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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Person ein altes gramgebeugtes Mütterchen war, dem eine Thräne im matten Auge glitzerte und das noch immer Gebete zu lispeln schien.

Bewältigt von den heute erlebten Eindrücken und eingedenk des in jenen Gauen landläufigen inhaltsschweren Sprüchwortes: „Schwer lebt sich’s dem Weibe, das des Mannes Waffen trägt,“ sprach ich, von Mitleid tief gerührt, zu meinen Genossen:

„Auch ein Mütterchen, das wohl nicht weniger Leid erfahren hat, als die Wittwe Petrovic’s.“

„Fürwahr, so ist es auch,“ erwiderten diese, „denn – sie ist es selbst.“

Dem ganzen Eindruck der Umgebung entsprechender hätte ich nicht zu der alten merkwürdigen Brücke geführt werden können. Sie ist sehr alt und gewiß noch in den Jahren der frühesten serbischen Freiheitskämpfe entstanden, also in jenen Zeiten, in welchen ein Häuflein muthiger Krieger das heutige Montenegro begründete.

Die Stelle ist mit großem Geschick gewählt. Das Bett der Drina ist hier ziemlich breit. Bei Hochwasser steigt sie daher nicht so rasch, daß Gefahr für die Brücke entstünde. Mächtige Felsblöcke, welche sich einst von der steilen Felslehne des Brlac lösten oder die Gipfel jenseitiger Berge krönten, liegen zur Hälfte im Flußbette begraben. An ihrem oberen Theil brechen sich im Frühjahre schäumend die Wellen, ohne diese Kolosse wie die kleineren Felstrümmer in die niederen Thäler fortwälzen zu können.

Fest im Boden eingekeilt und von eigener Schwere gebannt, ruhten sie vielleicht Jahrtausende, ehe der erste Versuch wechselseitigen Verkehrs gemacht, das erste Bret über sie gelegt wurde. Aus schweren Klötzen scheinbar zufällig, ist doch alles erfahrungsgemäß nach dem Gesetze der Festigkeit in einander gefügt, aber, wie auch leicht erklärlich, nach den zerstreut liegenden Blöcken in Zickzacklinien, so daß auf den schiefen, holperigen Trittflächen es oft einiges Balancirens bedarf und man ein geborener Herzegowiner sein müßte, um auch im Dunkel der Nacht die Ferse gefahrlos darüber setzen zu können.

Wahrscheinlich dem Schutze der Evangelisten allzu viel vertrauend, halten es die heimischen Passanten für genügend, das improvisirte Geländer aus Weidenruthen nur stellenweise hingeflickt zu haben; sobald man auf der Mitte jeder Biegung angelangt ist, muß man mit der anderen Hand das jenseits liegende Geländer mit richtigem Griffe erfassen, wenn man nicht ein unfreiwilliges Kaltbad in der Drina nehmen will.

Der Sage nach sollen sie Moracaner erbaut haben, welche später über die Gebirgskämme nach der Czernagora gingen. Sie war ehedem die einzig sichere Passage, welche die Bewohner der Niksic-Drobnjaker und Grubolitzer Planinen hatten, und ist auch für die heutigen Gebirgsbewohner noch von einer gewissen Bedeutung, da diese gegen die Betretung der breiteren Türkenstraßen und Brücken stets einen leicht erklärlichen Widerwillen hegen. Weiß es doch das arme Bergvolk nur allzu gut, daß auf solchen Straßen die Türken in fürsorglicher Weise von Festung zu Festung nur Kanonen führen, welche, seit sie das Arsenal verließen, nur gegen die Unterthanen gerichtet werden, denen die beim Bau jener Zwingburgen erhaltenen Schwielen bis jetzt nicht vernarbten.

Die Brücke ist auch ein vieljähriger Zeuge blutiger Kämpfe. Beim wandelbaren Kriegsglücke drangen die Türken auch bis zu dieser Stelle und übten hier ihre Zerstörungswuth. Sie zerbrachen wiederholt das Kreuz und verstümmelten bis zur Unkenntlichkeit auch die Evangelistenfiguren an den Pfählen, aber die christlichen Kämpfer richteten schon am ersten Siegestage das Kreuz mit blutenden Armen desto höher empor, und ihr frommer Sinn beeilte sich, mit den schönsten Blumen und Kränzen die Wundmale desto reicher zu schmücken, welche oft genug mit thränengenäßten Bändern von unglücklichen Müttern und Bräuten, die ihre Gefallenen hier betrauern, umweht und umschlungen sind. – So stimmt die rauchgeschwärzte Färbung der Brücke uns düster, aber sie stimmt mit der Geschichte des Landes überein. Die oft geschürte Flamme konnte die Brücke nie ganz verzehren, und so ist sie heute noch die Wahlstätte jüngerer und vielleicht glücklicherer Streiter. Mancher sonngebräunte Bergsohn sammelte mit findigem Auge in diesem Brückengehölz schon als Knabe fehlgeschossene Türkenkugeln, um sie, kaum zum Jünglinge gereift, im neuergrimmten Kampfe seinem Erzfeinde wohlgezielter zurückzusenden, und unter dem Bilde des Kreuzes stählt sich auch jetzt der Muth dieser Falkensöhne zur Heldengröße und läßt in ihrer Brust das Feuer des Glaubens und der Freiheit nicht erlöschen.




Keine Ueberschwemungen – kein Wassermangel mehr.
Ein amerikanisches Heilmittel.


Ich sehe das Nasenrümpfen meiner Leser, den spöttischen Ausdruck ihrer Mienen beim Lesen der etwas kühnen Ueberschrift dieses Artikels. Die Amerikaner sind ja als Humbugger und Uebertreiber weltbekannt. Ich will ihnen diese Eigenschaften nicht abstreiten, aber sie haben würdige Nebenbuhler und sogar Besieger in allen Herren Ländern.

Man wird ihnen jedoch nicht abstreiten können, daß sie die Probe ihrer oft windig genug aussehenden Probleme mit einer Großartigkeit und Nichtberücksichtigung des Kostenpunktes versuchen, die Staunen erregt, und welcher Anerkennung nicht versagt werden kann. Denn was ist angesichts des Fortschrittes der letzten fünfzig Jahre noch unmöglich? Nichts! Alles ist blos Frage der Zeit, das heißt der Arbeit und des Geldes.

Bei den meisten Lesern darf ich als bekannt voraussetzen, daß der bei New-York sich in den atlantischen Ocean ergießende prachtvolle Hudsonfluß, im Adirondakgebirge entspringend, so ziemlich den ganzen Staat New-York von Norden nach Süden durchströmt. Die ungeheuren Schneemassen, welche sich während der dortigen langen und strengen Winter in den genannten, noch ganz unbebauten Gebirgen ansammeln und im Frühjahre unter dem Einflusse der dem westlichen Continente überhaupt eigenthümlichen plötzlichen Temperaturwechsel fast alljährlich mit starken Regengüssen schmelzen, verursachen häufig verwüstende Ueberschwemmungen. Andererseits reicht, insbesondere während trockener Sommer, die Wassermasse des Hudson und seiner Nebenflüsse nicht aus, um den Anforderungen zu entsprechen, welche die Binnenschifffahrt, die Canalisation, die Industrie und die Ackerwirthschaft an sie machen.

Es drängte sich die Frage auf: giebt es kein Mittel, um während einer Periode des Jahres die mindestens nutzlos, oft aber zerstörend abfließende werthvolle Wasserkraft zu bannen, aufzuspeichern, um während der Perioden der Wassernoth das durch die Trockenheit wesentlich verminderte Wasserquantum des Hauptflusses und seiner Zuflüsse so anzuschwellen, daß die wichtigsten Zweige der gesellschaftlichen Industrie keinen Nachtheil erleiden?

Gewiß ist diese Frage keine specifisch amerikanische, so wenig wie die Verhältnisse, welche sie hervorgerufen, nur der neuen Welt eigenthümlich sind. Allein die Art, wie man ihrer Lösung näher zu rücken suchte, ist specifisch amerikanisch. Die Nation ist entstanden, gewachsen und groß geworden im täglichen Kampfe mit den elementaren Kräfte eines wilden Landes; dieser Kampf ist das Lebenselement des Einzelnen wie der Gesellschaft, und wo der Europäer und der europäische Staat vor dem „riesengroßen“ Ungeheuer „hoffnungslos“ die Hände in den Schooß legen und das anscheinend Unabwendbare über sich ergehen lassen, da erhebt sich in den Vereinigten Staaten der Einzelne wie der Staat, wenn auch noch so oft niedergeschmettert, immer wieder zu neuer Anstrengung und läßt nie die Hoffnung auf Erfolg sinken.

Der Sommer 1874 war in den sechs Neuengland- und den vier Mittelstaaten, von welch letzteren New-York einer ist, so ungewöhnlich trocken gewesen, daß, hätte die Trockenheit noch vierzehn Tage angehalten, die Canalschifffahrt unterbrochen worden wäre. Unter dem Eindrucke einer solchen Calamität wies die gesetzgebende Versammlung des Staates eine Summe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 719. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_719.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)