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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


„Ich will dem Doctor Günther ein wenig entgegen gehen. Du weißt, Mama, er wird heute Abend kommen, um nach mir zu sehen.“

„Nun ja,“ versetzte die Mama, „so mag er kommen; es ist aber durchaus nicht nöthig, daß Du ihm in den Wald entgegenläufst.“

„Aber das that ich ja oft.“

„So ist es Zeit, daß es aufhört; es ist unpassend für Dich, und ich will es nicht. Was Doctor Günther Dir zu sagen hat, kann er Dir in meiner Gegenwart sagen.“

Frau von Mansdorf kehrte damit zum Thurmwinkel zurück, und Adelheid folgte ihr, ganz überrascht und ängstlich sich fragend, was diese plötzliche Strenge der Mama zu bedeuten habe.




4.

Herr von Mansdorf hatte mit dem neu angekommenen Lehnsvetter einen Besuch im fürstlichen Schlosse gemacht und Prinzessin Elisabeth ihn mit eigenen Augen gesehen – was Wunder, daß sie gründlich überrascht war, als sie bei der einige Tage darauf stattfindenden Waldbegegnung mit dem sonderbaren Fremden auf dessen Karte den Namen „Ulrich Gerhard von Uffeln“ las und in die Worte ausbrach: „Ein Doppelgänger!“

Es hatte nie in ihrem freilich noch jungen Leben etwas so ihre Phantasie in Anspruch genommen, wie die Erscheinung dieses Mannes und das Räthsel, das er ihr am Ende der Unterredung damals aufgegeben. Im Grunde war das nicht wunderbar. Ihr Leben war zwar nicht ganz so farblos melancholisch und von so trüber Einförmigkeit, wie er es sich vorzustellen schien, aber monoton und arm an aufregenden Ereignissen und neuen Erscheinungen, welche ihre Sympathie hätten gefangen nehmen können, war es in der That in hohem Grade, und wenn es das auch nicht gewesen wäre – wir glauben, dieser fremde Mensch mit seiner anziehenden Erscheinung, mit seiner ganz außergewöhnlichen Art, die Dinge aufzufassen und anzuschauen, mit den geistreichen, vornehmen Zügen hätte Prinzessin Elisabeth dennoch in ein unruhiges Nachdenken versenkt, von dem sie sich befangen fühlte, seit er von ihr geschieden war.

Jedoch mit dem Nachdenken und Brüten über das Räthsel, welches er ihr aufgegeben, kam sie nicht zur Lösung desselben, und da es sie täglich mehr reizte, eine Erklärung desselben zu erhalten, schlug sie endlich den Weg ein, der sich als der einzige bot: nämlich wieder ihre Zuflucht zu dem Meyer zu Jochmaring zu nehmen. Der Fremde hatte ihr verrathen, daß die Quelle dessen, was er von ihr gehört habe und wisse, der Meyer sei. Somit mußte dieser ihn kennen und Auskunft über ihn geben können; es stand nichts im Wege, einmal wieder eine Wanderung durch den Wald zum Meyer zu unternehmen.

Prinzessin Elisabeth machte also an einem schönen Nachmittage, von ihrer getreuen Marianne begleitet, diese Wanderung – als Vorwand diente ihr, daß sie dem Meyer den Schuldschein ihres Vaters über seinen Geldvorschuß bringen wolle; nach einem raschen Gange durch den Wald saß sie einmal wieder unter den Eichen auf dem Meyerhofe, auf dem kleinen Anger zwischen dem Hause und dem Flüßchen, das den Hof auf drei Seiten umkreiste, aber leider nicht dem ruhigen Meyer gegenüber, mit dem sich ein Gespräch sinnig einleiten und dann mit der klugen Ueberlegung, welche Prinzessin Elisabeth zu Gebote stand, allmählich dahin lenken ließ, wohin man es haben wollte, sondern der Frau Meyerin gegenüber, bei welcher dies vollständig unmöglich war, weil die Zunge der gutmüthigen, wohlgenährten kleinen Frau, einmal in Bewegung gesetzt, ihren eigenen Lauf nahm, von dem sie dann abzubringen eine hoffnungslose Sache war. Die Meyerin hatte Erfrischungen für die Prinzessin herausgebracht, Obst und Honig, und sie mit einigen höchst merkwürdigen Vorkommnissen bei den verschiedenen Stadien, welche die Production von Flachs, Garn und Leinewand auf dem Jochmaringhofe in diesem Jahre durchlaufen hatte, bekannt gemacht; dann hatte sie bereits dieselben kundigen Entwickelungen über das große Thema Butter begonnen, bis der Prinzessin klar wurde, daß sie hier direct auf’s Ziel losgehen müsse. Und so sagte sie geradezu, daß sie eigentlich gekommen, um den Meyer, der heute unglücklicher Weise beim Grummetschnitte auf den weit entlegenen Wiesen war, nach einem fremden Manne zu fragen, den er kennen müsse, weil derselbe sich bei der Prinzessin auf ihn berufen habe – sie könne aus diesem Manne nicht klug werden.

Die Meyerin blickte sie mit einem Gesichte an, aus dessen wasserblauen Augen das innere Vergnügen, über diesen Mann reden zu können, leuchtete.

„Sie haben ihn gesehen, mit ihm gesprochen, Durchlaucht?“ sagte sie, ihre Stimme dämpfend. „Nun darf ich ja mit Ihnen darüber reden – das ist der wunderlichste Heilige, der mir jemals vorgekommen ist. Der ist zu uns gekommen eines schönen Abends, um die Eulenflucht, und hat dem Meyer einen Zettel gebracht von unserem Anerben, dem Anton, wissen Sie, Durchlaucht, der in Spanien ist, und darauf hat gestanden: ‚Liebe Eltern, helft dem Herrn, der Euch dies bringt, in Allem und Jedem, dessen er benöthigt sein könnte! Er wird Euch das Weitere selber berichten.‘ Und das ist Alles gewesen, aber wir haben darauf gethan, was wir gekonnt haben und was er verlangt hat.“

„Und was hat er verlangt?“

„Ein Unterkommen und eine Wohnung, in der er ganz still und verborgen leben könne, von Niemandem gesehen und von Niemandem gestört; die erste Nacht hat er auf unserem Hofe geschlafen, am andern Tage aber hat er sich von unseren Köttern Den ausgesucht, der am weitesten entfernt und ganz abseit von der Welt liegt, und in dessen Kammer hat er sich eingerichtet, und da haust er nun; einen großen Koffer, den er mitgebracht, hat er sich durch den Kötter aus Stockheim holen lassen, und was die Kötterfrau ihm zurechtkocht und schmort, damit ist er zufrieden, und zuweilen kommt er und discutirt mit dem Meyer – aber wer er eigentlich ist und was er will, das wissen weder der Meyer noch ich; so können wir denn weiter nichts thun, als ihn gehen lassen und ihm den Gefallen thun, an dem ihm am meisten gelegen scheint – keiner Menschenseele etwas über ihn zu sagen.“

„Seltsam! Und das ist Alles, was Ihr von ihm wißt?“

„Alles, nur daß er in seinem Koffer vielerlei Bücher hat, über denen er die meiste Zeit des Tages hockt, und daß er den Kötter mit Gold bezahlt hat, das dieser hat in Idar wechseln lassen müssen und das, wie die Leute dort ihm gesagt haben, englisches Gold gewesen ist.“

(Fortsetzung folgt.)




Thier-Charaktere.
Von Gebrüder Adolf und Karl Müller.
Der Schweißhund.


Eben hat der Windzug von der Thurmuhr aus dem nahen Orte die Schläge der zweite Morgenstunde durch den Wald herüber zur Forstwohnung getragen. Die zwei hohen Fichten vor derselben trifft schon eine Weile der Lichtschimmer aus des Oberförsters Stube. Der Waidmann, den es so frühe vom Lager getrieben, ist jetzt im Begriffe, aus seinem Gewehrschranke die alte gewiegte Büchse aus der berühmten Fabrik von Schmidt und Habermann in Suhl hervorzunehmen, um sie mit bedächtiger Vorsicht zu laden. Vor ihm steht sein Schweißhund „Hirschmann“, mit dem ernsten Blicke seiner großen dunkeln Augen und dem leisen Wedeln seiner Ruthe anzeigend, daß er sich der Dinge, die da kommen sollen, wohlbewußt sei. Es ist ein Thier von der Größe eines Hühnerhundes, braun von Hauptfarbe und glatthaarig, an Läufen, Hintererextremitäten, Schnauze und an zwei runden Flecken über den Augen entschieden dunkelfuchsfarben „gezeichnet“. Das ganze Behaben erinnert etwas an den englischen Pointer (glatthaarigen Hühnerhund), namentlich an den sogenannten Bracken-Pointer; doch ist des Schweißhundes Kopf bei aller oberen Breite länglicher, die Schnauze schmaler und der Behang viel länger und weicher, überhaupt die ganze

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 784. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_784.jpg&oldid=- (Version vom 19.11.2019)