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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


vorbeidrängen, dem Hause zu. „Zeit und Weil’ sind ungleich, und die Leut’ sind es auch.“

„So bleib’ doch nur!“ rief er herzlich, „jetzt seh’ ich’s erst, wie Du blaß bist …“

„Blaß bin ich immer; das kommt von der sitzenden Lebensweis’.“

„Aber Du hast ja verweinte Augen! Was fehlt Dir denn?“ fuhr er fort und erfaßte ihre Hand. „Ich laß Dich nit fort, Julei. Du mußt mir sagen, was Dir fehlt; ich muß wissen, ob ich Dir nit helfen kann.“

„Nein,“ sagte sie, eifrig bemüht, ihre Hand frei zu machen. „Du kannst mir nit helfen. Laß mich geh’n, Zachariesel!“

„Das muß ich sagen, das ist eine saubere Aufführung für einen Hochzeiter!“ rief plötzlich der Grubenmüller, der mit Mechtild und einem Theile der Hochzeitgäste hinter ihnen stand. Zachariesel’s langes Ausbleiben hatte sie veranlaßt, den Vermißten aufzusuchen; war doch schon das dritte Glockenzeichen gegeben und ein Ministrant mit springendem Chorrocke gelaufen gekommen, der vom Pfarrer die Anfrage brachte, wo denn die Hochzeitleute blieben. „Wir sitzen in der Stube und warten und warten und schauen uns fast blind, und der saubere Bräutigam steht im Garten und spengelt (thut schön) mit einer Anderen, als wenn gar keine Braut auf der Welt wär’!“

Bei dem ersten Laute hatte Julei ihr Geschirr weggeworfen und war laut aufschluchzend durch das hintere Gartenthürchen entschwunden. Niemand achtete darauf, nur der alte Hochzeitlader folgte ihr, eilend aber nicht minder unbeachtet. Er wußte nun, warum das Mädchen es nicht zuwege gebracht, an der Hochzeittafel aufzuwarten.

Als wäre ein Blitz herniedergefahren und hätte sie sammt und sonders zu Bildsäulen umgeschmolzen, so regungslos standen die Parteien einen Augenblick sich gegenüber, Zachariesel auf der einen Seite allein, verwirrt und unentschlossen, betroffen von dem Ungewitter, das sich plötzlich über ihm entlud, auf der andern Seite eine kaum übersehbare Schaar ergrimmter, entrüsteter, schadenfroher und das Lachen nur noch mühsam unterdrückender Menschen. Aus der Thür und den Fenstern der Küche glotzten die Köpfe neugieriger Mägde; den Hintergrund bildeten die verwitterten und verschmitzten Mienen der spottlustigen Musikanten.

„Wie ist’s? Kriegt man eine Antwort oder nicht?“ rief der Müller wieder, Mechtild aber, die jetzt erst wieder zu Athem kam, unterbrach und überschrie ihn. „Was braucht’s da noch fragen und antworten?“ sagte sie. „Ich für meinen Theil habe genug gesehen und gehört; ich will nichts wissen von einem Menschen, der eine Viertelstunde vor der Copulation noch mit einer Nahterin, mit einer hergelaufenen Person beisammensteht und ihr die Hände drückt. Ich kann mir denken, was das zu bedeuten hat.“

Ein Wink ihres Vaters unterbrach den Redestrom; der Alte gedachte des bedungenen Reugeldes, und wenn es zum Bruche kommen sollte, mußte doch immer Zachariesel es sein, der das entscheidende Wort sprach und also die zweitausend Gulden zahlen mußte. Die Vorsicht war indessen überflüssig; wohl war der Hochzeiter eine Weile verblüfft da gestanden, und gleich den Bewohnern eines aufgestörten Bienenstocks schwärmten und summten ihm die Gedanken um den Kopf, wie er dem beschämenden Auftritte ein Ende machen und einen Ausweg aus dem Irrsale finden könne, das ihn von allen Seiten umgab. Mechtild’s letzte Reden aber hatten den Bann, der auf ihm lag, wie mit einem Rucke, gebrochen; wie ein Vorhang, der ihm die Aussicht versperrt hatte, riß es vor ihm entzwei, und ein klar einfallender Sonnenstrahl erhellte die Bahn des Entschlusses, der ihm allein übrig blieb.

Die Schimpfworte, welche Julei zu Theil geworden, hatten die Schleußen seines Grimmes gezogen und gaben der Strömung freien Lauf.

„Was das zu bedeuten hat?“ rief er, indem er sich durch die braunen Ringelhaare fuhr und so beherzt vortrat, daß der Müller erschrocken vor ihm zurück wich. „Das soll bedeuten, daß mir gerade noch im letzten Augenblicke die Augen aufgegangen sind. Das will bedeuten, daß ich nichts wissen will von einer Frau, der mein ehrlicher Name zu schlecht ist, von einer Frau, die brave ehrliche Menschen deswegen, weil sie arm sind, verunehrt und schimpft, von einer Frau, die mein liebes altes Mutterl unterm Dach einlogiren will – daß es mir im letzten Augenblicke wie ein Stein vom Herzen gefallen ist, daß ich selber nicht gewußt hab’ was ich will, daß Du mich niemals wirklich gern gehabt hast, so wenig als ich Dich, und daß ich unserm Herrgott dank’, daß ich zu der Einsicht gekommen bin, eh’ es zu spät gewesen ist. Und wenn es zehntausend Gulden wären anstatt zwei, und wenn ich in der nächsten Minute in Taglohn gehen müßt’, ich zahl’ das Reugeld, aber zum Altar geh’ ich nicht mit Dir; jetzt auf einmal weiß ich, wie’s in mir inwendig ausschaut und zu wem ich gehör’.“

„Das verlangt Niemand von Dir zu wissen,“ rief Mechtild mit vor Zorn fast tonloser Stimme, „hast nicht Ursache, anderen Leuten den Strohsack vor die Thür zu werfen, es hätte doch Niemand nach Dir verlangt. Jetzt kann man freilich Alles auf einmal verstehen. ‚Laß mich gehen, Zachariesel!‘ wie die Person das gesagt hat! Wie süß! Und auf Du und Du ist sie mit ihm! Also deswegen ist es so hart gewesen, den Namen Zachariesel abzulegen. Da hast Du Deinen Hochzeitsstrauß! Nimm ihn und gieb ihn Deiner Landfahrerin! Viel Glück, Zachariesel, zu der Scheerschleifer-Hochzeit!“

Sie riß die Blumen vom Mieder und zertrat sie; der Müller aber rief mit einer Stimme, als wäre er Nachtwächter und müsse Feuer schreien: „Einspannen, Wirth! Die Leut’ alle sind Zeugen, daß er zurückgegangen und von seinem Wort umgestanden ist, nicht meine Tochter, so sehr sie dazu Ursach’ gehabt hätte. Einspannen! Keinen Augenblick bleib’ ich länger in dem Haus’!“ Der Wirth trat ihm in den Weg und wollte an die bestellte Mahlzeit erinnern; die Musikanten umringten ihn und mahnten an den Lohn für die Tanzmusik, die nun in die Brüche gegangen. Er aber brach sich mit Gewalt Bahn, indem er sie mit den Ellenbogen bei Seite drängte und rief: „Das ginge mir justament noch ab! Haltet Euch an den sauberen Hochzeiter! Der hat Alles zu Wasser gemacht; der muß für Alles herhalten. Da beißt die Maus keinen Faden ab.“

Die Anweisung war nicht gut zu verwirklichen, denn auch Zachariesel hatte einen günstigen Moment benutzt, sich durch das Hinterthürchen aus dem Staube zu machen, durch das Julei verschwunden war. Ob er es that, um die Entflohene aufzusuchen, oder nur um sich selbst aus dem Gedränge zu befreien, wer war im Stande, es aufzuklären?

(Schluß folgt.)




Zwei deutsche Jubelfeste in Weimar.
Von Robert Keil.
1. Das Karl-August-Fest am 3. September 1875.

Groß und herrlich ist aus Krieg und Sieg das deutsche Reich zu neuem Glanze erstanden; als großer, einheitlicher Bundesstaat, als gewaltiges Kaiserreich hat das deutsche Volk den ihm so lange verkümmerten hervorragenden Platz unter den civilisirten Nationen wieder eingenommen. Aber vergessen wir nicht, daß vor allem die zahlreichen einzelnen Culturstätten es waren, welche die durch alle Gaue, alle Stände verbreitete hohe Bildung des deutschen Volkes und mit ihr die Pflege des deutschen Nationalgeistes ermöglicht haben! Vergessen wir nicht, daß unter all diesen Culturstätten dem kleinen Weimar für alle Zeit der erste und höchste Dank gebührt! Als Wiege der deutschen Kunst – wie einst der Oper, so nachher der Poesie – überhaupt der höheren deutschen Cultur wurde Weimar im Verein mit Jena und dessen hoher wissenschaftlicher Bedeutung aus dem geographischen zugleich der geistige Mittelpunkt Deutschlands. Jena und Weimar wurden, um mich der Worte Schlosser’s zu bedienen, die eigentliche Metropole Deutschlands und erhielten die Bedeutung für unsere Nation, welche London und Paris für die englische

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 600. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_600.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)