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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Spiritistischer Gespenster-Humbug in der neuen Welt.

Es ist interessant zu beobachten, wie der eingeborene Amerikaner, der so gern mit bedauerndem Achselzucken vom Aberglauben der alten Welt redet, selbst eifrig bemüht ist, mit seinem Gemüthe und seiner Phantasie aus der puritanischen Oede seiner religiösen Anschauungen in die Regionen des Uebersinnlichen zu flüchten, um dort einige Entschädigung für diese vernachlässigten Geistesanlagen zu finden. Die gebildete Minorität hält sich in Amerika, wie überall, vom groben Aberglauben fern, und es ist hier deshalb nur von der großen Masse des Volks die Rede, welches durch die eigenthümliche Kargheit seines religiösen und inneren Lebens überhaupt, sowie die praktische Einseitigkeit seiner äußeren Existenz von einem heiteren Gemüthsleben ausgeschlossen wird. Aus diesem Grunde fehlen rationelle Vergnügungen, ein für die gesunde Entwickelung des Volkslebens so wichtiges Element, in Amerika zur Zeit noch ganz, aber man kennt dafür die aus diesem Mangel entspringende Langeweile, welche die arbeitenden Classen befällt, wenn ihnen in Feierstunden nicht die nöthige, noch so einfache Erholung geboten wird. Der Sonntag wird dem Amerikaner durch seine religiösen Vorurtheile gänzlich verkümmert, denn das Heitere und Angenehme, meint er, sind Schlingen, in welche der Böse arglose Menschenkinder zu ihrem Verderben lockt. Abtödten läßt sich im Menschengeist nun aber das natürliche Verlangen nach dem Schönen, Heiteren und Guten nicht, und so treibt unwillkürlich die Langeweile zu Grübeleien, an denen die Vernunft wenig Antheil hat, bei denen aber Phantasie und Gemüth ihre verkümmerten Rechte geltend machen und meist den Grübler mit überzeugender Wärme in Gebiete fortreißen, in die zu folgen sich die gesunde Vernunft und das gebildete Urtheil entschieden weigern.

Aus dieser künstlichen Starrheit entwickelte sich vor ungefähr zwanzig Jahren die Geisterklopferei und brach sich zündend Bahn bis in die entferntesten Winkel der Union; alle Confessionen beeilten sich, ihre Beziehungen zur Geisterwelt herzustellen und auf’s Dauerndste durch kräftige Vermittler, „Medien“ genannt, zu befestigen. Man rückte und klopfte Tisch nach Herzenslust. Die Unwissenden, und leider auch Viele, von denen man Besseres erwarten konnte, schwelgten in dieser Aufregung, und die Charlatanerie beutete aus, was die Dummheit etwa auszunützen unterlassen hatte. Bekanntlich durchlief dieses Phänomen verschiedene Stadien. Zuerst blieb es beim Tischrücken und -Klopfen, dann fing man an, als Medium zu schreiben und zu wahrsagen; bald darauf waren die unsichtbaren Geister auf’s Lebhafteste gegenwärtig, hoben Tische, Pianos, selbst Menschen vom Erdboden in die Höhe und spielten sogar allerlei Instrumente. Darauf ließen sich ganz vernehmlich Stimmen der Geister hören; nun dauerte es nicht mehr lange, und man konnte die Gespenster schon photographiren. Den Höhepunkt erreichte jedoch in jüngster Zeit dieser Schwindel in der Verkörperung der Geister oder der „Materialisation“, wie der hiesige Kunstausdruck heißt, ein Proceß, der stattfindet, indem die Geister vom Medium die nöthige Lebenskraft entlehnen, um auf Augenblicke in ihrer einstigen körperlichen Gestalt zu erscheinen. In England und Amerika ist der Humbug in dieser Beziehung auf’s Vortheilhafteste thätig gewesen.

Im Staate Vermont hat seit einiger Zeit eine Familie Eddy durch ihre groben Kunststücke die Gläubigen in Erstaunen gesetzt, während in Philadelphia ein Ehepaar Holmes das Publicum mit seinen Geistervorstellungen in Aufregung hielt, bis der Berichterstatter einer dortigen Zeitung den Monate lang getriebenen Betrug entlarvte und die Gläubigen beschämte, indem das ganze Verfahren durch eine der Betheiligten eidlich vor Gericht bloßgestellt wurde und damit der rand- und bandlos gewordenen Phantasie einstweilen wieder Schranken gezogen wurden.

Ich lasse hier eine Person selbst reden, die sich längere Zeit einem glaubenskühnen Publicum als verkörperten Geist präsentirte. Folgende Aussage wurde beschworen und unterschrieben von dem Ehrbaren W. H. Hanna, Richter des Weisengerichts, und von glaubenswürdigen Zeugen bestätigt. Also lassen wir das Exgespenst reden:

„Ich bin im Staate Massachusetts geboren und werde dem Publicum gegenüber ‚Katie King‘ heißen, da mein wahrer Name Niemand von Interesse sein kann. Im März 1874 miethete ich in der Nord 13. Straße in Philadelphia ein Haus mit der Absicht, eine Pension zu eröffnen, wurde aber beim Ankaufe der Möbel, die ich mit dem Hause übernahm, so betrogen, daß ich sie einbüßte und nach einigen Wochen mein kaum eröffnetes Haus schließen mußte, da ich fast all mein baares Geld bei diesem Handel verloren hatte. Während dieser Zeit wurde ich mit Herrn und Frau Nelson Holmes bekannt, die, eben aus England zurückgekehrt, bei mir logirten. In meiner schlimmen Lage schlugen sie mir vor, ich solle ein anderes Haus miethen und es mit dem Wenigen, was ich noch habe, möbliren. Sie wollten dann auch ferner bei mir in Pension bleiben und mir mit der Miethe aushelfen. Ich ging auf diesen Vorschlag ein. Wir mietheten ein Haus; die Zimmer im zweiten Stocke behielten sich Herr und Frau Holmes vor, und hier fingen sie an, ihre berühmt gewordenen ‚Geistersitzungen‘ zu halten, obgleich Katie King, die ihnen diese Berühmtheit verschaffte, aus guten Gründen erst später auftrat. Sobald wir das neue Haus bezogen, wurde sogleich ein Cabinet eingerichtet, in welchem sich die Geister ‚verkörpern‘ sollten. Dieses Cabinet war im vordern Zimmer, wo die ‚Sitzungen‘ gehalten wurden, und bedeckte im Dreieck die in der Ecke befindliche Eingangsthür zum hintern Zimmer, das Herrn und Frau Holmes als Schlafzimmer diente. Besagtes Cabinet war inwendig mit schwarzem Zeuge ausgeschlagen und mit einer Thür zum Gebrauche des Mediums, die in’s Vorderzimmer führte, versehen; auch waren zu beiden Seiten derselben zwei kleine Fenster, etwa sechs Fuß über dem Fußboden, angebracht, die gleichfalls mit schwarzen Vorhängen verwahrt wurden, denn zu viel Licht ist diesen Vorstellungen gefährlich.

Die Kundgebungen des Mediums, Frau Holmes, fingen gewöhnlich mit den bekannten ‚dunkeln Sitzungen‘ an. Doch ehe das Zimmer verdunkelt wird, läßt sich das Medium von den Anwesenden das Versprechen geben, sich den nöthigen Bedingungen zu fügen, die darin bestehen, daß man sich gegenseitig ‚bei den Händen halten, möglichst still sitzen und die Füße nicht zu weit vorstrecken soll‘. Es muß ganz still sein; zu reden ist nicht erlaubt, nicht einmal zu flüstern. Frau Holmes, die bei diesen Vorstellungen die Hauptrolle spielte, forderte gewöhnlich Jemanden unter den Anwesenden auf, ihr die Hände nach Gutdünken mit einem Seile zu binden, und war ein Ungläubiger zugegen, so nahm er gewöhnlich die Aufforderung an. War Alles bereit, so setzte sie sich an einen Tisch, der an der einen Seite des Zimmers fest gegen die Wand stand; auf diesem Tische befanden sich Guitarren, gewöhnliche Tischklingeln, Castagnetten etc. Das Zimmer wurde dann vollständig verdunkelt; die Vorstellung begann mit Gesang, in den man die Anwesenden einzustimmen bat. Manchmal wurde auch eine Strohfiedel oder ein sonstiges Instrument zur Eröffnung der Sitzung in Anwendung gebracht.

Bald nach Beginn der Musik läßt sich unter den Instrumenten auf dem Tische eine große Störung wahrnehmen, und der erste Geist, der sich hören läßt, ist ‚Dick‘, ein vor dreizehn Jahren im Marinehospital verstorbener Matrose. Dick spielt auf der Guitarre, schellt mit den Klingeln, hängt die Castagnetten einem der Anwesenden um den Hals und begeht viele andere Abgeschmacktheiten. Dann kommt ‚Rosa‘, die sagt, sie gehöre dem Stamme der Choktaw-Indianer an, sei vor dreizehn Jahren im fünften Lebensjahre vom Blitze erschlagen worden und bei ihrem Tode nur achtzehn Zoll hoch gewesen. Man giebt an, daß Rosa das Medium magnetisire und sich dann ihrer Sprachorgane bediene, um das Publicum anzureden. Ihre ganze Unterhaltung ist im höchsten Grade lächerlich, ebenso wie die der folgenden Geister fast blödsinnig zu nennen ist und einem intelligenten Menschen geradezu Ekel einflößen muß. Eine sechszehnjährige Erfahrung im Bauchreden Seitens des Herrn Holmes erklärt alle diese Erscheinungen.

Nachdem diese Posse zu Ende ist, beginnt die ‚helle Sitzung‘. Herr Holmes verfügt sich nun von innen durch eine vom Schlafzimmer aus angebrachte Geheimthür in’s Cabinet und verriegelt die Thür nach dem Publicum. Nur ein sehr

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 702. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_702.jpg&oldid=- (Version vom 9.5.2017)