als Sagen und Märchen gehört, zu Fleisch und Blut werden lassen. Die großen Erfahrungen, die Keinem erspart worden sind, haben Allen einen weiteren Blick, einen höheren Standpunkt für die Betrachtung des Geschicks der Völker gegeben; größere Fragen, andere und tiefere als früher, werden an die Geschichte gethan, und eine Antwort darf nicht ausbleiben. Mein Beruf nun soll es werden, die Männer, welche solche Antwort geben können, suchen zu helfen, sie zu drängen und zu treiben, das, was sie können, auch wirklich zu thun, und ihnen in allen Dingen, die dem Buchhändler näher liegen als dem Gelehrten, förderlich und behülflich zu sein.“ Das sind die Grundgedanken, aus denen die „Geschichte der europäischen Staaten“ erwachsen ist, aber der Ausführung stellten sich außerordentliche Schwierigkeiten entgegen. Als Perthes 1822 von Hamburg nach Gotha übergesiedelt war, begann er mit dem Suchen nach den rechten Männern für seinen Plan, aber erst 1827 konnte er die buchhändlerische Ankündigung verbreiten, erst 1828 die Einladung zur Subscription dem Prospekte folgen lassen und erst 1829 erschien die erste Lieferung des Werkes, den ersten Band von Pfister’s „Geschichte der Teutschen“ und zwei Bände von H. Leo’s „Geschichte der italienischen Staaten“ umfassend. Der Erfolg aber zeigte sich sofort als ein überaus günstiger und steigerte sich bei jedem neu erscheinenden Bande.

Mit sicherem Blicke hatte also Perthes ein tiefes und durchaus edles Bedürfniß seiner Zeit erspäht und einem Fortschritte die Wege gebahnt, der einen nothwendigen und ungemein wohlthätigen Umschwung in der geistigen Entwickelung des Publicums hervorrief. Während eine erdrückende Censurgewalt jede directe politische Erörterung so gut wie unmöglich machte, wurde die Geschichte, der keine Gewalt den Mund verschließen konnte, ihrem hohen Berufe als Bildnerin und Lehrmeisterin des Volkes zurückgegeben, wurde die trockene und schwerfällig sich bewegende Geschichtschreibung ermuntert, den Staub der Schule abzuschütteln, sich in das öffentliche Leben zu wagen und in anziehendem Tone, in gemeinverständlicher Sprache jedem Gebildeten sich darzulegen. Wenn jetzt den Darstellungen unserer Historiker mit Recht eine von trockenem Gelehrtenkrame sich abwendende, stylvoll in das Leben greifende Frische nachgerühmt wird, so wissen unsere Zeitgenossen die Kraft des Anstoßes zu würdigen, welcher von der Gothaischen Staatengeschichte für die Erreichung dieses Zieles gegeben wurde. War aber schon die Gründung des Unternehmens mit großen Schwierigkeiten verbunden, so gestaltete sich die Fortführung noch sorgenvoller und mühseliger. Unaufhaltsam schwoll es über die genau bestimmten Grenzen hinaus, die ihm ursprünglich gestellt waren. Als Heeren 1842 und Friedrich Perthes 1843 starben, war bereits die Zahl der Bände erreicht, welche man in Aussicht gestellt hatte, und doch war man von der Erschöpfung des Stoffes noch weit entfernt. Im Jahre 1845 waren dreiundvierzig Bände erschienen, und man glaubte nun den Abschluß für die nächsten Jahre versprechen zu können. Aber auch als Uckert 1857 verschied, stand diese Vollendung noch in unbestimmter Ferne, und noch heute, wo mehr als siebenzig Bände vorliegen, läßt sich die Zeit einer gänzlichen Durchführung schwer bestimmen.

Auf alle diese nur Wenigen genauer bekannten Umstände glaubten wir die Aufmerksamkeit unserer Leser in einem Augenblicke lenken zu müssen, wo die Verlagshandlung (Friedrich Andreas Perthes in Gotha) in dem berühmten Geschichtsforscher Professor von Giesebrecht in München einen neuen Redacteur für die Fortsetzung dieses denkwürdigen Nationalwerks gewonnen hat. Da es keineswegs verschollen ist, sondern eine größere oder geringere Anzahl seiner Bände sich in sehr vielen deutschen Häusern findet, werden gewiß Unzählige mit Freude vernehmen, daß es von ebenso rüstiger als sachverständiger Hand ergriffen ist und seinem allseitigen Ausbaue entgegengeführt wird.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 424. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_424.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)