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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Berlin-Tempelhof, gegründet von Max Löwenfeld, Hirschfeld u. Comp. und dem vielgenannten Herrn Heinrich Reh, Mitgründer der famosen „Societätsbrauerei“, deren Actien heute 7 Brief stehen. Berlin-Tempelhof zahlte für das erste Geschäftsjahr“ 7½ Procent „Bauzinsen“ und wird zur Zelt gleichfalls mit 9 Brief notirt. Für ein Darlehn von 15,000 Thaler soll die Gesellschaft 10,000 Thaler Damno (Verlust) bezahlt haben.

Belle-Alliance, gegründet von Hermann Geber, Jos. Jaques, Walter Bauendahl etc. Aufsichtsrath: Justizrath Hinschius. Die Actien wurden mit 103 aufgelegt, genießen bis zum 1. Juli 1875 sechs Procent „Bauzinsen“ und stehen deshalb einstweilen noch circa 40.

Friedrichshain, gegründet von den Directoren Dr. Otto Hübner und Dr. Wilhelm Abegg, den Stadtverordneten Romstädt und Ullstein, Stadtbaurath Gerstenberg, den Banquiers Gebrüder Guttentag und Julius Samelson etc. Die mit 103 aufgelegten Actien werden bei Verkäufen zum Nennwerthe in Zahlung genommen und stehen aus diesem Grunde noch circa 40. Pro 1874 ward endlich eine Dividende von 2 Proc. vertheilt, die aber auch ziemlich künstlicher Natur ist.

Deutsch-holländischer Bau-Verein, gegründet von Rittergutsbesitzer Klau, Dr. Otto Hübner, Director Sulzer, Geh. Oberfinanzrath A. Geim, Martin Frege. Justizrath G. Wolff, Rechtsanwalt Munckel etc. Späterer Aufsichtsrath: Dr. Ed. Wiß. Für das vom Gutsbesitzer Klau zusammengekaufte „Bauterrain“ wurde die Kleinigkeit von 5 Millionen Thalern bezahlt. Nach einer 1873 erschienenen Broschüre sollen die Gründer 3½ Millionen Thaler verdient haben. Wir glauben aber, daß es mehr gewesen ist. Bei der letzten Generalversammlung, am 23. März d. J., zeigte sich der Aufsichtsrath in zwei Heerlager gespalten, angeführt von den Herren Justizrath G. Wolff und Rechtsanwalt Munckel, die einander scharf bekriegten. „Hie Wolff! Hie Munckel!“ scholl es wild durch einander, und der Gutsbesitzer Klau, der sich noch im Besitze von Einer Million Actien befindet, kam hart in’s Gedränge. Die vorgelegte Bilanz, welche mit 126,000 Thalern Verlust abschließt (wir schätzen ihn höher) wurde nicht genehmigt und dem Aufsichtsrathe keine Decharge ertheilt. Die Prioritäts-Actien, welche noch bis 1883 (!) 6 Procent feste Zinsen erhalten sollen, stehen zur Zeit circa 25.[1]

Wie schon mehrfach betont, bauten die Baugesellschaften nur dem Namen nach, und zu bauen war auch nie ihre eigentliche Absicht. Sie gründeten und handelten mit Baustellen. Seit dem „Krach“ liegt dieser Schacher darnieder, und wir hoffen, für immer. Nur eine unverhältnißmäßig geringe Anzahl von Wohnungen ist hergestellt, und diese Wohnungen sind nicht billig, sondern theuer. An und für sich theuer, wegen der großen Selbstkosten, und doppelt theuer mit Rücksicht auf die entfernte Lage. Die „Colonisation“, für welche so viel Reclame gemacht wurde, hat keinen Anklang gefunden, hat sich überhaupt nicht als Bedürfniß erwiesen. Selbst wenn die Communication bestände, die nicht besteht – Pferde- und Locomotivbahnen – wäre das Wohnen in so weiter Entfernung für die arbeitenden Classen zu zeitraubend und zu kostspielig. Es thut aber auch gar nicht noth; es bietet sich in der Stadt selber noch zureichendes Unterkommen. Von den zahllosen Baugesellschaften befinden sich schon viele in Concurs oder in Liquidation (Auflösung), und die andern werden allmählich nachfolgen. Lebensfähig dürften nur äußerst wenige sein.

Unter den Schöpfungen der Schwindelperiode sind mit die schwindelhaftesten die Baugesellschaften. Es ist schwer zu sagen, welches die faulsten sind, und der Raum gestattet nicht einmal, alle die anzuführen, welche als „oberfaul“ gelten oder als solche bereits zusammengebrochen sind. Wir wollen zum Schlusse nur noch einige nennen:

Thiergarten-Westend, gegründet von Herm. Geber, R. A. Seelig, Gewerbebank H. Schuster etc. Cours circa 3.

Hofjäger, gegründet von Hermann Geber, R. A. Seelig, Julius Alexander, Baumeister Nicolaus Becker etc. Aufsichtsrath: Justizrath Hinschius. Cours circa 10.

Charlottenburg, gegründet von Jean Fränkel, Lindner, Karl Sachs, Bürgermeister Bullrich etc. Mit 105 an der Börse eingeführt, heute 6.

Nieder-Schönhausen, gegründet von Jean Fränkel, Max David, Weißbier-Director E. Gericke etc. Mit 102 an der Börse eingeführt, heute?

Residenz-Baubank, gegründet von Robert Herbig, Karl Dankberg, Baumeister Wuttke und Heinrich Enders etc. 3000 Interimsscheine à 40 Thaler, zusammen also 120,000 Thaler, verfielen wegen rückständiger Einzahlung. Die Besitzer trugen lieber diesen Verlust, als daß sie die restirenden 60 Thaler nachschossen, denn die Vollactie von 100 Thalern stand – 10 Brief. Heute?

Allgemeine Bau- und Handelsbank. Von dem Actiencapitale wurde über ein Drittel, circa 362,000 Thaler, wegen nicht rechtzeitig geleisteter Einzahlung für verfallen erklärt. Der 40procentige Interimsschein kam an die Börse zum Course von 106; heute steht die Vollactie 25.

Nordend, einst 140; heute?

Immobilienbank. Cours?

(Der „Verfasser“ dieser drei Baugesellschaften war Dr. Max Mattner, welcher sich seitdem Baron Mattner von Bibra nennt.)

Nordbaubank, gegründet von Karl Aulig, Maurermeister Ströhmer, Dr. Heinrich Ebeling etc. Aufsichtsrath: Rechtsanwalt Meyn. Der Cours, im März 1873 bis auf 209 getrieben, ist heute 0. Die Generalversammlung beschloß, eine Untersuchungscommission einzusetzen. Das Gericht lehnte die Einleitung des Concurses ab, weil es an Masse fehlte.

Westend-Potsdam-Baubank, gegründet von demselben Aulig und Genossen. Cours 0. Das Bureau ist geschlossen; das Mobiliar wurde gerichtlich abgepfändet. Aufsichtsrath Aulig und Director Fischer sind spurlos verschwunden.

Die in Berlin ansässigen und an hiesiger Börse gehandelten Bau- und Baumaterialiengesellschaften haben zusammen ein Actiencapital von, schlecht gerechnet, 100 Millionen Thalern in Anspruch genommen, welches zum weitaus größten Theile nun verpufft, für die Actionäre verloren ist. Dazu kommt das Agio (bis 150!), mit welchem die Actien eingeführt wurden, die Courssteigerung (bis 400!!), die sie in der ersten Zeit erfuhren. Die Baugesellschaften, welche mit Hypotheken belastet sind, müssen alle untergehen, denn in der Regel übersteigen die Hypotheken weit den eigentlichen Werth des „Bauterrains“. Diese Hypotheken befinden sich noch vielfach in den Händen der Gründer, welchen also das gegründete Object wieder anheimfallen wird, und schließlich werden die „Bauländereien“ von den ehemaligen Besitzern, von den Gärtnern und Bauern, um ein Billiges zurückgekauft werden. Binnen wenigen Jahren werden die im zweimeiligen Umkreise von Berlin abgesteckten Straßen und Plätze spurlos verschwunden sein; über die „Kaiserstraße“ wird wieder der Pflug gehen, und auf dem „Bismarck“- oder „Moltke-Platz“ wird der Schäfer wieder seine Hammel weiden. Aber wie viele Ernten sind inzwischen verloren gegangen, welche Kräfte haben seither gefeiert! – Das ist der volkswirthschaftliche Segen der Baugesellschaften und der Gründungen überhaupt.

Der Baustellenwucher hat seine Früchte bereits getragen, und der Häuserschacher wird vielleicht noch schlimmere bescheeren. Während der Schwindelperiode hat in Berlin etwa die Hälfte der Hausbesitzer gewechselt, über 8000. Die neuen Wirthe haben fast alle zu theuer gekauft oder zu theuer gebaut, als daß sie das gegenwärtige Fallen der Miethen verschmerzen könnten. Der hiesige Grundbesitz, schon vor dem Schwindel mit vier Fünftel des Werthes verschuldet, ist jetzt weit höher belastet. Nach den Aufstellungen des Stadtgerichts wurden an Hypotheken mehr eingetragen als gelöscht:

im Jahre 1869 9 Millionen Thaler
1870 10
1871 20
1872 79

Diese neuen Hypotheken sind meistens Restkaufgelder, die im Laufe der nächsten Jahre fällig werden, und deshalb prophezeien verschiedene Stimmen einen „Häuserkrach“.




Aus der Mappe der Tante Doris.
1. Ein flüchtiger Sonnenstrahl.


Meine Vaterstadt ist eine Seestadt; sie liegt nicht unmittelbar am Meere, sondern etwa eine Stunde davon, aber ein Flüßchen verbindet sie mit der Rhede, und kleinere Schiffe kommen bis an die Stadt. Das Land umher ist eine gesegnete Scholle, die von tüchtigen Landwirthen kunstgerecht bestellt wird. Von größeren Städten liegt sie ziemlich fernab, und erst spät in neuerer Zeit ist sie durch eine Eisenbahn mit der großen Welt von der Landseite in Verbindung getreten. So trug sie den gemischten Charakter einer See- und Landstadt. Landwirthe, Schiffer und Kaufleute bildeten den Stamm der Bevölkerung, und jeder dieser Stände hatte seinen Stempel in irgend einer Weise der Stadt aufgedrückt. Am schärfsten und

  1. Wir entnehmen diese Daten unter Anderem dem soeben erschienenen 4. Theile von „Salings’s Börsenpapiere“, 4. Auflage, bearbeitet von C. A. Frenzel, einem Handbuche, das über Industrie-Gründungen, und namentlich über die Baugesellschaften sehr interessante Aufschlüsse giebt.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 440. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_440.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)