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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

auch unter den schwierigsten Verhältnissen Störungen im Verkehrsleben abgewendet zu haben.

Auch an erheiternden Zufällen fehlt es in der Bahnpost nicht. Zu diesen trägt vor allen die Beförderung lebender Thiere bei. Was wird da nicht alles mit der Post versandt! Das Seltsamste, was mir in dieser Beziehung vorgekommen ist, waren zwei allerliebste junge Waschbären. Besonders häufig sind Vogelsendungen. Fast auf allen diesen Sendungen befindet sich eine Bemerkung, durch welche die Postbeamten ersucht werden, die Vögel mit Wasser zu versehen.

Gewiß wird jeder Postbeamte dem Ansuchen, Thiere zu tränken, gern entsprechen; naiv dagegen ist das ebenfalls nicht seltene Verlangen: „Man bittet, den Vögeln unterwegs etwas Futter zu verabreichen.“ Vergebens sieht man sich nach einem vielleicht irgendwo niedergelegten Reservevorrath um; wahrscheinlich ist in solchen Fällen vom Absender angenommen, daß die Postbeamten Hanf oder Mehlwürmer bei sich führen.

Ich bin am Schlusse meiner Schilderung. Möge sie das Resultat erzielen, daß im Verkehr des Publicums mit der Bahnpost in Zukunft folgende sieben Punkte besser beachtet werden als bisher:

1) Anwendung der Postanweisung bei Versendung von Geldbeträgen bis zweihundert Mark auf Entfernungen über zehn Meilen, eventuell durch Telegramm.

2) Vermeidung zu kleiner Briefe. (Das richtige Format ist durch die Postbriefumschläge angezeigt.)

3.) Sorgsame Verpackung der Waarenproben mit feinkörnigem Inhalte.

4.) Man gewöhne sich, auf Postkarten immer zuerst die Adresse zu schreiben.

5.) Die Bahnposten führen Postkarten, Freimarken und Briefumschläge zum Verkaufe mit sich.

6.) Bahnhofsbriefe!

7.) Vor Allem aber gewöhne man sich, den Bestimmungsort auf dem Briefe deutlich anzugeben und die Lage unbekannter Orte durch einen geeigneten Zusatz näher zu bezeichnen.

Durch Beachtung dieser Punkte wird man sich den Dank aller und besonders der Bahnpostbeamten verdienen, von deren schwerem Berufe diese Skizze ein ungefähres Bild entworfen hat.

Wilhelm Keihl.



Der Gottesbegriff in der Geschichte.[1]

Bald nachdem in einem Kinde das Organ für die innere Sammlung und Anschauung der äußeren Eindrücke durch die Sprache zu einem Hinausgehen über die unmittelbarsten derselben befähigt ist, sobald es anfängt, abgeleitete Vorstellungen zu bilden, beginnt es seine Eltern mit den kindlichen Fragen zu belästigen: wer Abends den Mond anzünde, und wer die Bäume gemacht habe etc. Geweckte Kinder setzen die Eltern mit ihre ewigen Fragen in Verlegenheit, und die Wenigsten unter den Letzteren denken daran, daß sich auch in diesem Vorgange der Menschenentwickelung nur ein altes Naturgeheimniß wiederholt, jene ersten Versuche des Wunderkindes dieser Welt, sich klar zu werden über sein Verhältniß zu den Außendingen, über den Ursprung und Zusammenhalt der Dinge. Und da Niemand da war, der dem Urmenschen auf seine naheliegenden Fragen irgend eine beruhigende Antwort ertheilen konnte, so machte er sich selber eine Weltanschauung nach seinem Zuschnitte, wie sich im Grunde auch heute Jeder die seinem Verstande entsprechende Weltanschauung, die nach einem Durchschnittsmaße in den Schulen geliefert wird, wie einen Schuh „austritt“. Darnach müßte es so viel Weltanschauungen wie Menschen geben, doch da sich diejenigen der beieinander lebenden Personen ausgleichen, so gab es naturgemäß ebenso viele grundverschiedene, wie es Sprachstämme giebt, bis Einzelne, die weiter gekommen zu sein glaubten, die ihrigen Andern mit sanfter oder stürmischer Gewalt aufzwängten. Allein die Weltspiegelbilder der verschiedensten Stämme haben, wenn man auf eine gleiche Bildungsstufe zurückgeht, eine erstaunliche Aehnlichkeit, und sicherlich wiesen diejenigen der Steinmenschen ehemals dieselbe allgemeine Uebereinstimmung in allen Welttheilen, wie später diejenigen der Bronzemenschen und schließlich die des Eisenalters. Denn Dasjenige, was wir für die freieste, zügellos schaffende Macht in der Welt ansehen möchten, ist die menschliche Phantasie; sie folgt in ihren Schöpfungen bestimmten Naturgesetzen, die wir Denkgesetze nennen, und der Gedanke erhebt sich in demselben Schritte zu einer höhern Stufe, wie der Denker.

Wo wir immer Nachfrage halten mögen bei Völkern, die heute gewaltsam aus der Steinzeit herausgerissen werden, immer finden wir dieselben in einer Weltanschauung begriffen, die man als den höchsten Grad des Spiritualismus bezeichnen muß. Dem Naturmenschen ist die gesammte Welt ohne Ausnahme durchseelt, Sonne, Mond und Sterne, Luft, Feuer und Wasser, Mensch, Thier, Pflanze und Stein. Versuchen wir es, uns über den Grund dieser die Wahrheit unter rohen Bildern verbergenden Anschauung Rechenschaft zu geben, so finden wir ihre Veranlassung in einem sehr einfachen Denkvorgange, der an die tiefgeheime Wunde der Menschheit anknüpft, an ihre Sterblichkeit. Was ist für ein Unterschied zwischen jenem Menschen, der vor einer Stunde lebte in aller Kraft, und nun daliegt, kalt, bewegungslos und starr? Mit einem letzten, langen Athemzuge ist die Kraft und die Wärme plötzlich von ihm gegangen, sollte da ein Etwas ihn verlassen haben, was den Körper sonst bewegte? Solche Eindrücke und Fragen waren es, die, durch Wahrnehmungen an den Thieren, die der Urmensch täglich in ihrem Todeskampfe beobachtete, unterstützt, die erste leicht umrissene Skizze des Begriffs einer lebenverleihenden Seele bildete, um durch das Traumleben ihre dunkle Schattirung zu erhalten. Der im festverschlossenen Steingrabe beigesetzte Vater tritt Nachts munter wie je an das Lager des Sohnes, spricht wie sonst zu ihm und zerfließt beim Erwachen langsam in Luft. Es bestätigt sich also, daß dieses vom Körper getrennte, seine Gestalt erborgende Etwas unsterblich war und für sich weiter lebt, der Manendienst (Todtendienst) tritt unmittelbar in’s Leben, während der Götterdienst erst fern am Horizonte auftaucht.

Ich glaube nicht, daß man den zwingenden Einfluß des Traumlebens auf den grübelnden Verstand des Urmenschen und seinen ersten Cultus bisher genügend in Rechnung gezogen hat. Der Verstorbene lebt also weiter, er bedarf seiner Kleider, Waffen, seines Rosses und seiner Diener. Denn da er in seinen Kleidern und mit seinen Waffe erschien, so haben auch diese Dinge etwas von ihnen ausgehendes Geistiges, und man muß Roß und Diener dem Herrn an seinem Grabe opfern, damit er sich frei ihrer Geister, wie vordem der Leiber, bedienen möge; man muß die Gattin mitverbrennen, damit er in seinem neuen Zustande nicht ohne ihre Hülfe sei. Schon in den Grabstätten der ältesten europäischen Steinzeit begegnet man den unverkenbarsten Spuren dieser naheliegenden Anschauung, wenn dieselbe auch nicht überall zu Menschenopfern geführt haben wird. Aber die Waffen des Verstorbenen, so werth sie den Ueberlebenden sein mußten, die Bärenkeule, von deren Geist er sich zunächst nähren konnte, finden sich in ihren Spuren überall im Grabe. Sogar die Wohnung überließen viele Völker den Gestorbenen.

Und das Naturkind fragt sich weiter: sollte der Vater, der seine fortdauernde Liebe durch die Traumbesuche zeigt, nicht auch in seiner von den Fesseln des Leibes befreiten Gestalt mehr Macht gewonnen haben, uns zu schützen und zu helfen? Sollte der Häuptling, der so tapfer und so besorgt im Leben

  1. Obigen Artikel entnehmen wir einem in den nächsten Wochen bei Gebrüder Bornträger in Berlin unter dem Titel „Werden und Vergehen“ erscheinenden Buche unseres Bewährten Mitarbeiters Carus Sterne. Er bildet den Eingang des „Religionen und Weltanschauungen“ betitelten zwanzigsten Capitels dieses geistvollen Werkes, welches die Hauptergebnisse der neueren auf Natur- und Weltanschauung bezüglichen Forschungen zu einem knappen, aber in sich abgeschlossenen Gesammtbilde zusammenfaßt und dabei einen zugleich natur- und culturgeschichtlichen Weg einschlägt. Der denkende Leser wird dieses Buch freudig begrüßen und mit Enthusiasmus lesen; enthält es doch hochinteressante und durch Form und Inhalt gleich ausgezeichnete Beiträge zur Natur- und Religionsgeschichte, was namentlich von den Capiteln „Die Jugendzeit der Thierwelt“, „Die Entwicklung der Sprache“ und dem oben im Auszuge mitgetheilten Abschnitte gilt.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 710. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_710.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)