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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Festlichkeiten, ferner über die Festhalle, den Gabentempel und die einzelnen Toaste. Empfangs- und Abschiedsfeierlichkeiten haben die Tagesblätter und diejenigen Zeitschriften, welchen durch ihre kleinere Auflage ein rascheres Erscheinen als der „Gartenlaube“ möglich gemacht wird, zur Genüge berichtet. Bei der Schnelligkeit, mit der in unserer Zeit sich die Ereignisse folgen, fängt das Schützenfest sogar schon an, zu den „abgethanen“ Dingen zu gehören. Unsere Aufgabe konnte darum nur darin bestehen, in allgemeinen Umrissen ein gedrängtes Bild von dem Feste zu geben und nach dem Verhallen des Festjubels die Erinnerung an das große fünfte deutsche Bundesschießen in Wort und Bild festzuhalten.

L. N.




Wie Goethe’s „Faust“ auf die Bühne kam.


Als ein alter Sonderling vor zwei Jahren starb und der Stadt Genf eine Anzahl Millionen und eine recht hübsche Diamantensammlung vermachte, wie wunderte sich da alle Welt! Der alte Sonderling, der einer Republik seine Schätze hinterließ, war nämlich in seiner Jugend ein Tyrannunculus vom reinsten Wasser gewesen, so ein kleiner Tiberius an der Oker; mit einem Worte, es war, wie männiglich weiß, der Erzherzog Karl von Braunschweig, welchem am 7. September 1830 mit seinem vom Volke in Brand gesteckten Schlosse aus dem Lande geleuchtet wurde. Der Herzog ging nach seiner Vertreibung nach Paris, wurde dann Demagoge in London und im Jahre 1851 Actionär am Staatsstreiche Louis Napoleon’s. Bei der Gründung des zweiten Kaiserreiches in Frankreich kam er um seine Dividende, denn Napoleon, der dem Herzog versprochen hatte, ihn wieder auf den Thron Heinrich’s des Löwen zu bringen, hielt von seinem Versprechen, was er gewöhnlich zu halten pflegte, das heißt gar Nichts, und Herzog Karl zog sich schließlich grollend nach Genf zurück, wo er starb und die Republik als seine Erbin einsetzte, eine Handlung, welche selbst die lachende Erbin nicht umhin konnte, excentrisch zu nennen.

Nun wohl, dieser durchlauchtige Sonderling war es auch, der das Meisterwerk Goethe’s, den Faust, auf die deutsche Bühne brachte. Das große Publicum glaubt freilich, Goethe selbst habe in Weimar die Initiative der Ausführung seiner Faustdichtung ergriffen. Dem ist aber nicht so. Vielmehr ist die Thatsache, daß der Goethe’sche Faust auf die Theaterzettel kam, ebenfalls eine jener Excentricitäten des „Diamantenherzogs“.

Es war am 31. October im Jahre 1828. Man gab im Hoftheater ein Stück, welches den Titel führte: „Faust. Dramatische Legende in fünf Acten“. Der Theaterzettel nannte den Namen des Autors nicht. Der Verfasser war der um die deutsche Bühne hochverdiente Dr. August Klingemann, der damalige Director des herzoglich braunschweigischen Hoftheaters. Das Stück selbst, welches in Klingemann’s dramatischen Werken zu lesen ist, darf allerdings keinen Anspruch auf genialen, poetischen Schwung machen, aber es ist eine recht gute und geschickt praktische „Zauberkomödie“ und fand den Beifall des braunschweiger Publicums, vor Allem aber den Serenissimi.

Der Herzog war überhaupt, was man „ein Theatermann“ zu nennen pflegt. Oft sah man ihn während der Vorstellungen auf der Bühne, hinter den Coulissen, wo er das Spiel der Darsteller mit heftigen Bewegungen begleitete. Seine Günstlinge wählte er aus der Zahl der Schauspieler, und daß die Damen vom Theater das Contingent der Günstlinginnen stellten, ist auch bei anderen regierenden Herrschaften nichts Neues. War der Vorhang längst gefallen, so sah man den Herzog noch auf den weltbedeutenden Brettern, wo er mit Klingemann, Marr oder Größer – diesen letzten Beiden hatte Karl damals auf kurze Zeit seine Gunst zugewendet – auf und ab promenirte, von Theaterangelegenheiten plauderte und diese Unterhaltungen oft bis lange nach Mitternacht ausdehnte.

An jenem Abende des 31. Octobers 1828 kam Karl enthusiastisch auf Klingemann zugeeilt, klopfte ihm auf die Schulter und rief in seiner kurz abstoßenden Weise. „Bravo! – Bravo, alter Herr! – Haben Sie gut gemacht!“

Klingemann verbeugte sich ehrerbietigst.

„Ja!“ fuhr der Herzog fort, „famoses Stück! – Mich prächtig amüsirt! Gut gemacht, alter Herr!“

Worauf Klingemann:

„Durchlaucht, es ist kein Goethe’scher Faust.“

„Goethe? Goethe?“ fragte Serenissimus, „hat Goethe auch einen Faust geschrieben? „Müssen mal geben!“

Klingemann prallte zurück.

„Durchlaucht, der Faust von Goethe ist allerdings eine dramatische Dichtung, aber nicht für die Bühne geschrieben.“

„Warum nicht? Was meinen Sie, Marr?“

Marr zuckte die Achseln und bestätigte die Meinung Klingemann’s.

„Wollen den Faust von Goethe geben,“ nahm der Herzog wieder das Wort.

„Aber Durchlaucht,“ stammelte Klingemann, „halten zu Gnaden, die ganze Anlage dieser großartigen Dichtung –“

Der Herzog war ärgerlich über den Widerspruch, den er fand, und unterbrach den Sprecher heftig:

„Ich sage Ihnen, wollen Goethe’s Faust geben. Mir morgen das Buch schicken! Will’s selbst lesen.“

Damit rannte der Herzog fort, fuhr in sein Schloß und ließ den verblüfften Director stehen.

„Grundgütiger Himmel!“ – es war dies Klingemann’s Lieblingsausruf – stöhnte der Director, nachdem der Herzog fort war. „Das wird eine schöne Geschichte werden. Was meinen Sie, Marr?“

„Schicken Sie ihm das Buch, Herr Director! Wahrscheinlich liest er es gar nicht und hat die Sache bis morgen längst vergessen.“

„Wenn er es nicht liest, dann setzt er erst recht seinen Kopf auf. Ich wollte, er läse es wenigstens. Es ist ja rein unmöglich –“

„Unmöglich,“ meinte Marr, „ist es nun gerade nicht, aber wie ist das Gedicht für die Bühne zusammenzustreichen, wie werden die Scenen zu arrangiren sein? Und wie wird das Publicum es aufnehmen?“

Man sprach über das Faustthema noch lange hin und her, und am anderen Morgen, bevor noch der Herzog das Bett verlassen hatte, war der Theil von Goethe’s Werken, welcher den „Faust“ enthält, im herzoglichen Schlosse.

Schon um elf Uhr brachte ein herzoglicher Lakai das Buch zurück. Es war mit der Randbemerkung versehen: „Wird aufgeführt. Karl.“

Mit dem üblichen „Grundgütiger Himmel!“ stürzte Klingemann in Marr’s Wohnung und theilte diesem den herzoglichen Kunstukas mit. Marr, der sich inzwischen mit dem Gedanken an die Darstellung bereits vertraut gemacht, hatte die Besetzung schon entworfen. Den Faust sollte Schütz geben, derselbe, welcher etwa fünfundzwanzig Jahre später Director des braunschweigischen Hoftheaters wurde. Marr würde den Mephisto spielen, Frau Berger, eine vortreffliche tragische Liebhaberin, das Gretchen etc. So gratulirte Marr Klingemann zu dem Ereigniß und zu dem Ruhme, der Bearbeiter des Goethe’schen Faust zu werden.

Der ängstliche Klingemann aber zitterte noch immer vor dem Wagniß. Er schrieb an Goethe nach Weimar einen unterwürfigen ausführlichen Brief, in welchem er Seiner Excellenz den Willen des Herzogs mittheilte, aber hinzufügte, er, Klingemann, könne aus Pietät und Verehrung vor dem Dichter die Sache nicht vorsichtig genug anfassen und ersuche deshalb Excellenz von Goethe um seine gütigen Winke und Andeutungen, wie das Werk in seinem, des Dichters, Sinne darzustellen sein dürfte.

Die Posten ließen sich damals Zeit. Nach beinahe vierzehn Tage erst traf die Antwort Goethe’s ein; der Brief, den wir selbst seiner Zeit gelesen haben, ist leider verlegt worden. Er lautete übrigens fast wörtlich:

     „Euer Wohlgeboren!
Die Antwort auf Ihr Schreiben vom 4. November, daß meine Werke im Druck erschienen und Gemeingut des Publicums geworden sind. Ich füge hinzu, daß ich mich seit langer Zeit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 694. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_694.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)