Seite:Die Gartenlaube (1875) 644.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

der Moschee Mohammed Ali’s aufbewahrt und nur bei den größten Feierlichkeiten dem Volke gezeigt wird, und gleich hinter ihr – „in ihrem Schatten“, wie sich die bilderreiche arabische Sprache ausdrückt – der Sarg. Von einem christlichen Sarge ist allerdings der mohammedanische durchaus verschieden denn dieser besteht nur aus einem länglichen hölzernen Kasten, der bei den Aermeren sogar nicht einmal einen Deckel hat; in diesen Kasten wird die in Tücher gewickelte Leiche gelegt, die aber bei der Beerdigung herausgenommen wird, denn der Koran verlangt, daß der Körper des Gläubigen ohne Sarg direct in die Erde gebettet werde. Ein rother Shawl bedeckt unterwegs das Ganze, und die weiblichen Särge haben noch am Kopfende, das aber nach vorn getragen wird, eine aufrechtstehende buntumwickelte Stange, die mit Blumensträußen, Flittergold und sonstigen Zierrathen geschmückt ist.

Aehnlich war auch der Sarg der Prinzessin, aber selbstverständlich überaus prächtig und kostbar. Statt des üblichen rothen Kaschmirshawls war derselbe mit einem grünen golddurchwirkten bedeckt, ein Vorrecht, das im Orient nur den Fürsten zukommt, denn Grün ist die Farbe des Propheten. Die eben erwähnte Stange war gleichfalls mit einem ähnlichen Shawl umwickelt und auf ihrer Spitze funkelte ein großes Diadem von Brillanten. Auch sonst war die Stange ihrer ganzen Länge nach mit dem kostbarsten brillantenen Schmucke behängt, man sagte, im Werthe von einigen Millionen Franken, was wir gern glaubten, weil uns der oft an’s Fabelhafte grenzende Luxus der ägyptischen Harems, gerade in dieser Beziehung, genügend bekannt war.

Hinter dem Sarge gingen nach orientalischer Sitte die Klageweiber, in dunkeln Gewändern und dicht verschleiert, wohl gegen hundert; sie erfüllten die Luft mit ihrem stereotypen kreischenden Geheul, langvibrirenden Tönen im höchsten Discant und für ein europäisches Ohr ebenso befremdlich wie unschön. Nach ihnen kamen die Schüler der öffentlichen Volksschulen, wie fast jede größere Moschee eine solche besitzt, es mochten leicht gegen tausend Knaben sein, große und kleine, schwarze, braune und gelbe, und jede Abtheilung von ihrem Lehrer, dem Fiki, geführt. Sie sangen wieder ihre einförmigen Koranverse mit Allah il Allah! – aber, wenn man uns anders recht berichtet hat, so waren die meisten dieser Burschen innerlich recht vergnügt: jeder erhält nämlich bei dieser Gelegenheit vom Vicekönig einen neuen Anzug aus weißem Baumwollenzeuge, mit einem kleinen bunten Gürtelshawl und einem rothen Tarbusch. Da erklärte sich ihre Freude leicht, denn unzählige von ihnen schienen einer solchen Auffrischung ihrer Toilette sehr zu bedürfen. Man kann aber hiernach und nach manchen obigen Notizen schon ungefähr die Kosten berechnen, die eine solche Beerdigung für die vicekönigliche Civilliste mit sich bringt und die wir in runder Summe auf zehntausend Pfund Sterling anschlagen hörten.

Auf die Schuljugend folgten nun noch die Effendis in langen Reihen, sowohl untere Beamte der verschiedenen Ministerien und sonstigen Behörden und Administrationen, als auch Privatpersonen, und nach ihnen, ganz zum Schluß, das eigentliche Volk in unabsehbaren wogenden Massen.

Damit war der Leichenzug zu Ende, der im Vorüberziehen eine volle Stunde gedauert hatte. Ueber die Ceremonien in der Moschee könnten wir nur nach Hörensagen berichten, da es uns „Ungläubigen“ nicht gestattet war, sie zu betreten. Sie sollen sich übrigens nur auf einige kurze Gebete beschränkt haben; aber der innere Raum unter der großen Kuppel war mit tausenden von Kerzen erleuchtet, die in ihren zierlichen Glasglocken bis an den Abend brannten.

Am nächsten Morgen rollten eine Menge Wagen und Equipagen, mit leichtfüßigen, goldgestickten Läufern voran, aus allen Gegenden der Stadt über die große Nilbrücke nach Gesireh, dem Schlosse des Vicekönigs. Jeder, der irgendwie von nah oder fern zum Hofe gehörte oder sonst ein Anrecht hatte, dort zu erscheinen, beeilte sich, dem Vicekönig seine Condolenzvisite abzustatten. Es wurde aber Niemand vorgelassen, der Khedive – oder sagen wir lieber der Vater, denn das klingt natürlicher – wollte mit seinem Schmerz allein sein: er hatte sein Lieblingskind verloren.




Blätter und Blüthen.

Waldmenschen in München. Wir waren in Innsbruck. Unsere treuen Reisegefährten, Bädecker, Meyer, Grieben, Amthor, alle sprachen so zu uns. „Am Fuße des Berges liegt Schloß Amras oder Ambras, einst Lieblingsaufenthalt Erzherzog Ferdinand’s des Zweiten († 1595) und seiner Gemahlin Philippine Welser etc.“ oder doch so ähnlich. Wir hatten also die Wahl zwischen Amras und Ambras, entschieden uns für erstere Lesart und fuhren hin. Die Aussicht in’s Innthal – gehört nicht hierher; wir genossen sie mit stillem Behagen von der Schloßterrasse, zogen die Glocke am Schloßthore, und ein freundlicher Castellan, vielleicht der Enkel des Enkels von Ferdinand’s Castellan, führte uns im todten Schlosse umher und zeigte uns Alles, was schön war, als das Schloß noch Leben hatte. Wir kamen zwei Treppen hoch in den Corridor links. „Nun bitte, treten’s a bissel daher. Da werden’s schauen in Lebensgröße das Bild eines Mannes, was hat gelebt zu München zur Zeit Ferdinand’s, und das Bild der Frau und das Bild des Sohnes zu dem Manne. Die Frau war wohlgestalt, der Mann hatte lange Haare im Gesichte und am ganzen Körper, der Sohn auch. Nachdem der Großherzog ein Gaudi hatte, wann er curiose Menschen sah, so hat er sich die Familie abmalen lassen.“

So sprach der Castellan, wie er vielleicht schon tausendmal gesprochen hatte. Ich hörte kaum auf ihn und sah starr in das Gesicht des alten Müncheners, in dieses Gesicht mit den langen ruppig büschelförmig stehenden Haaren, in dieses vollständige Affenpintschergesicht, aus dem doch Mund und Augen so sehr klug und gutmüthig hervortraten. Und der Sohn war das treue Abbild seines Vaters, nur einige Nummern kleiner. Wo hatte ich den Münchener schon gesehen? Ich durchlief die Reihen meiner Freunde, meiner Bekannten bis in die letzten Ausläufer – wilde Männer waren nicht darunter. Und doch, doch mußte mir diese Menschenbildung schon nahe getreten sein.

Wir reisten weiter. Gossensaß und Franzensfeste, Hochgall und Schwarzenstein. Alles sehr schöne Alpenbilder, aber sie traten nur neben, nicht vor jenes merkwürdige Menschenbild. Da sah ich in Taufers auf der Wirthstafel die „Gartenlaube“ liegen, umkreist in weitem Bogen von einem ganz schwarzen Manne mit einem kleinen weißen Tonsurfleckchen. Ich aber nahm das Blatt seiner Beunruhigung ruhig in die Hand und – merkwürdige Zickzacke der Erinnerung – ich wußte sofort, wohin ich den Münchener zu thun hatte.

Nach Hause zurückgekehrt, blätterte ich rückwärts die Jahrgänge der „Gartenlaube“ durch; ich brauchte nicht lange zu blättern, Jahrgang 1874, Seite 61, fand ich das getreue Conterfei des Müncheners, nur daß er hier Andrian Jestichew heißt, tief aus dem Innern Rußlands gebürtig ist und noch unter den Lebenden weilt. Genau wie Jestichew dort abgebildet ist, genau so sehen der alte Münchener und sein Sohn aus, alle haben sie ein äußerst kluges, gutmüthiges Affenpinschergesicht. Der Herr Verfasser jenes Artikels „Was uns die Waldmenschen erzählen“ giebt an, daß nach vielfachen Berichten dergleichen Waldmenschen an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten gelebt haben, einen directen Beweis aber, wie ihn nur ein Bild bringen kann, hat der Herr Verfasser nicht liefern können, wenigstens nicht aus eigener Anschauung. Ich freue mich daher, ein solches eclatantes Beweisstück zwar nicht entdeckt, aber doch zur Sprache gebracht zu haben, denn wir haben es hier wiederum mit einer Thatsache zu thun, die im Vereine mit vielen anderen die Darwin-Häckel’sche Lehre vom Ursprunge des Menschengeschlechtes aus dem Gebiete der hohen Wahrscheinlichkeit immer mehr in das der Gewißheit hinüber trägt. Sonderbare Verkettung der Umstände! Jener Mann aus dem stolzen Fürstengeschlechte, welcher der Selbstüberhebung seiner Kaste einen so argen Ruck versetzte und in dreißigjähriger glücklicher Ehe mit der Bürgerstochter den Beweis von der Gleichheit des Menschengeschlechtes antrat, er ging, wenn auch unbewußt, noch einen Schritt weiter und lieferte uns ein Beweisstück dafür, daß das Menschengeschlecht im Gefühle seiner Würde gegen die sogenannten untergeordneten Geschöpfe nur ganz leise auftreten darf.



Kleiner Briefkasten.

G. v. D. Wie gern die Gartenlaube allen Festen von nationaler Bedeutung ihre Aufmerksamkeit und Theilnahme widmet, ist bekannt; nur muß sie, eben ihrer langen Herstellungszeit wegen, ihre Betheiligung weniger in festbeschreibenden, als in festeinleitenden Artikeln zeigen. In dieser Weise ist auch am Karl-August-Feste die Betheiligung in Nr. 36 und 37 bereits geschehen. Eine genaue Festbeschreibung, die doch nur wie ein verspäteter Nachklang aus dem Chorus der Tageszeitungen erscheinen würde, werden unsere Leser uns deshalb gern erlassen.

W. A. in Münster. Es sind uns verschiedene Compositionen des Fallersleben’schen Liedes eingesandt, sämmtlich aber als unaufnehmbar bei Seite gelegt worden.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 644. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_644.jpg&oldid=- (Version vom 30.12.2019)