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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Ein Herbstmittag im Thiergarten von Berlin. (Mit Abbildung S. 672 und 673.) Der Hochsommer ist vorüber. Berlin ist wieder bei sich selber eingekehrt. Noch aber brütet die helle Septembersonne empfindlich heiß über Straßen und Plätzen, da flüchtet Alles Nachmittags hinaus in den Thiergarten, um den thauigen Schatten des Laubdachs zu genießen, ehe der Herbst es abdeckt, der schon hier und da seine bunten Wahrzeichen darauf geheftet.

Was wäre Berlin ohne seinen Thiergarten? Was wäre es geworden, wenn der letzte Wille Friedrich Wilhelm’s des Zweiten – es war dies eine ausdrückliche Cabinets-Ordre – ausgeführt worden wäre, daß nämlich der Thiergarten sofort abgeholzt werden sollte? Berlins guter Genius hat den unersetzbaren Baumschmuck vor dem Untergange gerettet, und es ist bekannt, welche Vorliebe die späteren Könige ihm zugewandt haben. Da durfte kein Baum, kein Strauch umgeschlagen oder verpflanzt, kein Weg, kein Graben, kurz Nichts durfte gemacht werden, ohne daß die allerhöchste Genehmigung dazu eingeholt worden. So hat der Thiergarten trotz seiner in einzelnen Theilen abschreckenden, verpesteten Sümpfe, trotz seines lybischen entsetzlichen Staubes doch malerische Fußwege, herrliche Partieen erquickender Waldeinsamkeit, stille Solitüden, wo der Lärm des Weltstadtlebens verstummt und nur die Nachtigall flötet, die Taube girrt, der Specht hämmert. Der Thiergarten hat ganze Quartiere luxuriösester, anmuthigster Billen mit den köstlichsten Gärten, lange Straßen mit breitgelagerten Palästen, breite Fahr- und Promenadenwege. Was der Prater für Wien, die Champs Elysées, Bois de Boulogne für Paris, der Hydepark für London – das sind diese Fahr- und Promenadenwege für Berlin. Hier begegnet sich alle Welt. Die vierspännigen Hofwagen mit ihren Vorreitern, lange Reihen prächtiger Equipagen und Gefährte jeder Art, Reiter auf edelsten feurigsten Rossen, Officiere und Damen, Alles rollt und trottirt und galoppirt in den verschiedensten Richtungen an den Promenirenden vorüber, eine kaleidoskopische Kette malerischer Bilder.

Aber wie Alles in Berlin haben auch die Stätten dieser Vergnügungen ihre Wandelungen erfahren. Der fashionabelste aller Promenadenwege ist zur Zeit die Siegesallee, an schönen Herbstagen der Sammelplatz der vornehmen Welt von Berlin und aller Derjenigen, die sich einbilden, ihr anzugehören.

Die große Welt der Reichshauptstadt hält hier jetzt Parade ab über die Toiletten, die noch vor einigen Wochen auf den Promenaden der Bäder und Sommerfrischen von Interlaken bis Helgoland sich stolz entfalteten. In der breiten Avenue, die von der Siegessäule auf dem Königsplatze quer durch den dunkeln Park bis zur Victoriastraße führt, wandelt, rollt und trabt eine reiche Fülle glänzender oder doch in Glanz gehüllter Gestalten an einander vorbei, plaudernd, lächelnd, erkennend und grüßend, eine heitere, mit sich selbst beschäftigte Gesellschaft, die, erfrischt heimgekehrt, wieder neu und interessant geworden und doch mit geheimem Behagen sich im innersten Wesen als die alte empfindet. Unter den glänzenden Equipagen lenken namentlich die Biergespanne der Prinzessinnen Karl und Friedrich Karl die Augen der Lustwandelnden auf sich.

Der Künstler hat sich in dem heutigen Bilde die Aufgabe gestellt, die glänzende Promenadenversammlung in dem Augenblick aufzunehmen, wo die Kaiserin, die es liebt, dann und wann den Wagen zu verlassen und sich mit ihrer jungen anmuthigen Hofdame unter die Promenirenden zu mischen, in der Siegesallee erscheint. Sie schreitet zwischen den Spalieren geschmückter Spaziergänger in würdevoller Haltung hindurch, die huldigenden Grüße von hüben und drüben erwidernd. Folgten nicht in genau bestimmtem Abstande und mit aufmerksamster, dienstbeflissener Geberde zwei mänteltragende Hoflakaien, den beiden Damen, man würde an deren einfacher Promenadentoilette kaum die außergewöhnliche Erscheinung ermessen.

Ringsumher rauschen die aufgebauschten Roben der tief sich verneigenden Berliner Schönen, aber gerade aus schaut der vollbärtige junge Graukopf des wohlbekannten Abgeordneten von der Fortschrittspartei. Nicht weit von ihm hebt ein alter Officier mit tiefdurchfurchtem Antlitz ernst und gemessen die schlachtenlenkende Hand zur schlichten Mütze; es ist Er, der gleich jenseits der Siegessäule, hart am Königsplatze, im Generalstabsgebäude sein Heim hat, in der Straße, die seinen Namen trägt: Feldmarschall Graf von Moltke. Er wandelt still und allein, wenn er noch eine Beziehung pflegt zu irgend einem weiblichen Wesen, so ist es, wie man sagt, die Victoria da droben auf dem weithin ragenden Denkmal der drei jüngsten Kriege. Ist es doch, als winkte sie ihm mit dem vollen Kranze grüßend nach.

J. L.




Warnung. In neuerer Zeit mehren sich die Bestrebungen, eine bisher nur in Oesterreich und theilweise auch in Süddeutschland einheimische Praxis der Ausbeutung des Publicums auch nach Norddeutschland zu importiren.

Ich meine den Schwindel der Ratenbriefgeschäfte, und es ist wohl eine Pflicht der unabhängigen Presse, diesem hauptsächlich von Berlin, Frankfurt am Main und Hannover ausgehenden Treiben durch Belehrung des Publicums von vornherein energisch entgegenzutreten und namentlich das mit derartigen Geschäften nicht vertraute Publicum der Provinz, besonders das Landvolk, vor den überall herumreisenden Agenten dieser Geschäfte zu warnen. Es erscheint nicht unnöthig, die Geschäftsgebahrung dieser neuen Art von Raubrittern etwas näher zu beleuchten. Von irgend einer unter hochtönenden Namen gegründeten, auch ordnungsmäßig in’s Handelsregister eingetragenen Bank oder Commanditgeselschaft oder einem unbekannten Banquier oder Inhaber einer Wechselstube wird, indem man auf die Spielsucht des Publicums speculirt, öffentlich in den Zeitungen zur Betheiligung an gemeinsam gespielten Prämienanleihen[1] gegen ratenweise Zahlung aufgefordert und das Geschäft durch Aussendung zahlreicher Agenten nach allen Richtungen der Windrose, namentlich zur Beglückung der Landbewohner, unterstützt.

Soweit wäre gegen derartige Geschäfte Nichts einzuwenden; die geschickt ausgelegte Leimruthe bethört alsbald zahlreiche Gimpel, denn die ratenweise Zahlung erleichtert dem kleinen Manne außerordentlich die Anschaffung dieser sogenannten Ratenbriefe, und vertrauensselig, wie er ist, beachtet er nicht die vielen Fallstricke, die in dem verclausulirten Schriftstücke für ihn enthalten sind, namentlich nicht den Punkt, daß bei einer auch nur um einen Tag verspäteten Zahlung einer Rate sämmtliche vorher gezahlten Beträge zu Gunsten des Verkäufers verfallen sind. Zudem sind diese Ratenbriefe in ihrer äußeren geschmackvollen Ausstattung wirklichen Werthpapieren auf’s Täuschendste ähnlich, so daß die Käufer bei einiger Unachtsamkeit leicht in den Glauben versetzt werden können, die gekauften Papiere wirklich in Händen zu haben und nicht blos einen Lieferschein auf dieselben.

Die Kehrseite der Medaille zeigt sich den Betheiligten, wenn sie selbst alle ihnen gelegten Fallen glücklich vermieden haben sollten, jedoch erst nach Abwickelung des Geschäfts, in der colossalen Uebervortheilung, die sie dabei haben erleiden müssen. Ich sehe ganz davon ab, daß der Käufer eines derartigen Ratenbriefes bedingungslos vertrauend seine Ersparnisse Fremden übergiebt, ohne Sicherheit dafür, daß die bezeichneten Loose in der That auch angekauft werden, ich sehe ferner ab von der sehr nahe liegenden Möglichkeit, daß, in dem Falle, daß eins der Loose während der Dauer der Ratenzahlungen mit einem Hauptgewinne gezogen wird, die Verkäufer sich ganz einfach aus dem Staube machen und den unglücklichen Käufern das Nachsehen lassen können, und will nur beleuchten, wie ohne Beachtung des Vorstehenden die Käufer derartiger Scheine im günstigsten Falle übervortheilt werden.

Gewöhnlich wird eine Anzahl Lotterie-Anleihen in kleinen Nominalbeträgen, deren Courswerth ein geringer ist, wie etwa Bari, Barletta, Meininger, Freiburger etc. Loose, des größeren Vertrauens halber mit einer Anzahl von Loosen gemischt, deren Courswerth ein größerer ist, wie etwa Oldenburger, Braunschweiger oder Ungarische Loose. An einem Beispiele läßt sich am besten zeigen, wie unverhältnißmäßig groß der Gewinn bei dieser Art von Geschäften ist.

Vor mir liegt ein Ratenbrief einer Firma in Hannover, dessen letzte Ratenzahlung im October 1874 gemacht werden sollte. Nach Inhalt desselben hatte der Käufer für fünfundzwanzig monatliche Zahlungen à 6 Thaler, also für zusammen hundertfünfzig Thaler, folgende Loose zu beanspruchen:

1 ungarisches 50 Gulden-Loos, heutiger Courswerth ca. 28 Thlr.
1 oldenburger 40 Thaler-Loos     45     “
1 braunschweiger 20 Thaler-Loos     25     “
1 sachsen-meininger 7 Gulden-Loos     6½     “
1 bukarester 20 Franken-Loos     5½     “
______________
Summa ca. 110 Thlr.

Es ergiebt sich demnach für den Käufer sofort ein Verlust von vierzig Thalern an hundertzehn Thalern Effectencourswerth. und ich berücksichtige hierbei nicht einmal den Umstand. daß sämmtliche Loospapiere in diesem Jahre eine wesentliche Steigerung erfahren haben und die obenerwähnten Loose zur Zeit der Ausstellung des Ratenbriefes vor etwa zwei Jahren wesentlich weniger als selbst hundert Thaler werth waren. Im Allgemeinen kann man annehmen, daß die Käufer von Ratenbriefen die darin verschriebenen Loospapiere in der Regel hundert Procent, also noch einmal so theuer, bezahlen müssen, als sie dieselben in jeder soliden Wechselstube kaufen könnten. Derartige Geschäfte kann man als legitime wohl nicht bezeichnen, um so weniger als die Verkäufer der Ratenbriefe schließlich bei Abwickelung des Geschäfts häufig die außerdeutschen Loose in Appoints liefern, die nicht mit dem deutschen Stempel versehen und, weil in Deutschland nicht verkäuflich, bedeutend weniger werth sind.

Uebrigens möchte ich noch darauf aufmerksam machen, daß im letzterwähnten Falle die Käufer gut thun würden, die Hülfe der Gerichte in Anspruch zu nehmen, da in Deutschland der Handel mit nicht gestempelten außerdeutschen Loosen verboten und mit Strafe bedroht ist.

M. G.




Noch einmal „Ein Verbrecher unter den Fischen“. Seitdem mein Artikel über den chinesischen Großflosser (Macropodius) in der Gartenlaube erschienen ist, haben sowohl die Redaction dieses Blattes wie auch ich zahlreiche Anfragen aus Deutschland erhalten, wie man sich den Fisch für Aquarien verschaffen könne? Diesen geehrten Herren Correspondenten diene zur gemeinsamen Antwort, daß sie sich an Monsieur Carbonnier, Pisciculteur, 20 Quai du Louvre in Paris, wenden mögen. Der Fisch verträgt, meines Erachtens, die Versendung nach den entferntesten Gegenden, da er selbst in schlechtem, stinkendem Wasser ganz vergnüglich lebt. Da ich Herrn Carbonnier im Anfange October in Paris zu sehen gedenke, so wird es mir ein Vergnügen sein, ihn auf die Bestellungen aus Deutschland aufmerksam zu machen und die nöthigen Vorsichtsmaßregeln mit ihm zu besprechen.

Roscoff (Departement du Finistère), den 15. Sept. 1875.

Carl Vogt.


Kleiner Briefkasten.

Der „Kämpfer für Recht und Wahrheit“ in Berlin wird hiermit ersucht, seinen Namen zu nennen, wenn wir seine anonymen Anschuldigungen unseres Mitarbeiters nicht als Verleumdungen bezeichnen sollen.

M. in Berlin. Wie wir darüber denken? Nun, senden Sie nur das Material an Herrn G–! Er versteht es, dergleichen bestens zu verwenden.

M. Arnolt. Verbrannt!


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig, – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Dies sind Anleihen, welche allmählich durch Verloosungen und mit größeren oder geringeren Gewinnen wieder zurückgezahlt werden, es handelt sich hier also um nichts Anderes, als um eine Lotterie.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 680. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_680.jpg&oldid=- (Version vom 7.10.2021)