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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

wenigstens einige Leute sich um diese Fragen bekümmern. (Allgemeine Bewegung.) Herr von Kardorff kehrte sich namentlich gegen den Finanzminister Camphausen, den er „zum Theil als den intellectuellen Urheber unserer wirtschaftlichen Verirrungen“ betrachte. Auf Veranlassung des Finanzministers hatte die Seehandlung im Jahre 1872, während des Gründungsschwindels, der Discontogesellschaft aus den Beständen des Staatsschatzes drei Millionen Thaler gegen 2¾ Procent Zinsen und ohne Unterlage geliehen. Allerdings ein starkes Stück, das sogar die Oberrechnungskammer bemängelte und das nun Herrn von Kardorff zu seiner Philippika reizte. Er bezeichnete die Existenz der Seehandlung als eine verfassungswidrige; er warf ihr vor, daß sie Geschäfte mache, die eines Staatsinstituts unwürdig seien, daß sie jede Bankpolitik gefährde und den Geldverkehr überhaupt durchkreuze. Er verkündigte für die nächste Session einen Antrag auf Aufhebung der Seehandlung.

Im Reichstage wie im Publicum schüttelte man die Köpfe und fragte: was bedeutet das? Nun, es bedeutet, daß die Discontogesellschaft und das große Haus S. Bleichröder, die sonst immer so hübsch miteinander gehen, sich irgendwie veruneinigt haben, oder doch, daß jenes riesige Darlehn gegen so geringen Zinsfuß und ohne jede Sicherheit den Neid und die Eifersucht von S. Bleichröder erweckt hat. Beide großen Häuser haben im Reichstage wie im Landtage ihre Vertreter; die Discontogesellschaft hat ihren Miquel, und S. Bleichröder hat seinen von Kardorff.

Jene Philippika bedeutet, daß die Seehandlung den großen Finanziers ein Dorn im Auge ist, und daß sie allernächstens aus der Welt geschafft werden soll, nachdem sie in den letzten Jahren schon verschiedentlich beschnitten wurde. „Der Staat darf nicht Industrie oder Handel treiben“, ist die ewige Predigt der Manchesterleute, und sie haben ein Staatsinstitut nach dem andern zu beseitigen gewußt. Die Seehandlung mußte die Erdmannsdorfer Spinnerei verkaufen, welche dann Robert Thode und Compagnie und Richard Schweder in eine Gründung verwandelten, deren Actien heute circa 30 notiren. Die Seehandlung muß auch die Leihämter in Berlin aufgeben, damit das Publicum den Vampyren der Pfandleiher und Rückkaufswucherer völlig überliefert werde. Nachdem die Preußische Bank, die theilweise ein Staatsinstitut war, glücklich in die Reichsbank umgewandelt worden, die eine reine Actiengesellschaft ist; nachdem die „Meistbetheiligten“ der Preußischen Bank – das sind die großen Finanziers, die Matadore der Börsianer und Gründer – mit Hülfe der Herren Ludwig Bamberger und Genossen glücklich zu „Reichsbank-Antheilseignern“ erhoben sind, und damit jede Concurrenz todt gemacht ist, soll nun auch noch das letzte Bankinstitut fallen, welches der preußische Staat besitzt – die Seehandlung.





Ein Capitel von der Schwiegermutter.

Die Tischgenossen auf der blüthenumrankten schönen Veranda saßen sich in sehr unbehaglichem Schweigen gegenüber.

„Es wird besser sein, ich kehre morgen wieder nach Hause zurück,“ wandte sich endlich die Schwiegermutter mit leise bebender Stimme an den neben ihr sitzenden Onkel Clemens, während die junge Frau unverwandt vor sich niedersah und ein sehr finsteres Gesicht machte.

„Was fällt Dir ein, Mutter,“ rief der Gutsherr, „das darfst Du uns nicht anthun! Du wolltest den Sommer über hier bleiben und wirst unser Haus nicht so verlassen. Emmy, sage der Mutter, daß Dir das leid thun würde!“ „Wenn meine Worte von vorhin Dich beleidigt haben, so bedaure ich dies sehr,“ kam es kalt und gezwungen von Emmy’s Lippen, und da keine weitere Herzlichkeit nachfolgte, stand Robert auf und nahm den Arm der alten Frau: „Wir gehen ein wenig zu den Anlagen hinüber; bis zum Abend habt Ihr Euren Wortwechsel vergessen, und von der Abreise redest Du mir nicht mehr, Mutterchen, wenn Du mich lieb hast.“

Und er zog seine Mutter in den Garten, ohne noch ein Wort an Emmy zu richten, die sich gleichfalls erhoben hatte und ganz mechanisch die Teller zusammen stellte. Als sie aufblickte, sah sie die großen hellblauen Augen des Onkels prüfend auf sich gerichtet.

„Wollen wir ein wenig nach der oberen Terrasse gehen, liebe Emmy?“ fragte er jetzt. „Ich meine, ein kleiner Erholungsgang könne Dir gut thun.“

Sie nickte stumm, es schimmerte seltsam in den braunen Augen, und sie preßte die Lippen fest zusammen, als sie den dargebotenen Arm ergriff und leicht an des Alten Seite durch den dunkeln Laubgang aufwärts schritt. Plötzlich blieb sie stehen und rief, indem sie hastig den Kopf aufwarf:

„Nein, es ist unerträglich, auf diese Weise zu leben. Fortwährend Rücksicht über Rücksicht nehmen, fortwährend seine Handlungen und Worte und zuletzt auch seine Gedanken fälschen, nur um nicht an diese ewigen kleinlichen Empfindeleien anzustoßen! Ich wußte es ja, was mir bevorstand, und hatte mich mit zehnfacher Geduld gerüstet, aber zuletzt geht sie mir doch aus. Und es soll nun noch wochenlang so fortgehen? Ich kann es nicht ertragen!“

„Was kannst Du nicht ertragen, Emmy?“ fragte ernsthaft Onkel Clemens. „Die erste kleine Widerwärtigkeit nach zweijährigem Glück?“

„Eine kleine Widerwärtigkeit nennst Du es, wenn sie überall herumtadelt und mir das Leben verbittert und zuletzt noch meines Mannes Herz von mir abwendet! So wie heute hat er noch nie mit mir gesprochen, niemals!“ – Und die langverhaltenen Thränen brachen los.

„Kind, Kind,“ sagte der Onkel kopfschüttelnd und zog das schluchzende Frauchen zu sich nieder auf eine Bank – ich kenne Dich seit acht Tagen nicht mehr. Ist das meine heitere verständige Emmy, die den alten Onkel nun schon Monate lang so liebenswürdig pflegt und erträgt?“

„Erträgt!“ lachte Emmy unter ihren Thränen, „Dich, den besten und weisesten der Menschen, vor dem ich mich alle Tage schäme, daß ich so dumm und doch so glücklich bin, während er vom Leben nur Arbeit und Entsagung hatte! Ich möchte Dir immer im Stillen dafür abbitten!“

Der alte Mann lächelte eigen vor sich hin. „Mir kann das Nichts helfen, liebes Kind, ich habe längst mein Glück von den Zufälligkeiten dieser Welt unabhängig zu machen gewußt. Aber Du kommst mir vor, wie Einer, der das regenfeuchte Land nochmals gießt, während nebenan ein gedecktes Beet vertrocknen will.“

„Was meinst Du damit, Onkel?“

„Kannst Du es nicht selbst finden, Emmy? Ist Deine alte, einsame, kränkliche Schwiegermutter so außerordentlich glücklich, daß sie keiner Liebe, keiner theilnehmenden Sorglichkeit bedarf?“

„Was fällt Dir ein!“ rief Emmy lebhaft; „das ist eine ganz andere Sache. Ich lasse es nicht an Respect ihr gegenüber fehlen, zur Liebe aber kann sich Niemand zwingen und es wäre eine recht erbärmliche Heuchelei, dergleichen zu thun. Das ja ganz rein unmöglich!“

„Ja, ja,“ sagte der Onkel leise, „man übt immer nur die Tugenden, die süß zu üben sind, und macht sich dann ein Verdienst daraus. Eine alte Geschichte, ich habe sie schon oft erlebt!“

„Onkel,“ rief die junge Frau, „ich merke es schon die ganze Zeit, Du giebst mir Unrecht, also sage mir nur Alles gerade heraus. Aber es soll mich doch wundern, ob Du behaupten kannst, diese endlosen, langweiligen Geschichten, der alberne Kram von Zahnperlen und Salben für mögliche und unmögliche Wunden, das ewige Beaufsichtigen hinter den Mägden her sei ganz richtig und vernünftig, und nicht vielmehr um aus der Haut zu fahren vor Aerger.“

„Ich behaupte das nicht, mein Kind, obgleich viel größere Menschen als Du und ich in der Welt weit Schwereres ertragen haben, als die stets wohlgemeinten, wenn auch manchmal –“

„Langweiligen!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 676. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_676.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)