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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


No. 34.   1875.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennige. – In Heften à 50 Pfennige.


Hund und Katz’.
Eine Geschichte aus dem bairischen Oberlande.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


„Es ist schon hübsch awer (schneefrei) gewesen,“ flüsterte die Kranke in ihrer Erzählung fortfahrend, „nur diemalen in den Gräben und Gähwinden ist noch der Schnee gelegen, und wie ich von der Alm heruntergeh’, da lauft mir der Bursch in aller Hitzen und in vollem Rennen schier in die Händ’ hinein und an mir vorbei, als wenn er mich seiner Lebtag’ nie gesehen hätt’. In mir ist es heiß aufgestiegen, daß es ihm nit einmal der Müh’ werth gewesen ist, mich nur zu grüßen; er hat sich mit seinem Springstock über eine kleine Klamm in die Felsen hinein geschwung’, und eh’ ich mich recht besonnen hab’, sind schon die Jäger vor mir gestanden, die ihn versprengt und gesucht haben. Ob ich den Holzermartl nit gesehn hab’? haben sie mich gefragt; ich hab’ nichts geantwortet drauf, aber die Achseln hab’ ich hinaufgezogen und nach dem Gewändt hingeschaut und bin meiner Weg gegangen. Am andern Tag hat’s geheißen, daß der Holzermartl am Fuß von einem Gewändt ist todt gefunden worden. Die Jäger haben ihn dahin versprengt; da muß er auf einer Eisglaben ausgerutscht und abgefallen sein. Ich hab’ ihn nit verrathen,“ schloß sie nach kurzem Innehalten, „ich bin nit schuld daran und doch kann ich’s nit verwinden. Ohne mich lebet’ er vielleicht noch heut’ und hätt’ nicht Knall und Fall fortgemußt in die Ewigkeit und weg von Weib und Kind.“

Kuni schauderte und schluchzte laut auf.

„Um wen weinst so bitterlich?“ rief die Kranke wild. „Um ihn oder mich? Er hat doch den bessern Theil, Du weichherzig’s Ding; ich bin seither herumgegangen wie im Traum und habe keine gute Stund’ mehr gehabt. Ich bin inwendig versteint und verbeint worden, wie das Gewändt von dem er abgefallen ist.“

„Und die Feindschaft und den Haß habt Ihr mit herumgetragen, Basl?“ fragte Kuni entsetzt. „Habt Ihr Euch nie nach der Wittib und den armen Waiseln erkundigt?“

„Die sind Alle längst gut aufgehoben in der Ewigkeit,“ sagte die Kranke kaum hörbar.

„Und die Feindschaft und den Haß,“ begann Kuni wieder, „wollt Ihr auch mitnehmen in die Ewigkeit?“

Die Alte faßte nach ihrer Hand und sah ihr lange in’s Gesicht; in ihren Augen ward es helle, wie lange nicht mehr. Ein Gedanke sank wie ein Lichtstrahl in ihre todesumnachtete Seele. „Ich will es nicht thun,“ sagte sie dann, „Dir zu Liebe, Kuni, will ich es nicht thun; mache dort das alte Wandkästle auf und gieb mir die Schachtel her, die Du darin findest! Da sieh her!“ fuhr sie fort, als Kuni ihr das Verlangte gereicht hatte, „das da ist mein Gebetbuch; es ist wohl schon alt; die Blätter sind schon abgegriffen und braun, und die großen Buchstaben hat man jetzt auch nicht mehr, aber es ist ein Erbstück von meiner Mutter und soll ein Andenken an mich und sie sein, weil Du doch sonst nichts von mir annehmen willst.“

Kuni nahm mit dankbarer Regung das alte unscheinbare Buch – dabei fiel etwas aus demselben, was sie nicht sogleich zu erkennen vermochte.

Es war ein halbverrostetes, an beiden Enden etwas eingebogenes Stückchen Eisendraht, an welchem einige Kügelchen wie Betkorallen angefaßt waren.

„Wunderst Dich, was das vorstellen soll?“ fragte die Kranke, mit sichtbarer Erschöpfung und in mühsamen Absätzen. „An dem Weg, wo’s zu dem Gewändt hinein geht, wo er abgefallen ist, da steht ein Marterl an der Straß, wie’s Brauch ist. Unter dem Bild war der Draht mit den Rosenkranz-Korallen, damit die Leut’, die vorbeigehn, für den Verunglückten beten können. … Ich hab’ sie weggemacht – ich hab’ nicht haben wollen, daß die Leut’ beten sollten für den Menschen, der so schlecht war und dem ich so feind gewesen bin. … Willst mir ’was versprechen, Kuni, und willst es halten?“

„So gewiß, wie ich meine Mutter selig in Ehren halte.“

„So nimm den Draht – sobald Du kannst, geh’ in die Berg – suche das Marterl auf – mach’ die Korallen wieder hin – bet’ für ihn ein Vaterunser – und für mich auch!“

Die seltene Gabe entglitt der Hand der Zurücksinkenden. Kuni faßte dieselbe und drückte sie zum Zeichen des Gelöbnisses an den Mund.

Die Kranke lächelte. „Jetzt wird mir erst leicht,“ hauchte sie, „jetzt spür’ ich gar nicht mehr, daß mir noch etwas weh’ thut. … Oh … so leicht.“

Und es wurde ihr leicht – sie wandte sich etwas zur Seite und schloß die Augen, wie zum Schlafe. Sie vernahm und gewahrte nicht mehr, daß Kuni erschreckt die Hausgenossen rief, daß man der Sitte gemäß die Sterbekerze anzündete und Alles in der Stube niederkniete, um der sich befreienden Seele ein Gebet zum Geleit zu geben. –

Mit diesem Tode hatten alle Verhältnisse der Umgebung und insbesondere Kuni’s Stellung zu derselben eine ebenso plötzliche wie durchgreifende Umgestaltung erfahren – was sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 565. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_565.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)