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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Der Staatsanwalt erklärte sich dagegen, und der Gerichtshof lehnte diesen Antrag ab.

Bredow erzählte nun den Hergang ganz mit den Entstellungen wie in der Anzeige. „Als ich ihn vor dem Hause traf, ihn pochen hörte,“ sagte er, „und ihn fragte, was er dort mache, erhielt ich die Antwort: ‚Das gehe mich nichts an, ich habe mich darum nicht zu kümmern‘.“

„Sagte der Angeklagte nicht, daß er in dem Hause wohne?“

„Nein,“ entgegnete Bredow.

„Ich habe es ihm gesagt,“ warf Kuntze ein. „Ich habe ihm auch gesagt, daß ich meine Frau wachpochen wolle, weil ich den Hausschlüssel vergessen habe.“

„Sie haben zu schweigen!“ unterbrach ihn der Vorsitzende unwillig. „Unterbrechen Sie den Zeugen noch durch ein einziges Wort, so lasse ich Sie hinausbringen, und die Verhandlung wird ohne Sie fortgesetzt.“

Bredow fuhr in seiner Erzählung fort: „Als ich an ihn herantrat, rief er mir zu, ich möge mich zum Kukuk scheeren, sonst werde er mir den Weg zeigen, dabei nahm er eine drohende Haltung an. Als ich ihn verhaften wollte, sagte er, ich möchte kein Thor sein; er wolle mir einen Thaler geben, und als ich diese Bestechung zurückwies und ihn am Arme erfaßte, um ihn zur Wache zu führen, stieß er mich heftig vor die Brust. Auf der Wache benahm er sich ebenso widersetzlich gegen den Wachtmeister.“

„Gab er schon auf der Wache an, daß Sie Geld von ihm verlangt hätten?“ fragte der Vorsitzende.

„Bewahre! Er sagte nur, daß er mich nicht habe bestechen, sondern mir den Thaler habe schenken wollen.“

„Der Angeklagte behauptet, daß Sie ihn in’s Gesicht geschlagen und mit dem Kopfe gegen die Wand gestoßen hätten. Er hat ein Zeugniß seines Arztes beigebracht, welches einige Verletzungen im Gesichte und Anschwellungen am Kopfe nachweist.“

„Ich habe ihn nicht geschlagen; er stieß mich auch auf der Wache vor die Brust und sogar den Wachmeister, als dieser ihn beruhigen wollte. Als ich ihn zur Wache brachte, stolperte er auf der dunklen Hausflur und stieß mit dem Kopfe gegen die Wand. Daher mögen die Verletzungen rühren.“

„Sie nehmen Ihre Aussage auf Ihren Diensteid?“

„Ja.“

Bredow ließ sich auf der Zeugenbank nieder, und Meisen wurde in den Saal gerufen. Er sagte ziemlich dasselbe wie Bredow aus und behauptete, daß Kuntze Bredow und ihn zurückgestoßen habe. „Ich habe in seiner Gegenwart das Protokoll aufgenommen,“ fügte er hinzu, „und wie ich es dort niedergeschrieben habe, so ist es.“ Auch er nahm seine Aussagen auf den Diensteid.

Nun erhob sich der Vertreter des Staatsanwaltes, ein noch junger Assessor. Er schilderte die Vergehen des Angeklagten noch einmal mit den stärksten Farben, betonte als Erschwerung, daß er hartnäckig geleugnet und sogar versucht habe, die Zeugen, welche obendrein Beamte seien, anzuschuldigen, und fügte hinzu, daß er um so härter bestraft werden müsse, weil er sich zu den Gebildeten zähle; er beantrage deshalb nach den beiden Paragraphen 333 und 113 des Strafgesetzbuches eine Gefängnißstrafe von vier Monaten.

Mit starrem Blicke hatte Kuntze ihm zugehört; bleich sprang er auf, als er die Worte: „vier Monate Gefängniß“ vernahm. Er schien sprechen zu wollen; sein Vertheidiger bat ihn leise, zu schweigen.

Dieser bot darauf Alles, was in seinen Kräften stand, für Kuntze auf. Er schilderte das unbescholtene Leben desselben und hob die Achtung, welche er genoß, hervor. Er wies darauf hin, daß die vom Arzte bestätigten Verletzungen Kuntze’s nicht dadurch entstanden sein könnten, daß derselbe gestolpert und mit dem Kopfe gegen die Wand gefallen sei; er betonte, daß Bredow bereits früher wegen Uebertretung der Amtsgewalt und Mißhandlung eines Verhafteten eine Disciplinarstrafe verbüßt habe, und beantragte schließlich die Freisprechung des Angeklagten und wenn das Gericht zu dieser sich nicht entschließen könne, wenigstens nur eine Geldstrafe. Der Gerichtshof zog sich für wenige Minuten zur Berathung zurück, dann verkündete der Vorsitzende das Urtheil, es lautete: zwei Monate Gefängniß.

Kuntze schrie laut auf – sein Vertheidiger suchte ihn zu beruhigen und bat ihn, ihm zu folgen. Mit spöttischem, höhnendem Blicke schritten die beiden Zeugen an ihm vorüber.

Nur schwer vermochte Kuntze sich zu fassen. Der Anwalt brachte ihn in seine Wohnung und versprach, für ihn zu appelliren.

Diese Verurtheilung, die allgemeine Entrüstung hervorrief, zog noch für einen Anderen eine Bestrafung nach sich. Wenige Tage nach der Mißhandlung hatte Kuntze dieselbe dem Redacteur einer Zeitung erzählt und dieser den Vorfall mit Nennung der Namen in seinem Blatte veröffentlicht. Es wurde gegen ihn die Anklage der Verleumdung erhoben und er von demselben Richter zu einer vierzehntägigen Gefängnißstrafe verurtheilt. Es fiel bei ihm in’s Gewicht, daß er bereits zweimal wegen Preßvergehen bestraft war. Bei der Verkündung des Urtheils bemerkte der Richter, daß diese Strafe immer noch sehr milde sei, weil er sich nicht gescheut habe, zwei Beamten eine Mißhandlung nachzusagen, für welche dieselben, wenn sie sich wirklich zugetragen hätte, unfehlbar bestraft sein würden; übrigens habe die Presse einen ganz anderen Beruf, als derartige Mittheilungen zu bringen, selbst wenn sie wahr wären, denn dadurch werde das den Beamten schuldige Ansehen beeinträchtigt und gefährdet. Der Herr Richter, der diesen wohlwollenden Redacteur verurtheilte, dürfte auch den gegenwärtigen Artikel als eine Gefährdung der Beamtenwürde mit bedenklichen Blicken betrachten. Allein wer die entarteten Glieder eines Standes anklagt, der klagt damit noch nicht den Stand selbst an. Allen Respect vor den Beamten des Staates – aber die faulen Stellen des Beamtenthums müssen bloß gelegt, die schlechten Glieder derselben abgehauen werden.

In der zweiten Instanz wurde Kuntze’s Strafe in eine Geldstrafe verwandelt.

Und die beiden Polizeibeamten? Dieser sogenannte Beamteneid, den wir besser mit einem anderen Worte kennzeichnen müßten, schien nicht allzu schwer auf ihrem Gewissen zu lasten. Sie sind noch Beide im Amte.

Friedrich Friedrich.




China und Japan in Deutschland.


Was früher in Jahrhunderten und Jahrtausenden nicht erreicht wurde, nämlich eine feste und dauernde Handelsverbindung aller, auch der am entferntesten von einander wohnenden industriellen Völker der Erde, das hat die Erfindung der Dampfschiffe in wenigen Jahrzehnten leicht zu Stande gebracht. Es giebt wohl heutzutage kaum einen Handelsplatz, an welchem nicht unaufhaltsam aus allen Zonen und Ländern die Schätze des Industriefleißes zusammenströmen, und es sind nicht mehr die Haupthafenplätze allein, in denen sich diese Fülle solcher Waaren aufhäuft, nein, die immer mehr anwachsende Zahl der Schienenverbindungen hat vor Allem die Hauptstädte zu den Mittelpunkten des internationalen Handelsverkehrs gemacht.

In dieser Beziehung ist wohl bei wenigen Städten die von Tag zu Tag wachsende Bedeutung als Haupthandelsplatz so sehr in die Augen fallend, wie bei Berlin, welches sicher nach vielen Seiten hin gegenwärtig als Haupthandelsplatz des deutschen Reiches gelten kann. Oft bis in die entgegengesetztesten Gebiete hinein kann die Wahrheit dieses Satzes bewiesen werden. Was giebt es beispielsweise Entgegengesetzteres, Unvermittelteres, als die Hauptstadt des neuen deutschen Reiches und – China und Japan? Und dennoch, obgleich beide durch unendliche Länder- und Wasserstrecken von einander getrennt sind, ist Berlin der Hauptstapelplatz japanesischer und chinesischer Industrie- und Kunstwaaren, nicht nur für ganz Deutschland, sondern auch für Oesterreich, Dänemark, Schweden, ja sogar für einen großen Theil von Rußland.

Freilich soll damit nicht behauptet werden, daß etwa über Hamburg oder irgend einen andern Hafenplatz nicht auch dergleichen Waaren ihren Eingang in das deutsche Reich fänden,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 759. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_759.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)