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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Weimars Glanzzeit, zu denen auch der 1860 von der „Gartenlaube“ besprochene charakteristische Kupferstich „Karl August bei Goethe“ (im Urbinozimmer des Goethe-Hauses, in Betrachtung einer Victoria-Statuette) gehört, folgten jene sinnig und mit historischer Genauigkeit componirten, mit virtuoser Meisterschaft gestochenen Luther-Bilder, welche ihn weit über Deutschlands Grenzen hinaus bekannt und beliebt machten. Wie viel tausend Augen und Herzen haben sich an dem traulichen Weihnachtsbilde „Dr. Luther im Kreise seiner Familie zu Wittenberg am Christabend 1536“, an „Luther’s Ankunft auf der Wartburg, 4. Mai 1521“, an „Luther’s Vermählung, 13. Juni 1525“, an „Luther’s (letztem) Abschiede, 23. Januar 1546“ etc., und vor allem an dem größeren figuren- und portraitreichen Bilde „Luther vor dem Reichstage in Worms“ erfreut!

Im Jahre 1866 sollte ein schwerer, unersetzlicher Verlust ihn treffen. Sein einziges Kind, den talentvollen jungen Maler Otto Schwerdgeburth, dessen vorzügliche Gemälde in Kunstkreisen Aufsehen erregten, riß in voller frischer Jugendblüthe der Tod hinweg. Aller Frohsinn, alle Heiterkeit schien seitdem aus dem Leben des greisen Künstlers geschwunden. Aber mit der ihm eigenthümlichen Lebenszähigkeit und Kernnatur überstand er auch diese furchtbare Katastrophe. Die fleißige Uebung seiner Kunst, das innige Zusammenleben mit seiner wackeren Gattin und der gemüthliche Verkehr in gesellschaftlichem Kreise füllten die folgenden Jahre aus. Jetzt freilich hält den Alten mehr als sonst die Stube gebannt, aber selbst jetzt noch lebt er nicht nur seinen reichen Lebenserinnerungen, nicht nur seiner treuen hochbetagten Lebensgefährtin und der wehmüthigen Erinnerung an den geliebten jungen Mann, der in schönem Abbilde über dem Sopha hängt und so noch immer der Dritte im trauten Familienbunde ist, sondern auch der Kunst. Trotz der zunehmenden Augenschwäche arbeitet er wieder an einem der Reformationsgeschichte angehörenden, gerade in der Gegenwart, der Zeit des Kampfes gegen pfäffische Ueberhebung und römische Frechheit, doppelt bedeutsamen Bilde: der Verbrennung der päpstlichen Bulle durch Luther. – Möge dem greisen Meister, in warmer Verehrung von Kunstgenossen und Kunstfreunden, noch ein heiterer, schöner Lebensabend beschieden sein!

Robert Keil.

Für Mütter. Wird denn der gesunde Menschenverstand niemals so viel Spielraum gewinnen, daß wir lernen, unsern Körper zu hoch zu schätzen, um ihn gedankenlos zum Werkzeug einer elenden Speculation, eines thörichten Aberglaubens herzugeben?

Die Kenntniß der Gewinnung des Opiums ist ziemlich weit verbreitet, weniger genügend bekannt scheint leider die Thatsache, daß unsere deutschen Mohnköpfe annähernd dieselben Bestandtheile wie ihre türkischen Brüder enthalten. Der in den unreifen Samenkolben des Gartenmohnes befindliche Milchsaft wird im Orient durch Einschnitte zum Ausfließen gebracht und kommt getrocknet als Opiumkuchen in den Handel. Das Opium, bekanntlich kein einfacher Körper, besteht aus mehreren freilich sehr nahe verwandten Stoffen (Alcaloïde genannt), welche fast die gleiche Wirkung, aber in verschiedener Potenz besitzen. Das wichtigste und stärkste unter ihnen ist das Morphium. Dieses birgt zwar unser Gartenmohn nur in sehr geringer Menge, doch sind von den anderen verwandten Stoffen noch so viele in ihm enthalten, daß eine stark betäubende Wirkung durch seinen Genuß hervorgebracht wird.

In sehr vielen Gegenden herrscht nun, vorzüglich unter den niederen Ständen, die beklagenswerthe und nicht genug zu verdammende Unsitte, aus reifem oder unreifem Mohne mittelst Syrup ein Tränkchen entweder selbst zurecht zu brauen oder es für schweres Geld aus Schäfers- und Sibyllenhand zu entnehmen, um es kleinen unruhigen Kindern als Schlafmittel zu verabreichen. Während der Arzt nur in den seltensten Fällen sich entschließt, dem Kinde, und vor Allem dem Säuglinge, ein Opiat zu verordnen, da er die äußerst große Empfindlichkeit des kindlichen Organismus für dieses Medicament kennt, giebt der Laie in einer solchen Abkochung eine gar nicht zu bestimmende Dosis. Die Ursache des Schreiens kann natürlich nicht entfernt werden; das Kind wird durch den Gebrauch nur betäubt und eingeschläfert. Meistens beruht der Grund des kindlichen Unwillens auf Verdauungsstörungen, weil besonders die künstlich aufgefütterten Kinder auf diese Weise ihren Kehlkopf mißbrauchen, doch können auch andere Zustände dieses für die Umgebung so erregende Concert verursachen, deren Heilung allein der jedesmalige Fall bestimmt. Da das arme Kind nach der Ausscheidung des Mohnsaftes wieder schreit, bekommt es immer öfter, aber auch immer mehr von dem Wundertränkchen. Seine Nervenerregbarkeit wird dadurch täglich mehr herabgestimmt; waren schon vorher die Verdauungsorgane angegriffen, so kommen sie jetzt noch schneller herunter; die verdauenden Säfte, in geringerer Quantität abgeändert, können die Nahrungsstoffe nicht genügend zersetzen; zuletzt – fast nur noch ein Gerippe – stirbt das Kind an chronischer Opiumvergiftung als Opfer der Unwissenheit.

Dr. – a –

„Ein Priester der Gewissensfreiheit“ †. „Wenn der Glaube selig macht, wie das orthodoxe Dogma lehrt, so geben gute Werke, aus der Erkenntniß der Wahrheit entsprossen, Freiheit und Macht, Selbstvertrauen und Freude.“ So schloß vor elf Jahren ein Lebensbild unseres Gustav Adolf Wislicenus, das seinem Bildnisse in der „Gartenlaube“ zum Begleiter diente. Damals begann er die Veröffentlichung seines größten schriftstellerischen Werkes: „Die Bibel, für denkende Leser betrachtet“. Der im Leben so lange Zeit ruhelos umhergeworfene Denker hatte sein sechszigstes Jahr und eine Reihe harter Kämpfe, Leiden und Siege hinter sich – da, in politisch arg bewegter Zeit, gebot er sich selbst Ruhe und Sammlung und vollendete ein Werk, dessen Bedeutung und Wirkung erst künftigen Geschlechtern ganz zu Gute kommen wird. Wie im ganzen Leben, so auch noch im hohen Alter, da er die Siebenziger beschritten hatte, innig theilnehmend an allen vaterländischen und religiösen Bestrebungen, hatte er der deutschen Siege sich gefreut und in den neuen Glaubenskampf selbst mit seinem klaren überzeugenden Worte eingegriffen, mit scharfem Blicke die schwarzen Gegner beobachtend – da schließt plötzlich der Tod diese Augen. Wislicenus – seit mehr als einem halben Jahrhunderte ein Kämpfer im edelsten Sinne – ist am Abende des 14. Octobers in seiner letzten Heimath, Zürich, gestorben.

So ist denn wieder Einer von der alten Garde dahin, die am Wartburgfeuer der Burschenschaft für das ganze Leben die Richtung der Liebe und des Hasses empfangen. Schärfen auch für den neuen Kampf sich neue Geister, so mögen sie sich doch ein Vorbild sein lassen diesen Alten, der mit dem Muthe eines Helden und der Ueberzeugungstreue eines Mannes alle Liebenswürdigkeit eines bescheidenen, guten Menschen verband. Hat er auch des Lebens Höhe erreicht, doch wird Jeder, der ihn kennen und lieben gelernt, an seinem Grabe klagen: Du gingst zu bald von uns. – Um so heiliger soll uns sein Andenken sein.


Ein fleischfressender Hirsch. Bekanntlich hat der letzte Winter dem Wildstande sehr geschadet, da bei der anhaltend strengen Kälte die Bäche und Flüsse zugefroren waren und der hohe Schnee, der Alles bedeckte, das Wild abhielt, seine Nahrung zu suchen. Folgende Thatsache nun dürfte für Thierfreunde nicht ohne einiges Interesse sein.

Während meines Aufenthaltes bei meinem Freunde in E. hatte ich Gelegenheit, dort einen Hirsch zu sehen, der dem Tode des Verhungerns und Verdurstens durch einen glücklichen Zufall entgangen war. Waldarbeiter fanden im Januar dieses Jahres das arme Thier im Schnee liegen. Es war aus Mangel an Nahrung entkräftet und auf einer Seite schon vollständig erstarrt. Sie hoben den Hirsch auf, trugen ihn in die Stadt und brachten ihn zu dem Jagdberechtigten des betreffenden Reviers, zu Herrn F., welcher dem Hirsch, der ungefähr ein Jahr alt war, ein Bündel duftiges Heu vorwarf, das derselbe mit Gier verzehrte. Hierauf ließ ihn Herr F. Wasser saufen und bereitete ihm in der Küchenstube unter dem im Gebirge üblichen großen Kachelofen eine Streu. Bei der behaglichen Wärme und sorgsamen Pflege erholte sich der Hirsch vollständig und gewöhnte sich mehr und mehr an die menschliche Gesellschaft, besonders an seinen Herrn, der, ein großer Thierfreund, sich viel mit dem Hirsche beschäftigte und ihm den Namen Hans gab.

Als ich Herrn F. besuchte, fand ich das Thier munter im Garten umherspringend; auf den Ruf seines Herrn kam es herbei und beschnupperte mich neugierig, wie es ein Hund mit Fremden zu machen pflegt. Darauf fraß der Hirsch mir ein Stück Brod willig aus der Hand, richtete jedoch seine Aufmerksamkeit alsdann auf eine frische Wurst, welche sein Herr eingewickelt unter dem Arme trug, und ruhte nicht eher, als bis sein Ziehen und Zerren an dem Papier Erfolg hatte und ihm ein Stück davon gereicht wurde. Als ich meine Verwunderung darüber ausdrückte, erzählte mir Herr F., daß der Hirsch überhaupt mit der menschlichen Gesellschaft auch menschliche Gewohnheiten angenommen, sogar Hirschbraten nicht verschmähe und Bier aus dem Seidel trinke. Mit dem Hunde seines Herrn steht er auf ganz freundschaftlichem Fuße, während er gegen fremde Hunde die Furchtsamkeit seines Geschlechtes abgelegt hat und seine „Spieße“ gar wohl anzuwenden weiß. Bei schönem warmem Wetter schläft er in einem Schuppen, während er bei rauher Witterung seinen ersten Lagerplatz unter dem großen Kachelofen aussucht.

P. W.

Der beste Polonius seiner Zeit. In dem Artikel „Ein Pionnier deutscher Kunst“ (Gartenlaube 1875, Nr. 22), welcher des Gastspieles deutscher Bühnenkünstler zu London im Anfange der fünfziger Jahre gedenkt, ist es übersehen worden, unter den aufgezählten Darstellern einen zu nennen, welcher unstreitig zu den hervorragendsten gehört hat. Es ist dies Fr. Limbach, der, ein angesehener Schauspieler, insbesondere durch seine unvergleichliche Darstellung des Polonius im „Hamlet“ die Briten wahrhaft enthusiasmirte. Der Bericht der „Times“ sagte damals: „Herr Limbach has shown himself the best Polonius of our time“ („Herr Limbach hat sich als den besten Polonius unserer Zeit gezeigt“), und das will gewiß etwas heißen, gegenüber der allgemeinen Meinung der Engländer, dieser Charakter könne nur von einem der Ihrigen richtig aufgefaßt werden. Aber selbst die beiden berühmtesten Poloniusdarsteller, Charles Kean und Bartlet, welche den deutschen Hamlet-Vorstellungen nur noch als Kritiker beiwohnten, haben ihrem deutschen Collegen neidlos den Kranz zuerkannt. Wir freuen uns, Gelegenheit zu haben, dies nachträglich zu constatiren und damit eine Unterlassungssünde gut zu machen, welche jedenfalls keine absichtliche gewesen ist.

Der Verfasser W. H.

Der alte Kolter. Wenn wir auch bei Gelegenheit des in Nr. 39 unseres Blattes erschienenen Culturbildes: „Der Sieger von Aachen“ keine directe Bitte um Einsendung von Gaben für den alten Kolter aussprachen, so sind doch von verschiedenen Seiten freundliche Spenden für den betagten und verarmten Herrn eingelaufen, die wir nicht unquittirt lassen möchten. Es gingen bis jetzt ein:

Aus Meißen 3 Mark; die Stammgäste der Nordischen Bierquelle in Hamburg 37 Mark; Moritz Jahr in Gera 20 Mark; T. W. und J. W. in Berlin 5 Mark; H. W. in H. 6 Mark; Turnlehrer W. in D. 3 Mark; H. Gruhl in Halle 6 Mark; von der Tischgesellschaft des Rathskellers in Löbau 13 Mark; von einer alten Frau, die sich im zehnten Jahre an Kolter ergötzt hat, 5 Mark; B. und W. 3 Mark; Sammlung in Gohlis 36 Mark; H. K. 3 Mark; Redaction der Gartenlaube 30 Mark.

Außerdem hat der Magistrat von Glogau in Gemeinschaft mit den Stadtverordneten beschlossen, dem pp. Kolter, „der wiederholt mit den Seinigen sein Leben bei Entstehung von Bränden in unserer Stadt einsetzte“, ein Ehrengeschenk von 75 Mark auszuzahlen, ferner aber auch zu versuchen, die Bürger von Glogau zu Gaben für den alten Herrn anzuregen.

D. Red. d. Grtl.

Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 748. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_748.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)