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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


sie beständig an die Oberfläche kommen, Luft einschlucken und durch die Kiemenspalte wieder ausblasen; sie lassen sich leicht mit Insectenlarven, kleinen Wasserwürmern und Regenwürmern ernähren und pflanzen sich selbst in kleinen Gefäßen leicht fort und zwar in merkwürdigster Weise. Das Männchen nämlich schluckt die vom Weibchen entlassenen Eier mit dem Munde auf, wälzt sie eine Zeitlang im Maule umher, überzieht sie so mit Schleim und spuckt sie dann an die Oberfläche des Wassers, wo es schon vorher eine Art von Floß aus Schleim gebildet hat, in welchem die Eier sich einbetten. Es bewacht nun die Eier auf das Sorgfältigste, jagt das Weibchen weg, sobald es sich ihnen nähert, und beschützt sogar noch eine Zeitlang die ausgekrochenen Jungen, welche Kaulquappen nicht unähnlich sehen.

Außerdem sind die Großflosser recht verträglich, und obgleich sie sich paarweise zusammen thun, kann man doch hunderte von ihnen in demselben Aquarium halten, ohne daß sie sich gegenseitig befehdeten, wie andere Fische thun. Nur wenn die Laichzeit (Juni) herannaht, thut man wohl, die Paare zu trennen, da die Männchen heftig unter einander kämpfen und einander die Flossen verstümmeln – zuweilen sogar muß man die Paare trennen, da das Männchen das Weibchen oft heftig verfolgt. So weit aber, wie es einer unserer Wütheriche getrieben hat, dürfte es selten kommen.

Ich hatte von Paris fünf Paare von Großflossern mitgebracht – drei für unsere Aquarien, zwei für die eines Freundes, des Herrn Lunel, des Conservators unseres zoologischen Museums, der seit lange mit Carbonnier Beziehungen pflegt. Nichts leichter als der Transport. Carbonnier besorgt das vortrefflich. Eine Flasche wird mit Wasser zur Hälfte gefüllt; die Fische werden hinein gethan; der Hals der Flasche wird mit doppelter Leinwand zugebunden und nun dieselbe in das Netz des Waggons gestellt; nach der Fahrt von Paris nach Genf sind die Großflosser so munter wie vorher. Im Laufe des Winters sprang während der Nacht ein Männchen aus dem Glase und verendete; zwei Weibchen starben an den Krämpfen, wahrscheinlich weil sie im letzten Herbste ihren Laich nicht hatten absetzen können. Der Abgang wurde durch Nachsendung von Paris ersetzt. Es war fast komisch zu sehen, wie die neuen Ankömmlinge empfangen wurden. Die Männchen erschöpften sich in Demonstrationen mit Radschlagen und Flossenspreizen und führten ihre neu angelangten Bräute in dem Aquarium umher; das bisher verwittwete Weibchen schmiegte sich zuthunlich an den gestrengen Eheherrn, der es anfangs wenig beachtete, nach und nach aber sich herbeiließ, ihm schön zu thun und seine Flossenpracht zu zeigen.

Alles ging gut, bis vor etwa vier Monaten (ich schreibe dies Mitte Juni) Herr Lunel beobachtete, daß sein altes Paar nicht in geordneten Verhältnissen lebte. Das Weibchen wurde heftig von dem Männchen verfolgt, gebissen und gestoßen, ja selbst an den Flossen gepackt und umhergeschleift. „Ungestümer Liebeseifer!“ dachte Herr Lunel, dessen Aquarium in einer noch geheizten Stube stand, während die unsrigen, wo nichts Aehnliches sich zeigte, in kühlem Raume sich befanden. Aber eines Morgens fand er das Weibchen halbtodt und blutend am Boden des Aquariums; das eine Auge war ausgerissen; ein Pfropf von Blutgerinnsel und zerstörten Geweben füllte die Augenhöhle. Das grausame Ungethüm, das die That begangen hatte, triumphirte radschlagend im Wasser umher und stieß von Zeit zu Zeit nach der Unglücklichen, die sich tiefer unter den Pflanzen zu bergen suchte.

Herr Lunel trennte das zwistige Paar. Das Weibchen erholte sich; die Wunde verharschte, und ein schwammartiger Stumpf zeigte sich in der leeren Augenhöhle. Die beiden Fische waren durch eine gläserne Scheidewand im Aquarium getrennt. Ein gutes Verhältniß schien sich nach einiger Zeit angebahnt zu haben. Sie stellten sich von beiden Seiten her mit den Köpfen gegen die Scheidewand, nickten sich zu, machten gleichzeitig dieselben Bewegungen – kurz betrugen sich wie die anderen, nicht durch Scheidewände getrennten, in Eintracht lebenden Paare. „Hm!“ dachte Herr Lunel, „die Laichzeit naht heran; es ist für den Fisch ebenso wenig gut wie für den Menschen, daß er allein sei.“ Die Scheidewand wurde entfernt – die Eintracht schien ungestört. Liebenswürdiges Betragen ließ die besten Hoffnungen für eine glückliche Zukunft aufkommen.

Aber das Unerwartete trat ein. Herr Lunel bat mich vor einigen Tagen, am Morgen herüber zu kommen, um sein Aquarium zu sehen. Der Unfisch (wenn man so nach dem Vorbilde des Wortes „Unmensch“ sagen kann) hatte dem armen Weibchen das andere Auge auch ausgerissen und, nicht zufrieden damit, sogar den Stummel in der früher verödeten Augenhöhle entfernt. Ein vollendeter Augenarzt hätte die beiden Augenhöhlen nicht besser durch eine Operation entleeren können.

Natürlich abermalige Trennung. Das geblendete Weibchen hat sich erholt; das Wundfieber war mäßig und hat nicht lange gedauert. Das verstümmelte Thier schwimmt, wie vorher, im Wasser umher. Wir werden versuchen, es am Leben zu erhalten, und prüfen, ob ihm der Tastsinn genügt, seine Nahrung zu suchen und zu finden.

Was sagt der Leser zu dieser verbrecherischen That, die sich wiederholte? Die Psychologie der Fische ist noch wenig ergründet. Es öffnet sich hier ein Blick in ein dunkles Feld. Kann man annehmen, daß die Individualität unter den Fischen schon so weit ausgebildet sei, um grausame Wütheriche, Blaubarte und Borgia’s zu erzeugen neben liebenden Ehegatten und zärtlichen Vätern? Und wenn dies, welcher specielle Grund konnte hier vorliegen, der die zweimalige Unthat hervorrief? Der Hunger konnte es nicht sein – die Fische waren reichlich genährt. Die Eifersucht auch nicht, denn die Beiden waren in einem besonderen Aquarium isolirt, ohne störende Nachbarschaft. Auch das Betragen des Weibchens gab keinen sichtlichen Anlaß – es war, wie das aller übrigen Weibchen, zuvorkommend und unterwürfig, wie es wohlgezogenen Ehefrauen geziemt. In der allgemeinen Natur der Großflosser liegt die Grausamkeit auch nicht; das andere Lunel’sche Paar, in demselben Zimmer gehalten, beträgt sich friedlich. Meine drei Paare sind wahre Muster von Verträglichkeit, und Carbonnier hat bei Tausenden, welche er gezüchtet hat, niemals etwas Aehnliches beobachtet. Ist es eine unbewußte That, hervorgegangen aus Hartmann’scher Philosophie? Oder eine Darwin’sche Zuchtwahländerung mit Tendenz zur Ausbildung einer neuen Raubfischgattung? Hat hier, in diesem speciellen Falle, die Absonderung im Sinne von Moritz Wagner gewirkt, oder, da auch die Fische zu den Ahnen des Menschen gehören, kann man annehmen, daß hier ein prophetischer Sündenfall zum Bösen geführt und zum Verbrechen verleitet hat? Endlich aber, welche Reihe von Gedanken und Schlüssen mögen in dieser Fischseele sich abgespielt haben, bevor sie zu dem seltsamen Endresultate kam, daß die Blendung des Weibchens, die gänzliche Zerstörung des Augenlichtes, eine für den Thäter unbedingt gebotene Handlung sei?

Ich will die Lösung dieser Fragen Anderen überlassen. Der Thäter ist einstweilen zu Einzelhaft verurtheilt, die hoffentlich zu seiner moralischen Besserung das Ihrige beiträgt.




Blätter und Blüthen.

Aus Lima geht uns folgendes Schreiben zu: „Diejenigen Ihrer Leser, und es mögen ihrer nicht wenige sein, die mit dem Namen Peru den Begriff der intolerantesten Priesterherrschaft verbinden, werden nach Durchlesen der folgenden Zeilen zugestehen müssen, daß wir Wilden doch besser als unser Ruf sind, daß es auch hier ‚dämmert‘ und daß die Morgenröthe der Toleranz und der Befreiung von Roms Herrschaft auch diesem Lande bald leuchten dürfte.

Wir haben heute einen Vorkämpfer der Gewissensfreiheit, einen großen Mann begraben, der stets nur das gewollt, wofür jetzt in Deutschland jeder freie Mann kämpft; ich sage wir, denn auch die Deutschen in Lima haben sich mit Eifer bemüht, dem Todten, soweit es ihnen gestattet war, die letzten Ehren zu erweisen: Deutsche haben ihn getragen und deutsche Klänge haben die Grablegung begleitet. Am 9. Juni starb der Doctor der Theologie Francisco de Paula Vigil, der einzige Peruaner, dem das Unglück – Andere nennen es Ehre – zu Theil wurde, von Rom mit dem großen Bannfluche bestraft zu werden.

Vigil wurde am 13. September 1792 in Tacna geboren und von seinen Eltern in strengster Weise für seinen von vornherein bestimmten Beruf, den Priesterstand, erzogen. Nachdem er bis zum Canonicus der Kathedrale von Arequipa gestiegen war, nahm er eifrigen Antheil an den Freiheitsbestrebungen des Volks zur Losreißung vom spanischen Joch, und als das Land frei war, wurde er als Abgeordneter für seinen Geburtsort in den ersten Congreß erwählt. Während seiner politischen Laufbahn hat Vigil stets kräftig und meist erfolgreich gegen die despotischen und dictatorischen Gelüste mancher Präsidenten der Republik gekämpft und war immer ein Streiter für die wahren Interessen des Landes, der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 547. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_547.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)