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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Plaudereien aus Rom.
Von Hermann Oelschläger.
IV.
Der römische Carneval. – Goethe als Unheilstifter. – Unvermeidliche Citate. – Römische Masken. – Brutalitäten. – Confettischlachten.

Die Gelegenheit scheint zu verführerisch, um hier nicht ein kurzes Wort über den römischen Carneval einzuwerfen, obgleich er im Augenblicke, da ich diese Zeilen schreibe, schon längst zu den Todten dieses Jahres gehört. Viele, und namentlich viele Fremde – sind der Meinung, daß derselbe überhaupt für immer, für die Ewigkeit zu den Todten zähle, aber ich will das nicht glauben. Das heurige Jahr scheint lediglich als eine „Krisis“ für den römischen Carneval angesehen werden zu dürfen, und nachdem er diese glücklich überstanden hat, wie die zwei letzten Tage seines kurzen Daseins bewiesen, so ist zu hoffen, daß er von Neuem einer frohen Entwickelung und Verjüngung entgegengehe, wenn sich die ehrsamen und würdigen Väter der Stadt seiner auch nur ein wenig annehmen wollen. Und das möchte er denn doch verdienen.

Der Deutsche vor Allem freilich fühlt sich, wenn er den römischen Carneval, den Carneval von heute ansieht, auf’s Bitterste enttäuscht. Ihm vor Allem schwirrt noch die bekannte Goethe’sche Schilderung des römischen Carnevals durch den Kopf, die er schon als Kind gelesen und die ihm schon damals eine unbezwingliche Sehnsucht nach dem schönen Italien, nach dem ewigen Rom eingepflanzt hat, und nun, da er die phantastische Herrlichkeit endlich mit angesehen, da er endlich mit erleben durfte, was zu sehen ja lange das heißeste Ziel seiner Wünsche gewesen war, nun fühlt er sich auf das Empfindlichste getäuscht, und seine Unlust über diese Enttäuschung ist um so größer, macht sich um so lauter, um so unverhohlener Luft, je größer die Erwartungen, je höher gespannt die Ansprüche waren, mit denen er seiner Zeit dem endlichen Beginne des Carnevals entgegengesehen hatte.

Und dabei kommt, wie ich oft erfahren mußte, der arme Goethe noch am allerschlechtesten weg, und am Ende hat er allein das ganze Unglück verschuldet. Denn daß zwar der römische Carneval sich seit Goethe’s Aufenthalt in Rom bedeutend verändert hat, und nicht zum Besseren, das giebt Jedermann gern zu; daß er viel von seinem Reize, seiner Pracht, seiner Eigenthümlichkeit verloren, auch das wird ohne Weiteres eingeräumt – aber, wird dann weiter calculirt, der Grund, die Basis ist doch noch da; die Masken sind noch da; die Confetti (ach, wie hatte man sich in Deutschland gerade auf die Confetti so sehr gefreut!), diese abscheulichen confetti sind noch da; die Blumensträuße sind da; die Wagen sind noch da – wie hat Goethe, gerade Goethe mit seinem vornehmen, aristokratischen Sinne an diesem wilden Treiben so viel Geschmack, so viel Freude, so viel Gefallen finden können! Das ist ja, lautet der regelmäßige Schluß dieser oft gehörten Apostrophe, gar nicht zu begreifen, und da sieht man wieder einmal, wie wenig den Dichtern zu trauen und zu glauben ist, namentlich aber wenn sie aus Italien kommen. Denn überhaupt –

Bei diesem verhängnißvollen „denn überhaupt“, das eine durch Nichts mehr einzudämmende Sturmfluth polemischer Reden verheißt, ist es höchste Zeit, der erregten Apostrophe ein Ende zu machen.

„Meine Gnädige,“ falle ich darum schüchtern ein, „Sie haben gewiß in vielen Dingen Recht, wie immer. Aber diesmal dürften Sie Goethe doch zu streng beurtheilen, und wenn es nicht unartig wäre, möchte ich fast der Meinung sein, daß Sie sein römisches Tagebuch doch nicht genau und aufmerksam genug gelesen haben.“

„Wie können Sie das behaupten, mein Herr? Noch kurz vor dem Carneval habe ich mir bei Spithöver auf der Piazza di Spagna Goethe’s römische Reise gekauft.“

„In schönem römischem Einbande?“

„Gewiß, obwohl ich zu Hause selbstverständlich Goethe’s sämmtliche Werke –“

„Im Schranke stehen habe.“

„Jawohl, und habe noch mit allem Fleiße die Schilderung des Carnevals durchgelesen, um ja Alles zu beachten und mir Nichts entgehen zu lassen.“

„Und Sie wissen trotzdem nicht, daß Goethe eigentlich am römischen Carneval durchaus kein Gefallen fand, daß er von dem ganzen breitspurigen Treiben der Narrheit nichts weniger als angenehm berührt war, daß es seinem fein und vornehm organisirten Sinne durchaus widerstrebte, und daß er die beiden Male, da er Augenzeuge davon war, herzlich froh war, wenn es endlich beschlossen, beendigt war, und daß er förmlich aufathmete, sich nun wieder ganz den Freuden der Kunst, der Natur und seines kleinen, sorgsam ausgewählten Freundeskreises hingeben zu können?“

„Das erste Wort, das ich höre!“

Und so bleibt mir denn nichts übrig, als meine Behauptung, an der im Grunde nichts Anderes überraschend ist, als daß sie überraschend ist, durch die einschlägigen Stellen zu bekräftigen und zu erhärten. Am Aschermittwoch 1787 schreibt Goethe: „Nun ist der Narrheit ein Ende! Die unzähligen Lichter gestern Abend waren noch ein toller Spectakel. Das Carneval in Rom muß man gesehen haben, um den Wunsch völlig loszuwerden, es je wiederzusehen; zu schreiben ist davon gar nichts, bei einer mündlichen Darstellung möchte es allenfalls unterhaltend sein. Was man dabei unangenehm empfindet, ist, daß die innere Fröhlichkeit den Menschen fehlt und es ihnen an Geld mangelt, das Bischen Lust, das sie noch haben mögen, auszulassen. Die Großen sind ökonomisch und halten zurück, der Mittelmann unvermögend, das Volk lahm. An den letzten Tagen war ein unglaublicher Lärm, aber keine Herzensfreude. Der Himmel, so unendlich rein und schön, blickte so edel und unschuldig auf diese Possen.“

Bei seinem zweiten Aufenthalte in Rom aber klagte Goethe in einem vom 1. Februar datirten Briefe: „Wie froh will ich sein, wenn die Narren künftigen Dinstag Abend zur Ruhe gebracht werden! Es ist eine entsetzliche Seccatur, andere toll zu sehen, wenn man nicht selbst angesteckt ist.“ Und am nächstfolgenden Tage schrieb er noch: „Die Narren haben noch Montag und Dinstag was Rechts gelärmt. Besonders Dinstag Abends, wo die Raserei mit den Moccoli in völligem Flor war. Mittwochs dankte man Gott und der Kirche für die Fasten.“

Noch schärfer und bestimmter äußert sich Goethe in der Einleitung zu seiner eigenen Beschreibung, indem er „zugestehen muß, daß das römische Carneval einem fremden Zuschauer, der es zum ersten Male sieht und nur sehen will und kann, weder einen ganzen, noch einen erfreulichen Eindruck gebe, weder das Auge sonderlich ergötze, noch das Gemüth befriedige.“

Davon aber, wie er trotzdem dazu gekommen sei, dem Carneval eine so eingehende, lebhafte und farbenfrische Schilderung zu widmen, giebt er gleichfalls Rechenschaft, indem er auf die bei seinem zweiten Aufenthalte gemachte Beobachtung hinweist, „daß dieses Volksfest, wie ein anderes wiederkehrendes Leben und Weben, seinen entschiedenen Verlauf hatte. Dadurch ward ich nun mit dem Getümmel versöhnt, ich sah es an als ein anderes bedeutendes Naturerzeugniß und Nationalereigniß, ich interessirte mich dafür in diesem Sinne, bemerkte genau den Gang der Thorheiten und wie das alles doch in einer gewissen Form und Schicklichkeit ablief. Hierauf notirte ich mir die einzelnen Vorkommnisse der Reihe nach“ etc.

Von dem Vorwurfe also, daß Goethe eine übertriebene Erwartung vom römischen Carneval in dem deutschen Leser anrege, ist er gewiß freizusprechen; wer sich aber von der genialen Darstellung des Dichters allzu rasch hat begeistern und hinreißen lassen, der mag denn am Ende in Rom wirklich zu bereuen haben, daß er die reichlichen „Wenn“ und „Aber“, mit denen Goethe selbst den Verlauf des Carnevals begleitet, im leichtfertigen Hinlesen unbeachtet gelassen hat.

Nun aber hat überdies, wie schon gesagt, der römische Carneval seit Goethe seine Physiognomie total verändert, und man kann nicht behaupten, daß das Gesicht, das er nun zeigt, gewonnen habe und schöner geworden sei. Die festlichen Aufzüge des Gouverneurs und des Senators, mit denen sonst alljährlich der Carneval eröffnet wurde, sind verschwunden; die vornehme römische Welt in ihrer allgemeinen Unzufriedenheit mit den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 556. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_556.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)