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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


selbstbewußt, wie aufrecht war der Gang! Und wie sicher ruhte auf den schönen Schultern der edle Kopf mit seinen vornehmen Linien, mit den dunkeln, brennenden Augen und dem reichquellenden, gagathschwarzen Haar!

Man lernt sehr rasch insbesondere zwei Arten von weiblicher Schönheit unterscheiden: die volle kraftstrotzende Brünette mit dunklem Teint, der auf den Wangen von einem ganz leichten, rosigen Schimmer durchhaucht ist, das große, kecke braune Auge voll Lebenslust blitzend und die rothen, schwellenden Lippen leicht aufgeworfen – und jene idealen Gestalten mit den feinen, marmorbleichen Gesichtern, die mehr zu schweben als zu wandeln scheinen, die weiße schmale Stirn von den vollen schwarzen Flechten umschattet, das schwarze träumerische Auge immer groß in die Ferne gerichtet, als gehe die ganze Welt umher sie nicht das Mindeste an, ein „Bild holden Sinnes, gleich stillem Glanz des Meeres.“

Wer ein Auge für Menschenschönheit hat und sich an ihr zu freuen versteht, der wird hier des glücklichen Staunens nicht satt, ob er nun im Albanergebirge die Mädchen armverschlungen und singend durch die Gassen ihres Dorfes ziehen sieht, nicht wissend, welche er für die Schönste nehmen soll, oder ob er in einem der Gärten vor den Thoren Roms namentlich an Sonn- und Festtagen in der Osterie Mangani oder Melafumo die Römer und Römerinnen beim vino bianco beachtet. Das ist ein frisches, frohes, lebenslustiges Treiben; ein Wagen um den anderen jagt in den Hof der Osterien; alle Tische, alle Bänke sind von Fröhlichen besetzt – eine Flasche um die andere wird geleert; immer besser mundet der herrliche römische Landwein, der so leicht und lieblich die Kehle herabrinnt. Die Wangen der Frauen erglühen; ihre dunkeln Augen leuchten, und ihre Ohrgehänge und ihre Ketten und Ringe blitzen im Strahle der warmen, funkelnden Sonne. Auch der blaue Himmel ist von ihm märchenhaft schön durchleuchtet; die dunklen Steineichen und ernsten Cypressen stehen im ewigen Grüne; die Pinie wiegt ihr breit gewipfeltes Dach, und da drüben liegt die unendliche schwermuthvolle Campagna, dehnen sich die schönen Linien des blauen, duftumflossenen Sabiner- und Albanergebirges, wo schon Horaz seine schönsten Lieder gedichtet, wo Hadrian seinem vergötterten Lieblinge in den strahlenden Sälen seines Sommerpalastes und in den dunklen Lorbeergängen seiner Gärten leuchtende Marmorbilder errichtete, wohin Cicero sich aus der Sonnengluth der geräuschvollen Weltstadt flüchtete, dort auch schimmert aus dem violetten Duft der Berge Frascati, die freundliche, lichte Villenstadt – wie soll, wie kann man von dieser das ganze Dasein umstrahlenden Schönheit, dieser vollen Poesie des Lebens, die man nirgends wiederfinden wird, scheiden? Ach, wer hätte nöthig, erst aus dem klaren Quell der Fontana Trevi sich jene Sehnsucht nach Rom zu trinken, die nie mehr zu löschen, die unendlich sein soll und mit unsichtbarer, unwiderstehlicher Macht immer wieder zurückzieht nach dem Zauberkreis der alten, herrlichen unvergleichlichen Stadt? –

Was die römischen Frauen und Mädchen außer ihrer Schönheit noch in besonderem Grade auszeichnet, ist der Anstand, den sie auf der Straße zeigen. Wie weit der gerade in Rom allmächtige Zwang der Sitte und des Herkommens dabei betheiligt ist, wage ich hier nicht zu entscheiden. Ebenso wenig, wie weit jene pikanten Geschichtchen begründet sein mögen, welche man sich, während der Ruf der Mädchen durchaus makellos ist, von der Leichtigkeit erzählt, mit welcher eine römische Frau galante Beziehungen zu knüpfen und zu lösen verstehe. Ich für meine Person habe die gute oder schlechte Gewohnheit, von solchen Geschichtchen nicht einmal die gemeinhin übliche Hälfte zu glauben, und speciell die römischen Frauen haben einen guten Beschützer ihres Rufes schon vor langer, langer Zeit an ihrem Landsmanne Properz gefunden, der das bekannte schöne Wort aussprach, die üble Nachrede sei eine Art Buße, welche die Götter über schöne Frauen für ihre Schönheit verhängt haben. Aber wie dem sei, immer legen Frauen und Mädchen in Rom auf der Straße eine gewisse Würde, einen gewissen Ernst an den Tag, und durch leichte Coquetterien Aufmerksamkeit oder gar Gefallen zu erregen, verschmähen sie durchaus.

Wie tief gewurzelt im römischen Volke das Gefühl für Schicklichkeit ist, davon vermag man sich leicht genug beim Carneval zu überzeugen. Wer in Rom die großen Volksbälle in den Theatern oder in den Räumen des Politeama besucht, wird sich sehr enttäuscht finden, wenn er dort vielleicht das südlich leidenschaftliche Temperament in wilder oder orgienhafter Ausgelassenheit beobachten zu können hofft. Die Sitte ist auch hier allmächtig, sie bannt die Leidenschaften nieder, und ich habe nie eine nach Tausenden zählende Masse mitten in der übermüthigsten Lustigkeit mit mehr Anstand und mit mehr Schicklichkeit sich gebahren und bewegen sehen, als im Politeama in Trastevere.

Der ungeheure, taghell erleuchtete Raum vermochte kaum die sich drängende, stoßende, treibende, immer neu zufluthende Menge zu fassen. Die Meisten trugen Masken, Dominos, Alle aber waren vom Taumel des Carnevals ergriffen und erfüllten die heiße, schwüle Luft mit einem Geschrei, Gelächter, Gejauchze, das geradezu betäubend war. Für die Tanzenden war nur schwer Raum zu gewinnen. Um die Lotteriebuden, welche rings an den Wänden des großen Saales angebracht waren, drängten sich spiellustig die erregten Haufen, den glücklichen Gewinner wegen der seltsamen Gabe, die ihm vielleicht zugefallen war, laut belachend und mit Stichelreden durch den ganzen Saal verfolgend; Maskenzüge, mit tollstem Applaus empfangen, vermehrten das Gewoge bis in’s Unendliche; Matrosen lärmten, Hanswurste schrieen; Frauen zeterten; Domino’s lachten – nirgends aber, selbst nicht im Momente der höchsten Ausgelassenheit, sah ich die Schranken der Zucht und der Schicklichkeit auch nur um eine Linie überschritten und das setzt den Fremden in um so größeres Erstaunen, als er doch in Deutschland bei einem ähnlichen Anlaß oft genug ganz andere Dinge mit angesehen und erlebt hat.

Unterstützt wird dieses angeborene Schicklichkeitsgefühl beim Römer allerdings noch durch seine Mäßigkeit im Trinken. Während in Deutschland durch unendliche, die ganze Nacht fortdauernde Libationen von Wein und Bier die Geister erhitzt, die Begierden entfesselt werden, läßt der Italiener auch bei solchen Gelegenheiten nicht von der ihm eigenthümlichen Mäßigkeit – er verschmäht das erhitzende und erregende Getränk fast ganz, ist glücklich, mit Anderen fröhlich zu sein, und gönnt es gern den Fremden, heimatlicher Gewohnheit zu Liebe, Büffet und Keller zu stürmen und beim schweren Römerweine bis zum Morgen um so lieber festzukleben, als ihm, dem echten „Reise-Onkel“, der aus Paris und London, Berlin und Wien von ganz unterhaltenderen Augenweiden zu erzählen weiß, die Costüme und die Leute hier überhaupt viel zu anständig und viel, viel zu langweilig sind.




Aus der hundertthürmigen Stadt.
Bühnenerinnerungen von Caroline Bauer.
I.


Auf großen und auf kleinen Brucken
Stehn vielgestaltete Nepomucken
Von Erz, von Holz, gemalt, von Stein,
Kolossisch hoch und puppisch klein.
Jeder hat seine Andacht davor,
Weil Nepomuck auf der Brucken das Leben verlor.


In dem wunderschönen Elbthale blühte und sang der Frühling – vor jetzt gerade vierzig Jahren. In den sacht verglühenden Rosenschimmer der reichen Pfirsich- und Aprikosengärten auf den Elbhügeln mischte sich schon duftiger Schnee von Kirschen- und Birnenblüthen. Ich war seit einem Jahre erste Liebhaberin der Dresdener Hofbühne, zählte offen und ehrlich, ohne Erröthen und Grämen just meinen achtundzwanzigsten Lenz, saß neben der Mutter in leichter offener Extrapostkalesche und rollte fröhlich und wohlgemuth meinem ersten Gastspiele in Prag entgegen. Endlich sollte ich die hundertthürmige Stadt selber sehen, von deren märchenhaften Wundern ich schon als Kind, versenkt in mein geliebtes blaues

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 481. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_481.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)