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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


sie noch leben, desgleichen die Geschwister, auch seine gewesenen guten Gönner, Lehrmeister und alte Freunde gebührend grüßen und sie heimsuchen, auch die alte Kund- und Freundschaft erneuern, seiner alten Schulgesellen nicht gar vergessen. Man soll sich „auch wieder in seines Vaterlands ehrliche, löbliche und zulässige Sitten und Gewohnheiten schicken, dagegen die fremden, den Seinigen ungewohnten, lächerlichen Gebehrden, die seltsame fremdländische Kleidung und Haartracht abthun“, sich die Muttersprache wieder „angewöhnen“, von seinen Reisen und Reiseerlebnissen nicht viele und große Worte machen. Mit den in der Fremde gefundenen Freunden und Bekannten soll man in Briefverkehr bleiben. Und was man draußen erlebt, soll man mit den Erzählungen und Schriften Anderer vergleichen und Alles in eine ordentliche Beschreibung bringen. Ueberhaupt aber soll man in seinem Thun sich so verhalten, daß man bald „zu einem Amte und guten Heirath befördert werde, und soll hernach seinen Stand und Beruf mit aufrichtigem Wandel, Treu, Fleiß, Freundlichkeit, Verstand, Weisheit, Nüchternheit und guten Tugenden wohl verwalten, also daß man die Unkosten, Mühe und Gefahr und anderes, so man an seine Reise gewendet und ausgestanden, Gott zu Ehren, dem Vaterlande, sich und den Seinigen zum Besten wohl anlege“.

So der brave Zeiller – etwas ungelenk im Ausdruck und weit hergeholt, aber gut gemeint. Wenn eine Reise – fügen wir hinzu – diese Folgen hatte, dann paßte auf den glücklich Heimgekehrten nicht der alte Vers:

Eine Gans über Meer,
Eine Gans wieder her;
Eine Gans über’n Rhein,
Eine Gans wieder heim.




Zur Naturgeschichte des deutschen Komödianten.
7. Collectenbrüder.


Die Collectenbrüder sind eine so eigenartige Erscheinung innerhalb des deutschen Komödiantenlebens, sie leisten so viel in wehmüthigem Humor und unfreiwilliger Komik, daß es immerhin lohnend ist, ihre nähere Bekanntschaft zu machen.

Gehen wir zunächst ein wenig auf das eigentliche Wesen – oder richtiger Unwesen – der Collectenbrüder ein. Der Collectenbruder ist nur noch Schauspieler „der Collecte wegen“. Man darf keineswegs annehmen, daß er ursprünglich ein talentloser Schauspieler gewesen sei. Im Gegentheile, die Collectenbrüder bestehen meist aus zu Grunde gegangenen Talenten. Dagegen fehlt ihnen vollständig der Charakter, der dem Talente erst seinen Werth verleiht und es entfaltet. Schwache, haltlose Genußsucht, beim Edleren beginnend, um beim durchaus Unedlen zu enden, machte diese Leute meist zu Dem, was sie sind. Nebenbei hassen sie Alles, was man irgendwie mit dem Namen Arbeit bezeichnen könnte. Die Arbeit ist ihr furchtbarster Feind. Außerdem und sie Communisten von reinstem Wasser. Ein wahres Glück, daß ihre angeborene Gutmüthigkeit sie verhindert, das Verlangen nach Theilung anders als in sehr gemüthlicher Weise auszudrücken.

Der Collectenbruder reist immer, findet aber sonderbarer und unglücklicher Weise niemals Engagement. Einzelne unter ihnen capriciren sich auf bestimmte Länder oder Provinzen, die sie für besonders lohnend halten. In regelmäßiger Wiederkehr beglücken sie alle Bühnen dieser Provinz. In ihrer Sprache nennen sie das „eine Gegend abklappern“. Sie haben an alle Bühnen Bekannte oder behaupten wenigstens mit liebenswürdiger Unverschämtheit, solche dort zu haben. „Erinnerst Du Dich nicht, mein Sohn? Wir waren ja vor zwei Jahren in Panken an der Passarge bei dem Galgen-Lindner engagirt.“ – Dieser mit apodiktischer Bestimmtheit auftretenden Anrede fällt der junge Nachwuchs der Mitglieder gewöhnlich zum Opfer, und die, welche den ungläubigen Thomas spielen wollen, werden von dem hartgesottenen Sünder angedonnert: „Aha, merke schon, bist arrogant geworden, Bengelchen – willst einen alten Collegen, der Dir Gehen und Stehen beigebracht hat, nicht mehr kennen – pfui Teufel!“ – Das unglückliche Opfer wankt, um Aufsehen zu vermeiden, so schnell als möglich mit dem „alten Collegen“ in das nächste Wirthshaus, macht für ihn die Collecte, zahlt mehr als jedes andere Mitglied, um sich nicht den donnernden Vorwürfen des „Freundes“ auszusetzen, und athmet erleichtert auf, wenn der Collectenbruder am andern Morgen die Stadt verläßt. Die Nacht über hat es sich der Brave natürlich bei seinem junge Freunde bequem gemacht, und die bescheidene, mit unwiderstehlicher Liebeswürdigkeit vorgetragen Bitte um „ein Hemd, diesen Shlips und jenen Ueberzieher, der Dir ja gar nicht paßt, mein Junge,“ – hat er ihm auch nicht abschlagen können.

Nicht alle Collectenbrüder gehen so energisch auf ihr Ziel los. Die gewöhnliche Art, Collecte zu machen, ist weniger keck. Der Eingewanderte läßt sich im nächsten Wirthshause Papier, Tinte und Feder geben und verfaßt eine mehr oder weniger herzbrechende Epistel an „die hochgeehrten Mitglieder dieser Bühne“. Mit der devoten Bitte nur „Circulation“ wendet er sich dann an den Director, Regisseur oder Inspicienten, findet sich während des letzten Actes wieder ein, um die „unterschriebene Collecte“ in Empfang zu nehmen, überfliegt mit geübtem und prüfendem Blicke die gezeichnete Beiträge, präsentirt die Liste dem Cassirer mit dem tiefen Seufzer eines Armen und Elenden, streicht das Geld mit zitternden Händen ein, thut sich sofort einige Seidel, respective Liqueure an und verschwindet dann spurlos bis – „zum nächste Male“.

Nicht selten findet man unter den Collectenbrüdern Leute, die früher zu den Berühmtheiten gehörten, den Directoren die Cassen gefüllt und Tausende selbst eingestrichen haben. –

Im Jahre 1862 standen wir, eine Anzahl jüngerer Mitglieder des Leipziger Stadttheaters, während einer Opernprobe vor dem alten Theater. Da nahte sich uns mit unsicherem Schritte und einknickenden Beinen eine höchst fragwürdige Gestalt.

„Was mag der Jude hier wollen?“ begann Einer von uns, auf den Herannahenden deutend. „Die Messe ist doch längst vorüber.“

Der Näherkommende schien allerdings zu den Glaubensgenossen aus Jaroczyn oder Schrimm zu gehören, welche in oft unglaublicher Toilette zur Meßzeit Leipzigs Brühl frequentiren. Er trug einen in den letzten Zügen liegenden, ehemals grauen Ueberzieher, ein buntes, baumwollenes Halstuch, zu kurze, jeder Farbe spottende Beinkleider, an dem rechten Fuße einen absterbenden Stiefel und am linken einen halb genesenen gestickten Hausschuh. Den beulenbedeckten Zylinder trug er im Nacken. Das Gesicht zeigte unverkennbar den jüdischen Typus.

Die Gestalt war an uns herangetreten und fixirte uns mit einem halb listigen, halb verworrenen Blicke. Dann fragte sie mit einem leichten Anfluge jüdelnder Sprechweise:

„Ich hab’ die Ehr’, meine Herren. Sie sind gewiß Collegen?“

Wir schauerten.

„Collegen?!“ fragte Einer zweifelnd.

„Mein Name ist Gädemann.“

Gädemann! Da stand er vor uns, von dem uns die Tradition schon so viel erzählt hatte, der berühmte „Heymann Levi“ in Angely’s Posse: „Paris in Pommern“. Er war nur durch diese Rolle berühmt. Er hatte sie „geschaffen“, und sie hatte ihn zu einem gesuchten Virtuosen gemacht, der Deutschlands Städte triumphirend durchzog und Tausende von Thalern einheimste. Die beleidigte Kunst, die Denjenigen, der virtuosenhaft nur eine oder einige Rollen „cultivirt“, niemals zu ihren wahren Jüngern zählen wird, wurde gerächt durch den Menschen Gädemann. Nach einer an Geld und Triumphen reichen Periode sank der schwache, haltlose Mann tiefer und tiefer und gehörte schon seit geraumer Zeit zu den ausgesprochenen Collectenbrüdern. So stand er vor uns.

„Mein Name ist Gädemann. Sie werden mich kennen – ich bin im Unglück – ich komme nirgends mehr zum Spielen,“ und mit einer Art Galgenhumor setzte er halb wehmüthig hinzu: „Man will den Heymann Levi nischt mehr sehen.“

Wir schwiegen und hatten wohl Alle die gleichen Gefühle.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 591. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_591.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)