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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Vorgänge müssen wir zur Illustration jener Charakterunabhängigkeit aus neuester Zeit herbeiziehen.

Der Prophet gilt nichts im Vaterlande. Diesen Satz hat auch unser Freund, welchen unter seine Mitglieder zu zählen, eine Reihe ausländischer Akademien und gelehrter Gesellschaften sich zur Ehre rechnen, häufig an sich erprobt. Sein[WS 1] Name hat in Amerika und England, in dem wissenschaftlich hochaufstrebenden jungen Staate Italien einen allgemein gültigeren Klang, als man gemäß seiner officiellen Anerkennung in Deutschland irgend erwarten sollte. Auf dem Gefängnißcongreß in London erschien er ohne alle officielle staatliche Legitimation; dennoch wurde er zum Mitvorsitzenden erwählt. Kurz vor Beginn des Arnim’schen Processes tagte eine Versammlung des völkerrechtlichen Instituts in Genf. Nach deren Beendigung versammelte sich in derselben Stadt eine Gesellschaft amerikanischer und englischer Friedensfreunde, welche es sich nicht nehmen ließen, auch Holtzendorff zur Theilnahme und einer Rede einzuladen. Er folgte dieser Aufforderung, jedoch in einer anderen Weise als gehofft, und dennoch reichte das Ansehen seines Namens nicht nur hin, um ihm „freie Bahn“ zu eröffnen, sondern ihm auch einen lebhaften Beifall zu verschaffen.

Er sagte nämlich – gar sehr am rechten Platze und zur rechten Zeit –: er müßte mit Entschiedenheit hervorheben, daß die allgemeinen Declamationen gegen die stehenden Heere, was Deutschland anbelange, aus den gröbsten Mißverständnissen hervorgegangen seien; nicht an die Armee, nicht an deren Heerführer sei die erste Mahnung zum Frieden zu richten, sondern – an die „streitende Kirche“. So lange der Jesuitismus noch sein Unwesen in der Welt treibe, so lange könne von „Frieden“ in der Menschheit die Rede nicht sein. Das Christenthum, die Religion des Friedens, sei durch das jesuitische Kirchenwesen zu einer fortwährenden Bedrohung des Friedens, der inneren Ruhe in den Nationen geworden, die Religion der Liebe sei umgestaltet in ein Bekenntniß des Bürgerkriegs. Mit heuchlerischen Worten, in heuchlerischen Processionen werde unter Thränen und Klagen der eine stille Wunsch verborgen, das deutsche Reich wieder in Trümmer zu zerschlagen.

Bei seinem jüngsten Aufenthalte in Italien endlich wurde Holtzendorff, obgleich er in einem allbekannt gewordenen Toaste bei einem Festbankette in Rom seiner von der Ansicht der italienischen Regierung und Parlamentsmajorität durchaus abweichenden Anschauung von einer richtigen Politik dem Papste und der katholischen Kirche gegenüber einen sehr unzweideutigen Ausdruck gab, in allen größeren Städten von Rom herauf bis nach Venedig mit Huldigungen überhäuft, wie solche daselbst noch keinem deutschen Rechtsgelehrten, selbst Mittermaier nicht, im gleichen Maße zu Theil geworden sind.

Freilich ganz vergessen waren Holtzendorff’s Bemühungen auch im Inlande, wenigstens seitens des Volkes, nicht. Als er von Berlin nach München übersiedelte (Herbst 1873), ward ihm aus Volkskreisen und aus dem Schooße von Vereinen zum Wohle des Volks heraus noch eine Anerkennung in die neue Heimath nachgesendet, nachdem er seine Mitgliedschaft und zumeist Vorstandschaft im Gefängnißverein, den Vereinen für Förderung der Erwerbsfähigkeit der Frauen, für Einrichtung von Volksküchen, und den zahlreichen Vereinen für Volksbildung, z. B. dem Handwerkerverein in Berlin, hatte niederlegen müssen.

Holtzendorff’s Vater gehörte zu den Bestverleumdeten und Heftigstverfolgten seiner Zeit. Weil er in einer strafrechtlichen, mit einem Jagdfrevel zusammenhängenden Untersuchung nach dem alten Inquisitionsproceß „nur vorläufig freigesprochen“ worden war, entzog man dem muthig für den Liberalismus Eintretenden von Regierungswegen seine kreisständischen Rechte, und zwar dann, als er auf einem Kreistage es gewagt hatte, den König Friedrich Wilhelm den Vierten an die Erfüllung der Zusage von 1815 und an den Erlaß einer Constitution zu mahnen. Die Verfolgung gegen den älteren Holtzendorff ging so weit, daß der Geistliche unter seinem Patronate angewiesen wurde, ihn aus dem üblichen Kirchengebete der Pfarrgemeinde auszuschließen. Erst das Jahr 1848 brachte dem maßlos Verfolgten die Erfüllung Dessen, was er erstrebt, und damit endlich zugleich die Wiederherstellung sämmtlicher ständischer Ehrenrechte. Zu seinem Andenken stiftete der Sohn das erste Stipendium der neugegründeten Straßburger Universität unter dem Titel „Holtzendorff-Vietmannsdorff[1]-Stipendium“ – ein Vorspiel für die von ihm gleichzeitig angeregte Bismarck-Stiftung.




Der berühmte Sohn eines berühmten Vaters.


Der Name Garibaldi ist allen Zungen geläufig; er ist mit der Idee unseres Jahrhunderts, welches die Einigung der Völker nach Nationalitäten bedeutet, auf das Innigste verknüpft und wird im Andenken der Menschheit geachtet, ja verehrt fortleben, so lange wahre Seelengröße der Anerkennung sicher ist. Mag auch mancher Schatten auf diesem geweihten, blendenden Namen sich dem Auge des kritischen Beobachters offenbaren – als schmachvolle Flecken werden solche dunkle Punkte nie und nimmer angesehen werden können. Garibaldi’s Irrthümer sind die Verirrungen einer reinen, von keinen egoistischen Motiven geleiteten Seele, seine Fehler das Unglück eines bedeutenden, edlen Mannes, dessen Unkenntniß der Verhältnisse, dessen begeisterte Freiheitsliebe von fanatischen Agitatoren oder gewissenlosen „Freunden“ ausgebeutet worden. Die deutsche Nation, die alle Ursache hätte, sich über die Fehler und Verirrungen Garibaldi’s zu beklagen, hat „dem Helden zweier Welten“ längst verziehen. Die schönste Tugend der Deutschen ist ihre Größe im Vergessen, und vergessen sind die schnöden Pamphlete, die im Jahre 1870 dem italienischen Helden gegen Deutschland in die Feder dictirt wurden, vergessen die Kugeln aus dem Umkreise Belforts, die so manchem deutschen Leben den Tod brachten. Garibaldi erfreut sich in Deutschland der allgemeinen Achtung und Sympathie, und sicherlich wird sich das deutsche Volk nicht weigern, diese Sympathie von dem Vater auf den Sohn zu übertragen, auf einen Sohn, dem nicht blos der Name seines Erzeugers, sondern auch dessen Tugend zu Theil wurde, ohne daß er Etwas von seinen Fehlern geerbt hätte.

Menotti Garibaldi ist eine der beachtenswerthesten Persönlichkeiten der italienischen Gesellschaft, und der berühmte Name, dessen Träger er ist, verleiht ihm nahezu eine kosmopolitische Bedeutung; er ist der Stolz, der Liebling seines Vaters, und deshalb auch der Liebling des italienischen Volkes, für das er schon oft sein Leben in die Schanze geschlagen. Der alte Garibaldi, den das Glück in seiner politischen und militärischen Laufbahn so entschieden begünstigte, hatte in seinem Familienleben das schwerste Mißgeschick zu erdulden. Er mußte sehen, wie seine geliebte Gattin Anita, die an seiner Seite werkthätig bei der Vertheidigung Roms gegen die Franzosen mitgearbeitet hatte, auf dem abenteuerlichen Fluchtversuche hülflos in Ravenna dahinstarb; er mußte das Leid einer unglücklichen Ehe erfahren, als er sich nach zwölfjährigem Wittwerstande im Jahre 1860 mit der unwürdigen Gräfin Raimondi, deren courtisanenartige Schlauheit ihn getäuscht hatte, vermählte – und seine Kinder bereiteten ihm, mit Ausnahme Menotti’s, wenig Freude. Das eine, die Gattin des genuesischen Kaufmannes Cunzio, befand und befindet sich noch in wenig günstigen Verhältnissen. Wohl sind die Nachrichten von der Noth der Tochter Garibaldi’s, die mitunter die Runde durch die europäischen Blätter machen, übertrieben, allein die Vermögensverhältnisse Cunzio’s sind nicht derart, daß er im Stande wäre, seiner großen Familie eine sorgenfreie Existenz zu sichern. Und zudem störten nicht selten politische Differenzen das freundliche Einvernehmen zwischen dem Generale und seinem Schwiegersohne. Ricciotti, der Bruder Menotti’s, jedoch hat dem Vater den schwersten Kummer bereitet. Der geniale, feurige Jüngling hat einen unglückseligen Hang zum Leichtsinn, und öfters schon schwebte Garibaldi in Gefahr, seinen Namen auf den Pranger der Anklagebank gestellt zu sehen. Der leichtfertige Bursche führte Streiche aus, die das Strafgesetz hart streiften. Um seiner ausschweifenden Lebenslust fröhnen zu können, ging er Schulden über Schulden ein, ja mißbrauchte sogar den Namen seines

  1. Vietmannsdorf in der Mark ist der Stammsitz dieses Holtzendorff’schen Familienzweiges.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Seine
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 539. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_539.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)