Seite:Die Gartenlaube (1875) 548.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


auch von seinen Gegnern, wegen seiner offenen und ehrlichen Kampfesweise, geachtet wurde. Im Jahre 1845 zog er sich von dem Felde der Politik ganz zurück, erhielt die bis zu seinem Tode innegehabte Anstellung als Bibliothekar an der Staatsbibliothek in Lima und lebte nun nur noch dem Studium und dem Unterricht.

Von jener Zeit an begann seine schriftstellerische Thätigkeit, und es erschien eine Reihe tiefdurchdachter Werke, von denen die folgenden die bedeutendsten sind: ‚Vertheidigung der Autorität der Regierungen und der Bischöfe gegen die Anmaßungen Roms‘, ‚Die Jesuiten‘ und ‚Cultusfreiheit‘, Werke, deren Titel den Inhalt genugsam andeuten. Schon das erste zog ihm die Blitze des Vaticans und seine Verdammung zu, die er aber mit Geduld über sich ergehen ließ, indem er auf alle noch so gehässigen Angriffe seiner klerikalen Gegner nur immer wieder mit fleißig zusammengetragenem historischem Materiale, mit Anführung von Thatsachen und einfach bescheidener, aber schlagender Logik antwortete.

Als Mensch hat Vigil ein wahrhaft exemplarisches Leben geführt; von seinem bescheidenen Gehalte gab er den größten Theil als Almosen an die Armen, und seine freien Stunden benutzte er bis zu seinem im dreiundachtzigsten Jahre erfolgten Tode, um armen Studenten unentgeltlich Unterricht und Rath bei ihren Studien zu ertheilen.

Als vorgestern sich die Nachricht von seinem Tode verbreitete, geschah dies gleichzeitig mit dem Zusatze, daß in allen Kirchen die Pfarrer sich geweigert hätten, die Leichenmesse zu lesen und die Erlaubniß zur Bestattung zu geben. Dieser Umstand trug wohl am meisten dazu bei, daß dem Todten, der im Leben so wenig Ehren genossen, dieselben jetzt in vollem Maße zu Theil werden sollten. Der Stadtrath ermannte sich sofort und befahl die Beerdigung auf dem Friedhofe trotz der Einsprache des Klerus, und nun folgten Kundgebungen aller Art, die der Bevölkerung Limas wahrlich Ehre machen. Der Congreß erklärte den heutigen Tag für einen ‚Nationaltrauertag‘; alle Geschäfte und Läden waren während des ganzen Tages geschlossen und eine unübersehbare Menschenmenge drängte sich seit dem frühen Morgen auf die Plaza Bolivar, wo das Trauerhaus liegt, um von dort aus das Gefolge bis zum Friedhofe zu bilden. Den Zug eröffnete die Musik der italienischen Feuerwehr; dann folgten die verschiedenen freiwilligen Feuerwehren in Paradeanzug, der Sarg, abwechselnd von dem Gefolge getragen, die nächsten Angehörigen des Verstorbenen, Adjutanten des Präsidenten der Republik, die Deputationen vom Congresse, vom Stadtrathe, der Universität, der Freimaurer, der Gewerbeschule, des deutschen Vereins, der Lehranstalten, genug Abgeordnete aller in Lima bestehenden Vereine und Verbindungen und schließlich Tausende von Privatleuten.

Am Grabe wurden Reden gehalten. Ein Männerchor sang den ‚Tag des Herrn‘ von Kreutzer mit deutschem Texte. Erhebend war die lautlose Stille unter den Tausenden, während dieses Lied erklang, dessen feierliche Töne auf dem Friedhofe von Lima wohl noch nie gehört waren.

Alle Zeitungen erschienen gestern im Trauergewande und brachten an ihrer Spitze Leitartikel als Nachruf an den Verstorbenen; nur das Leibblatt des Klerus begnügte sich damit, am Schlusse der Tageschronik, nach den Polizeinotizen über Diebstähle etc., zu sagen: ‚Gestern starb der Dr. Vigil (das Herr war fortgelassen) ohne seine Irrthümer zu bereuen und ohne die letzten Tröstungen der Religion zu begehren.‘ Eine andere Zeitung antwortete darauf: ‚Wahrlich, Ihr Priester, Ihr stehet zu hoch da in Eurer Verblendung und Ueberhebung, als daß Ihr auch nur dem Todten vergeben könntet! Wir rufen Euch als Antwort auf Eure Verachtung des guten Menschen, der gestorben, die Worte zu, die er in seinen letzten Augenblicken mehrfach den sein Sterbelager Umstehenden wiederholte: ‚Beruhigt Euch! Es muß doch Tag werden?‘ Es muß Tag werden.‘

     Lima, 11. Juni 1875.

A. W.“

Deutsche Vanille. Es klingt gewiß sehr sonderbar, daß in den nordischen Nadelwäldern Vanille wachsen und seit Frühjahr 1875 in den Wäldern Thüringens geerntet werden soll, und es ist doch wahr. Wenn wir von Vanille reden, so denken wir an das feine Aroma, welches die meisten Menschen so sehr lieben, daß sie es nicht allein ihren Eisspeisen, Crêmes, Torten, Chocoladen und Liqueuren zusetzen, sondern oftmals sogar das noch feinere Aroma guten chinesischen Thees damit ersticken. Dieser milde, der Nase und dem Gaumen gleich angenehme Duft geht von einem schneeweißen, Vanillin genannten Stoffe aus, welcher aus der Schale recht kräftiger Vanillefrüchte in Masse herauskrystallisirt, und ihre runzlige Oberfläche mit einem glitzernden Ueberzuge bedeckt, den man darum mit Recht als das Kennzeichen einer guten Vanille angesehen und bei schlechter Waare künstlich nachzuahmen gesucht hat. Eben dieser Träger des Vanilleduftes, oder vielmehr das Aroma selbst in verdichtetster Gestalt, läßt sich nun, wie Wilhelm Haarmann und Ferdinand Thiemann, zwei jüngere, im Laboratorium des berühmten Chemikers A. W. Hofmann in Berlin ausgebildete Forscher, im vergangenen Jahre entdeckt haben, künstlich darstellen und zwar aus einem so zu sagen gemeinen Stoffe, der in reichlicher Menge im Safte aller unserer Nadelhölzer enthalten ist. Der Chemiker und Forstmann Th. Hartig hatte vor vierzehn Jahren im Safte des Lärchenbaumes die Gegenwart eines noch unerkannten Körpers nachgewiesen, der in chemischer Beziehung dem Gerbstoffe der Eichen (Tannin) ähnlich ist, dessen ursprünglicher Name „Lärchenstoff“ (Laricin) vier Jahre später in „Zapfenbaumstoff“ (Coniferin) umgetauft wurde, weil ein anderer Chemiker, W. Kubel, gefunden hatte, daß er auch im Safte der meisten anderen Nadelhölzer oder Coniferen vorkommt.

Da das Coniferin am reichlichsten in dem zwischen Rinde und Holz circulirenden Cambialsafte enthalten ist, so wird das Rohmaterial für die Vanillindarstellung am besten durch Abschaben des eingetrockneten Saftes der gefällten und abgeschälten Fichten-, Tannen- oder Kieferstämme gewonnen. Als Kubel im Jahre 1866 den gereinigten Stoff mit Säuren behandelte, bemerkte er bereits das Auftreten eines unverkennbaren Vanillegeruches, aber erst die genannten beiden Chemiker gingen diesem Winke weiter nach und fanden, daß sich der Nadelholzstoff durch Behandeln mit sauerstoffabgebenden Körpern vollkommen in Vanillestoff umwandeln läßt. Man behandelt ersteren zu diesem Zwecke in gereinigtem Zustande mit doppeltchromsaurem Kali und Schwefelsäure, zieht das Product mit Aether aus und erhält das Vanillin nach dem Entfärben mit Thierkohle und Umkrystallisiren als salzartig schimmernde weiße Masse, die vollkommen identisch ist mit derjenigen, welche die Runzeln guter Vanillefrüchte bedeckt. Da diese Tropenfrucht schon immer das kostbarste Gewürz war, welches wir verwenden, und in neuerer Zeit noch im Preise stieg, so versprach der Fund lohnend zu werden, und der eine der beiden Entdecker hat sich nunmehr gänzlich der industriellen Ausbeutung desselben gewidmet.

Neuere Beobachtungen eröffnen ferner die Aussicht, daß man vielleicht den Vanillestoff gar als das Nebenproduct einer in unserm papiernen Zeitalter auf’s Höchste entwickelten Industrie gewinnen wird, nämlich bei der Holzstoffzubereitung für die Papierfabrikation. Da die Lumpen schon lange nicht mehr ausreichten, hat man sich längst nach Bundesgenossen der Leinenfaser umsehen müssen und den mächtigsten derselben im Zellstoffe der Nadelhölzer gefunden, die man zu seiner Gewinnung zerkleinert und bei hohem Dampfdruck mit Natronlauge in eisernen Kesseln behandelt. Sofern nun jener Ausgangsstoff für die Darstellung des Vanillins, das Coniferin, nicht allein im Safte unter der Rinde, sondern auch im jungen Holze enthalten ist, so geht dasselbe in die Lauge über, welche nach ihrer Benutzung mit Säuren versetzt einen entschiedenen Vanillegeruch entwickelt. Es ist daher möglich, daß das Vanillin künftig als reines Nebenproduct der Papierfabrikation gewonnen werden kann, und der Vanillenthee würde dadurch noch in eine neue Beziehung zur Literatur treten. Jedenfalls blüht den Verehrern der Vanille die verheißende Aussicht, ihr Lieblingsgewürz künftig zu viel mäßigeren Preisen beziehen zu können als bisher, und hoffentlich wird damit noch der Vortheil verbunden sein, daß die Vanilletinctur – denn als solche dürfte der neue Sieg der Chemie zunächst in den Handel kommen – niemals die giftigen Eigenschaften zeigen wird, welche man wiederholt, unter freilich noch unaufgeklärten Umständen, an mit Vanille gewürzten Conditorwaaren beobachtet hat.

C. St.

Jagd auf Klapperschlangen. In den „Blauen Bergen“ (Blue Mountains) im Staate Pennsylvanien giebt es, wie wir aus eigener Erfahrung wissen, sehr viele Klapperschlangen, die sich meistens von Vögeln, kleineren Schlangen, Eidechsen, Ratten, Mäusen und Eichhörnchen nähren, die sie mit ziemlicher Leichtigkeit fangen, da es eine bekannte Thatsache ist, daß gerade die Klapperschlange mehr als jede andere Schlange einen gewissen Zauber auf die Thierwelt ausübt. Für die Bewohner der „Blauen Berge“ besitzt die Jagd auf Klapperschlangen wegen der damit verbundenen Gefahren einen großen Reiz, und Viele gehen ihr deshalb nur aus Vergnügen nach. Bei einem Besuche in der Stadt Reading am Schuylkillflusse, in der Nähe der „Blauen Berge“, erzählte man uns Folgendes über die Jagd und das Einfangen von Klapperschlangen: Die Jäger gehen meistens zu Zweien, so daß der Eine zu Hülfe kommen kann, wenn der Andere gebissen wird. Die Stiefel der Jäger sind von dickem und schwerem Leder und die Sohlen derselben mit Gummi überzogen, so daß man geräuschlos und sicher über schlüpfrige und steinige Stellen gehen kann. Die Mittagszeit ist die günstigste für die Jagd, da sich um diese Zeit die Klapperschlangen auf Steinen oder steinigen Plätzen ausstrecken oder zusammenrollen und sich sonnen. Die gefährliche Giftschlange schließt nur selten ihre Augen, und ihr Geruchssinn scheint sehr fein zu sein. Sie beißt in den meisten Fällen nur, wenn sie getreten oder gereizt wird. Die Jäger bedienen sich auf der Jagd eines eisernen Stockes mit einer Gabel an der Spitze, mit der sie den Kopf der erspähten Schlange niederhalten, dann das Thier mit einer hölzernen Zange scharf am Kiefer fassen und hierauf in einen Kasten werfen, über dessen oberen Theil ein dichtes Drahtgeflecht gespannt ist. Wenn die Jäger keine Verwendung für die lebende Klapperschlange haben, dann tödten sie dieselbe und bewahren die Haut als Trophäe auf. Bekanntlich können die Schweine die Klapperschlangen ohne alle Gefahr verspeisen.

R. D.




Bei Ernst Keil in Leipzig ist soeben in dritter Auflage erschienen:

E. Marlitt,
Die zweite Frau.
2 Bände. 7 Mark 50 Pfennige.

Ueber die Buchausgabe dieser berühmten, von allen Gartenlaubenlesern mit Enthusiasmus aufgenommenen Erzählung urtheilt auch das bekannte englische Blatt „Saturday Review“ (Nummer vom 20. März d. J.) sehr günstig und schießt seine Kritik mit den Worten: „Die zweite Frau von E. Marlitt ist äußerst anziehend, klar und kräftig geschrieben und frei von allen eigenthümlichen Mängeln deutscher Novellistik.“



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1875, Seite 548. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_548.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)