Seite:Die Gartenlaube (1875) 787.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

mit Standlaut-Geben den Ort, wo er das Raubzeug „geraumt“ (eingeholt), verräth. Mit gutem Erfolge hat man die Kreuzung Meister Hirschmanns mit der Hühnerhündin Bella versucht und in zweiter Linie auf Schweiß sehr tüchtig „arbeitende“ Hühnerhunde erzogen. Hirschmann ist außer dem Jagdamte ein braver, ruhiger Hund, der Haus und Hof treulich bewacht, auch kein Herumtreiber, sowie in Gefahr ein entschiedener Vertheidiger seines Herrn, wie er es bei Affairen und Wilddieben bewiesen. Warum sollte der Hund, der beherzt den jagdbaren Hirsch auf den Zuruf seines Herrn anpackt und an der Kehle würgt, der den Keiler tapfer verbellt, nicht seinen Mann stellen? Sein ebenso muskelkräftiger als geschmeidiger Körper, sowie sein vortreffliches Gebiß sind sichere Bürgschaften für seinen erfolgreichen Beistand wie auf der Jagd, so auch in Noth und Gefahr. Aber die vorzüglichste Eigenschaft, die den Hund zu einem wahren Kleinode auf der Wildbahn des Revieres gestempelt und ihm den Ruf eines Vollkommenen weit und breit erworben, ist das Laut-Ausgeben selbst von einem aufgefundenen schon verendeten Stück Wildpret. Das ist ebenso eine Race-Eigenthümlichkeit, wie das Lautjagen hinter krankem Wilde überhaupt. So sei denn auch, nach Hirschpeters Referat, noch kein Nachkomme Hirschmanns von der echten Art des Alten fehlgeschlagen: alle jagten laut, und von „Stummen“, denen man künstlich Glocken anhängen müsse, um ihrer Jagd folgen zu können, sei bei dieser Race keine Rede, noch viel weniger aber von sogenannten „Schwärmern“, die wie Phantasten mit hoher Nase im Winde herumvagirten und ein über das andere Mal die Fährte oder den Schweißgang übersprängen.

Einige Tage später haben wir Gelegenheit, Hirschmann diese seine höchste Bravour an dem Capitalhirsch, einem „Vierzehner“, dem „Einsiedler“, wie ihn Peter bereits getauft hat, bethätigen zu sehen. Der Einsiedler hat nach Peter’s Meldung seinen „Sommerstand“ in einem Felsgerölle genommen, das von dem zusammenhängenden Forste ab weit in ein Außenfeld vorspringt. Er geht auf die Wickenflur im Felde, und lange vor der Abenddämmerung sehen wir den Oberförster mit Peter und Hirschmann schon zum Ansitze am Außenfelde erscheinen. Schon mehrmals hat unser Waidmann vergeblich auf den Einsiedler angesessen – jedesmal hatte den Ankommenden der Heimliche in der Dickung „vermerkt“ und war erst in der Nacht auf das Feld zur Aeßung getreten, als der Jäger, des langen vergeblichen Abwartes müde, seinen Stand verlassen hatte. Das zeigte deutlich die frische Fährte des Capitalen Tags darauf den Blicken des das Feld abspürenden Peter. Heute aber gebraucht der Oberförster eine vom pfiffigen Hirschpeter vorgeschlagene Waidmannslist. In den Socken ist er dem vernehmlichen Schrittes ihm dicht nachfolgenden Peter bis zum Ansitze vorangegangen und nimmt nun den verdeckten Stand seitwärts des gewohnten „Wechsels“ in aller Stille und Behutsamkeit mit Hirschmann ein, während Peter geräuschvoll seinen Gang weiter fortsetzt, um den jedenfalls im Holze „sichernden“ (mit allen Sinnen thätigen) Einsiedler weidlich anzuführen. Dies scheint denn auch diesmal nach bestem Wunsche zu gelingen: denn mit der ersten schwachen Dämmerung vernimmt der Ansitzende das Geräusch des aus seinem Wechsel „von Holz ziehenden“ Hirsches.

In demselben Augenblicke entladet sich aber ein schon lange bedrohlich über dem Walde hängendes Gewitter mit dem ersten Blitzleuchten und Donnerschlage, der das Echo der nahen Felsen weckt; zugleich fallen die ersten schweren Tropfen aus dem Gewölke. Noch weilt der Hirsch im Holze, und es steht zu befürchten, daß das heranbrausende Wetter auch diesmal den Ansitz zu Nichte mache. Doch einen Augenblick später ist der Capitale, in dem hohen Feistzustande des Augustmonates prangend, „vertraut“ in’s Lichte vor das Holz getreten, dem Ansitzenden Gelegenheit zum besten Breitschusse bietend. Sacht hebt sich der Büchsenlauf des Schützen, und im nächsten Momente kracht der Schuß echohallend, dem des Himmels Donner in rollendem Crescendo sich gesellen. Jetzt entladen sich die vorüberwehenden Wolken mit einem heftigen Platzregen.

Wohl hat der Hirsch auf den Schuß ein sprechendes Zeichen in einer „Flucht“ (Satze) gemacht, aber er ist darauf „rennend“ durch die Dickung gebrochen; alles fernere Geräusch, daß er im Holze bald darauf zusammengestürzt oder schlecht getroffen weiter flüchtig geworden, ist durch das Toben des Gewitters selbst dem schärfsten Jägergehöre zu vernehmen unmöglich geworden. In größter Eile ist der Schütze auf dem Anschusse – jedes Zeichen erscheint von der Gewalt des strömenden Regens schon verwaschen. Wohl fällt Hirschmann den Gang des Hirsches an, und einen Moment zuckt der Jagdeifer durch die Seele des Oberförsters, den Hund zu lösen, aber auch ebenso schnell lenkt die innere Stimme des Waidmannes das Gemüth in die Geleise der Ruhe und Vorsicht ein. „Mit der ‚Nachsuche‘ bis morgen warten!“ ist die Losung für die nächste Frühe.

Der werdende Tag trifft die Jäger mit Hirschmann auf dem Anschuß, und der im Holze alsbald gelöste Hund ist mit dem Zuspruche seines Herrn: „Verloren, Hirschmann, such’!“ schnell im Dickicht verschwunden. Eine erwartungsvolle längere Pause folgt, nachdem man einige Augenblicke noch die Suche des durch das Holz dahin eilenden Hundes vernommen. Mit einem Male aber erschallt vom Felsgerölle her ein kurzes Lautgeben, dem ein langgezogenes Geheul folgt. „Hoho! gefunden!“ schallt der lakonische Ausruf Hirschpeters, der dem durch das Holz eilenden Oberförster flugs bis zum Felsgerölle gefolgt ist. Hier am Fuße eines stark vorhängenden Felsblockes liegt der capitale Vierzehner, beim Zusammenstürzen in das Geäste mit dem Geweihe noch so gehalten, daß es den lebhaften Anschein hat, als wolle er jeden Augenblick in seiner ganzen „Stärke“ (Größe) hoch werden. Ein überraschender Anblick, in welchem die beiden Männer des Waldes selbst, einige Augenblicke überwältigt, verharren bis sie des Hundes wiederholter Laut zu dem begeisterten Ausrufe weckt: „Ho, Hirschmann, brav gefunden! Du Meisterhund des Reviers!“

Adolf Müller.



Das erste Ständchen.

Mit den classischen Worten: „Schon die Alten kannten die Liebe“ begann, wie erzählt wird, ein zerstreuter Schulmann seine Abhandlung über die Lyrik der Griechen und Römer. Aber schon eine ansehnliche Reihe von Jahrtausenden vor Pindar und Ovid blühte die Kunst der Troubadoure auf Erden, und schon unter den allerersten Festlandthieren hat Dr. Scudder die Ueberreste eines ältesten Spielmannes entdeckt, welcher der jungen Welt, wahrscheinlich zum ersten Male, etwas vorgeigte.

In jenen grauen Zeiten, in denen noch ein allgemeines Meer das Erdenrund umfluthete, hatte die Natur außer dem Heulen der Winde, dem Brausen der Wellen und dem Donner der Wolken keine vernehmliche Stimme. Die Meerpflanzen flüstern nicht miteinander, und sollten auch einige Muscheln castagnettenartig mit ihren Schalen geklappert, einige Urkrebse drohend mit ihren Panzern gerasselt haben, das waren nur Geräusche, die mit der allgemeinen Wellensymphonie verschmolzen, keine Klänge, denen man mit Behagen hätte lauschen mögen. Selbst heute noch begnügen sich die meisten echten Wasserwesen – den „musikliebenden“ Delphin und die übrigen Wassersäuger rechnen wir zu den Luftthieren – mit einfachen, unmusikalischen Gehörswerkzeugen, denn noch immer ist die krystallene Fluth ein schweigender Schooß, in welchem sich Freud’ und Leid nicht mit hellem Lachen oder lautem Schmerzensschrei äußern, in welchem kein Ständchen gebracht und auch nicht nach Musik getanzt wird, wie uns „Flick und Flock“ glauben machen möchten.

Erst als Inseln und Festland emporgestiegen waren, Wasserthiere und Pflanzen einen ersten Versuch überstanden hatten, an Stelle der in Wasser aufgelösten Luft das reine Element zu athmen und in der dünneren Flüssigkeit zu schwimmen, da begannen die Blätter im Winde zu flüstern und die Thiere wurden inne, daß doch in dieser lichten Oberwelt Alles ganz anders schalle, als in dem blaugrünen Schooße, in dem sie ihre Jugendzeit verbracht hatten. Die Stammältesten der Insectenwelt waren die ersten Thiere, welche sich dem Luftleben vollkommen anzupassen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 787. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_787.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)