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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


sie drückte, aber nichts erwiderte. „Was jährt sich?“ fragte sie abermals ergriffen und in eindringlichem Tone. „Bas’l, mir kommt’s vor, Ihr habt noch was auf dem Herzen, was Euch drückt. Habt Ihr noch was auf dem Gewissen? Soll ich nach dem Pfarrer schicken?“

„Ich hab’ nichts auf dem Gewissen,“ sagte die Leidende, „und doch verlaßt mich der Gedanke nicht; ich hab’ gemeint, ich wollt’ es mit hinunternehmen in die Gruben, aber Du, Kuni, Du sollst Alles wissen. Es jährt sich wieder um die Zeit,“ begann sie, mit Anstrengung athmend, „da bin ich ein junges frisches Ding gewesen, schneidig und übermüthig, das gemeint hat, die ganze Welt gehört ihm und was ich wollt’, das müßt’ nach meinem Kopf geh’n. Deine Mutter ist jünger gewesen als ich und war damals noch ein kleines, halb aufgeschossenes Dirnl’. Du weißt, daß wir nit da heraußen daheim waren, sondern drinnen in den Bergen, wo’s Ammergau zugeht. Da ist ein junger Bursch gewesen im Dorf, der hat mir gefallen, und den hab’ ich mir eingebild’t und mich in ihn verliebt, daß ich von ihm nie hätt’ lassen können und wenn man mich mit Haken von ihm gerissen hätt’. Es hat aber das nicht nothwendig gehabt, denn wenn er mir auch zuerst schön gethan und das Blaue vom Himmel herunter versprochen hat, bald ist er wie umgewend’t gewesen und hat nichts von mir wissen wollen. Eine Bauerndirn’, ein arm’s Madl, das nichts gehabt hat, als wie sie ’gangen und g’standen ist, ist ihm lieber gewesen, als die reiche Bauerntochter. Da bin ich ihm feind geworden, spinnfeind, und auf der ganzen Welt ist mir kein Mensch so verhaßt gewesen, wie er. Er hat sich aber um meinen Haß so wenig gekümmert, als zuerst um meine Lieb’, und statt mit mir ein Bauer, ist er lieber mit seiner Dirn’ ein Holzknecht ’worden und hat sich in einer Klamm’ eine elende Hütten gebaut. Dabei hat er aber neben dem Beil alleweil eine Büchs’ zum Abschrauben in seinem Rucksack getragen und ist dem Wildbrätschießen nachgegangen, die Jäger aber sind alle ’Bot hinter ihm her und kreuzfuchtig gewesen, daß sie ihn nie haben erwischen können, ich selber aber bin seit der Zeit verdrossen herumgegangen und hab’ allen Zorn und alle Gall’ in mich hineingeschluckt, und am liebsten ist es mir gewesen zu der Almzeit, wo ich oft gleich wochenlang kein Menschen zu Gesicht ’kriegt hab’. Und einmal …“

Sie schwieg, als ginge ihr der Athem aus oder als müsse sie sich zusammennehmen, über das, was folgen sollte, hinwegzukommen; auch Kuni lauschte so regungslos, daß man die Fliegen summen hörte.

„Einmal,“ fuhr die Erzählerin fort, „einmal, es ist schon auswärts gegangen, da bin ich hinaus gen Alm und wollt’ in unserem Kaser nachsehn, ob nichts zu richten wär’, weil doch die Zeit, wo man das Vieh auftreibt, nimmer weit war.“

(Fortsetzung folgt.)




Der Schöpfer eines National-Denkmals.

Am Vorabend des Hermann-Festes.

Mit Abbildung.

Durch den Herbstwald nach dem Teutberge schreitend, so hat unser Künstler den Mann, den wir heute feiern wollen, gesehen und die Gelegenheit benutzt, den Schöpfer des Hermann-Denkmals für unser Blatt auf das Papier zu zaubern – den Mann, in dessen Auge man jetzt nicht ohne den Gedanken schauen kann: „Wie bist Du glücklich!“

Ja, er gehört zu den Glücklichen dieser Welt, zu den wenigen Glücklichen, die am Abend ihres Lebens ein Werk vollendet sehen, das sie am Morgen begonnen haben, und ein Werk, dessen Dauer für das, was wir Sterblichen die Ewigkeit nennen, berechnet ist.

Deutschland ist längst nicht mehr arm an öffentlichen Denkmälern, so wenig wie es je arm an denkmalwürdigen Menschen und Thaten war. Hatten aber die herrschenden Dynastien zu allen Zeiten die Kunst zur Verherrlichung ihrer Mitglieder und der Thaten ihrer Kriegs- und Staatsmänner an sich gezogen und Residenzen, Schlösser, Kirchen und Plätze mit Werken der Bildhauerei und Malerei ausgestattet – so währte es um so längere Zeit, bis das deutsche Volk sich zu der Anschauung erhob, daß auch seine Männer, seine treuen geistigen Kämpfer, Förderer und Wohlthäter dieselben öffentlichen Ehren verdient hätten, wie die Fürsten und deren Getreue. Familien, Freunde, Genossen und Zünfte waren wohl immer bedacht gewesen, auch dem Andenken der Ihrigen Monumente zu errichten, nur wagte man mit denselben sich lange nicht aus Kirchen und Friedhöfen hinaus: das Grabdenkmal blieb die letzte Ehre unserer großen Todten, wie es ja immer leidige Sitte des Volkes war, seine verdienten Männer erst nach ihrem Tode gerecht zu würdigen und zu verherrlichen.

Es mußte im deutschen Volke erst Das wieder geweckt werden, was ihm unter dem Druck der jämmerlichen politischen Zustände Deutschlands vom dreißigjährigen bis zum Befreiungskriege nahezu erstickt worden war: der Vaterlandsgedanke, das Nationalgefühl. Erst als es wieder warm in deutschen Herzen wurde, als die edelste und muthigste deutsche Jugend es wagte, dem fremden, von feindseligster Hand zur Zerreißung und Schwächung der alten Reichskraft den deutschen Fürsten erteilten Danaergeschenk der Einzelsouveränetät zum Trotze, ein Banner des deutschen Geistes in der schwarzrothgoldenen Fahne zu erheben, und als, alle Verfolgungen überdauernd, dieses Zeichen zu dem des ganzen Volkes sich aufgeschwungen hatte, erst da brach die Zeit der Denkmäler für des Volkes große Männer an. Seit den dreißiger Jahren sahen wir endlich neben den ehernen und marmornen Bildsäulen der Gefeierten der Throne, des Staats und des Kriegs auch die Gestalten der Männer, die bisher in ihren Werken der Künste, Wissenschaften und Industrien der Stolz der Nation waren, auf hohen Postamenten in Erz und Marmor vor dem dankbaren Volke aufragen.

Nur eine Idealgestalt blieb noch der Huldigung entzogen, weil sie den Souveränetäten zuwider war. Siegesgöttinnen, die ebenso gut als „Borussia“, „Hassia“, „Hannovera“ etc. gelten konnten, waren aufgestellt; eine „Bavaria“ sollte alle überragen, nur für eine „Germania“ war nirgends ein Platz in Deutschland, und darum konnte auch das Denkmal eines an des Reiches Einheit mahnenden deutschen Nationalhelden in jener Zeit kein erfreuliches Loos haben.

Ebenso war aber auch das deutsche Volk zur Einigkeit in der That, sobald sie größere Opfer erforderte, noch immer nicht reif, und nur die großen Mittel in einer Hand vermochten auch in der Denkmalkunst wahrhaft Großes auszuführen. Eines der gefeiertsten von uns soeben genannten Werke deutscher Kunst liefert uns hierfür das Beispiel. Zwei Jahre nach dem ersten Auftreten Joseph Ernst’s von Bandel für den Nationalgedanken eines Denkmals für Armin, den Befreier im Teutoburger Wald, sprach der Baiernkönig Ludwig der Erste den Wunsch aus, vor der baierischen Ruhmeshalle auf der Theresienwiese Münchens eine riesige „Bavaria“ aufzustellen. Im Jahre 1838 begann Ludwig von Schwanthaler seine Arbeit an diesem unvergänglichsten Werke seiner Unsterblichkeit, ein mit Recht beneideter Meister, denn ihm stand Alles zu Gebote, was äußerlich zur Förderung seiner Kunstschöpfung von ihm gewünscht werden konnte. Dagegen war es Bandel’s erste Aufgabe, die Mittel zur Ausführung der seinen, die an Großartigkeit jener gleich stehen sollte, aus den Beisteuern patriotischer Geber aufzubringen. Die Zeit war ihm anfangs günstig. Ein Aufruf, mit welchem eine lithographische Abbildung des von ihm schon 1834 in Berlin vollendeten Gipsmodells des Denkmals verbreitet wurde, fand Anklang und regte werkthätige Theilnahme an; ja diese wurde bedeutend erhöht, als sich mit dem Jahre 1840 der deutsche Patriotismus plötzlich durch die Kriegsdrohungen Frankreichs frisch entflammte. als Becker’s Rheinlied deutsches Nationallied wurde und der Thronwechsel in Preußen auch im übrigen Deutschland neue Hoffnungen auf das längst ersehnte Ende der Bundestagswirthschaft erweckte. Die Gaben flossen reichlich, und schon 1841 konnte der Grundstein zum Unterbau des Denkmals auf dem Teutberge oder der sogenannten Grotenburg bei Detmold gelegt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 554. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_554.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)