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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


No. 46.   1875.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennige. – In Heften à 50 Pfennige.



Der Doppelgänger.
Erzählung von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


Der Fremde begab sich langsamen Schrittes unter die mächtige alte Linde, die ihm als Margarethenlinde bezeichnet worden war, und nahm hier auf der unter dem breitschattigen Geäst angebrachten Steinbank Platz. –

„Gottlob!“ sagte, als sie aus seiner Gehörweite waren, die Kammerzofe, „Gottlob, daß wir ihn endlich los sind, den unheimlichen Menschen! Ich wagte nicht, meinen schweren Sack vom linken Arme auf den rechten zu nehmen, und nun ist mir der linke wie völlig zerbrochen.“

„Es war der wunderlichste Mensch, der mir je vorgekommen ist,“ versetzte die Prinzessin; „just, als ob er durch den Blick seiner armen spanischen Nonne noch immer aus allen Geleisen geworfen wäre.“

„Ach, glauben Sie mir, Durchlaucht,“ fiel Marianne ein, „gewiß erlog er die Geschichte, um sich damit interessant zu machen. Man kann Jemand gar nicht in ein brennendes Gebäude schleudern, weil man selbst nicht so nahe an die Gluth herantreten und es bei ihr aushalten kann.“

„Laß’ uns jetzt sehen, wie er heißt!“ fiel die Prinzessin ein, die Karte, welche er ihr gegeben und die sie zu sich gesteckt hatte, hervorziehend. Sie las die Worte: „Ulrich Gerhard von Uffeln.“

„Ah,“ rief sie stehen bleibend aus, „Marianne, ich bitte Dich, das wird immer seltsamer.“

„Was haben Sie, Durchlaucht? Was ist?“

„Mein Gott, ich darf ja die Karte Niemand sehen lassen, darf Dir’s nicht sagen. Aber das darf ich Dir sagen: Dieser Mensch ist ein Doppelgänger.“

„Ein Doppelgänger?“

„So ist es, wirklich und wahrhaftig.“

„Ich glaube weit eher,“ versetzte Marianne, „er ist ein Schwindler. Ich will auch wetten, daß er Sie ganz gut kannte. Darum brachte er das Gespräch geflissentlich auf das hochfürstliche Haus, nur um sich auch damit interessant zu machen.“

Prinzessin Elisabeth schüttelte den Kopf. Sie schüttelte höchst nachdrücklich den Kopf. Sie wußte in der That nicht, was denken. Die Erscheinung dieses Mannes, der ihr nun einmal gar nicht den Eindruck eines Schwindlers gemacht, hatte ihr ein Räthsel aufgegeben, zu dem sie absolut keinen Schlüssel fand. Sie ging schweigend weiter. Sprechen durfte sie ja auch über ihn nicht weiter – das hatte sie ihm gelobt. Darum verbot sie Marianne, die immer wieder von ihm beginnen wollte, endlich ganz streng, weiter zu fragen, zu reden von diesem – Doppelgänger. Und so kamen die beiden Frauen an das Ende des Waldes. Durch ein verfallenes kleines Gitterthor traten sie in den Park des fürstlichen Schlosses; dann gelangten sie um einen großen Weiher herum zu dem alten, halb noch burgartigen Schlosse, an dessen Gartenseite hier ein Rest alter Umwallung zur Terrasse umgeschaffen war, auf der Orangenbäume und Oleander standen; dazwischen prangte ein reicher Blumenschmuck. Prinzessin Elisabeth eilte durch eine offen stehende Fensterthür in’s Innere, um zu ihrem Vater zu gelangen und ihm sofort den günstigen Erfolg ihrer Wanderung zu Meyer Jochmaring mitzutheilen.




2.

Eine halbe Stunde weit von dem Städtchen mit der Schloßburg des Fürsten von Idar, etwa zwanzig Minuten rechts ab vom Jochmaringshofe, lag ein alter Edelhof, ein malerisches Bauwerk. Den Eingang zu demselben bildete ein über eine Zugbrücke zugängliches gewölbtes Thor; links und rechts schlossen sich niedrige Stallgebäude daran, an die sich wieder kleine, dicke Thürme reiheten. Da all diese Gebäudetheile einsprangen und deshalb das Thor etwas wie der Scheitel eines stumpfen Winkels war, dienten sie als eine Art ritterlichen Schildes für das dahinter stehende Hauptgebäude. Und dieser Schild war auf’s Malerischste von uraltem, üppig wucherndem Epheu überzogen, dem der breite schlammige Graben zu seinen Füßen die reichste Nahrung bot. Bis hoch zu den Dächern hinan war auch der Hauptbau von diesem Epheu umrankt, dieser wunderlich construirte Hauptbau, der eigentlich nur aus drei schmalen viereckigen Thürmen zu bestehen schien, die, wenige Fuß weit voneinander in die Höhe gebaut, durch zwei zurückspringende Zwischenwände miteinander verbunden waren. Dadurch waren denn zwischen je zwei der Thürme die reizendsten Eckchen entstanden, nach je drei Seiten durch Mauern und nach vorn durch das Epheugerank geschützt. Die darin aufgestellten Tische und Gartenstühle zeigten, daß die Familie des Eigenthümers sie zu benutzen wußte. Auf der Rückseite des Gebäudes, wo es sich mit hohen von Essen und Wetterfahnen überragten Giebeln abschloß, erweiterte sich der Burggraben zu einem runden Weiher, und um das Alles drängte sich schützend und schattend ein prächtiger uralter Laubwald.

Schloß Wilstorp hieß unsere malerische Waldburg, die im

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 765. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_765.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)