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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

seinen Schulfreunden Liebig und Gervinus war er anerkanntermaßen ein Gelehrter und Forschergeist ersten Ranges. Seinen Darmstädter Landsleuten ist dieses nie recht klar geworden, ein Umstand, der zum Theil in einem bekannten Sprüchworte, zum Theil aber auch darin seine Erklärung findet, daß seine Wissenschaft nicht so unmittelbar in das praktische Leben eingreift wie die Chemie und daß sie der großen Masse der Gebildeten nicht so nahe liegt wie die Geschichte.

Der Umstand, daß das von Kaup bebaute wissenschaftliche Gebiet dem großen Publicum allzufern liegt, hindert uns auch auf seine wissenschaftlichen Leistungen näher einzugehen, nur eins sei hier gesagt: die Thatsache, daß wir in ihm einen deutschen Vorgänger Darwin’s vor uns haben, welcher dem englischen um viele Jahrzehnte voraus war, erregt heute, wo die Darwin’sche Theorie so viel von sich reden macht, ein allgemeineres Interesse. Im Jahre 1829 erschien von ihm eine kleine Schrift: „Skizzirte Entwickelungsgeschichte der europäischen Thierwelt“ – ein Werk, worin der später von Darwin verfochtene Gedanke einer Entwickelung höherer aus niederen Thierarten in einer Anzahl parallel laufender, vom Amphibium an durch die Vogelwelt hindurch bis zum Säugethier aufsteigender Reihen dergestalt bis in’s Einzelne durchgeführt war, daß diese geistreiche, von genauester Sachkunde zeugende Arbeit sicherlich das größte Aufsehen erregt haben würde, wenn der Verfasser ein Ausländer gewesen wäre, oder wenn englische und französische Naturforscher damals sich in dem Maße wie heutzutage mit der wissenschaftlichen Literatur unseres Vaterlandes beschäftigt hätten.

Später, vom Jahre 1848 an, verwarf er auf Grund reiferer wissenschaftlicher Kenntnisse und Erfahrungen diese seine frühere Ansicht auf das Entschiedenste und in Briefen an Professor Leonhardi zu Prag 1871 erklärte er seine „Entwickelungsgeschichte“ für eine Jugendsünde. „Es giebt körperliche Epidemien,“ sagt er „die, wie Pest, Cholera und Blattern, wie ein Wunder in der Welt liegen und ganze Welttheile anstecken; allein es giebt auch geistige Epidemien wie Autodafés, Hexenprocesse, Bluthochzeiten, Infallibilitäten, Tischrücken, Homöopathie, Gall’sche Schädellehre und die Lehre von Transmutationen und dem den Giraffenhals verlängernden Kampf um’s Dasein. Statt zu sagen: ‚in den Giraffen tritt der Vogeltypus auf, wie bei der Hyäne, dem Faulthiere, der Fledermaus, den Pitheciden (Orang, Chimpanse, Gorilla), und es ist deshalb ganz natürlich, daß die vorderen Extremitäten höher entwickelt als die hinteren sind,‘ nimmt man lieber Wunder an und glaubt, daß ein kurzhalsiges Thier mit kurzen Vorderbeinen durch den stetigen Gebrauch immer länger und länger geworden sei. Gnade der Zoologie, Botanik, Mineralogie, Anatomie und Chemie, wenn ein solcher Unsinn sich weiter Bahn brechen könnte.“

Dieser Widerruf Kaup’s ist natürlich für die Wissenschaft nicht maßgebend, dem großen Publicum kann er aber eine Mahnung zur Besonnenheit sein. Bei Kaup ist es anzuerkennen, und er hat diese Tugend mit seinem Jugendfreunde Liebig gemein, daß er frühere, von ihm später als irrig erkannte Meinungen ungescheut und rückhaltslos widerrief. Ein Ruhm aber muß ihm noch bleiben, der nämlich, daß er zu einer Zeit, wo wissenschaftliche Vorurtheile und phantastische Hypothesen manchem Gelehrten Ruhm und Ansehen verliehen, gleich seinem Freunde Liebig durch Anwendung strenger analytischer Methoden zu einer rationellen Entwickelung der zoologischen Wissenschaft den Grund legte.

Kaup starb am 4. Juli 1873, siebenzig Jahre alt, nach kurzer Krankheit.

Möge ihm, dem Todten, seine Vaterstadt die Anerkennung zu Theil werden lassen, die sie dem Lebenden versagt hat! Man sammelt schon seit längerer Zeit in Darmstadt zu einem Liebig-Denkmal. Wäre es nicht geeigneter, die drei großen Söhne Darmstadts, die drei Jugendfreunde Liebig, Gervinus und Kaup, durch ein gemeinsames Denkmal zu ehren? Diese Anregung dient vielleicht dazu, in der Heimath und im Ausland an diese Ehrenpflicht zu mahnen. Wir schließen mit dem Ausspruche eines gefeierten deutschen Naturforschers, mit Georg Forster’s Worten: „Der Nachruhm ist das eigentliche Erbe der wenigen Edlen. Oft zündete die Ehre, die man dem Andenken eines großen Mannes weihte, den Funken des Genius in einem anderen Busen an, und ein Zeitalter, welches bei den Verdiensten eines großen Mannes schweigt, verdient die Strafe, daß es keinen ähnlichen Mann aus seiner Mitte hervorbringen kann.“




Deutsche Erfolge auf amerikanischem Boden.


Nr. 2. Kunst und Industrie.


Von der Volkserziehung durch die Presse zur Volkserziehung durch das öffentliche Schulwesen ist nur ein Schritt. Wie in jener werden wir auch in dieser des deutschen Einflusses auf amerikanischem Boden überall in erfreulicher Stärke gewahr, wo das Bevölkerungselement, von welchem er auszugehen hat, stark und geeinigt genug ist, um ihn mit dem nöthigen Nachdrucke zu üben. In erster Reihe ist dies in jenen großen und größeren Städten der Fall, von denen bereits gesprochen wurde. Und so sind vornehmlich auch sie es oder doch die meisten von ihnen, in denen es im Laufe der Jahre gelungen ist, dem Lehrplane der öffentlichen Schulen den deutschen Sprachunterricht einzuverleiben und darin zu erhalten. Darin zu erhalten – denn allen guten Erfolgen zum Trotze darf es nicht verschwiegen werden, daß nicht nur die Errungenschaft an sich ein Gegenstand und ein Ziel langer und lebhafter Kämpfe gegen die englisch sprechende und nativistisch-amerikanisch denkende Majorität war, sondern daß auch ihre Sicherung und Wahrung nur der Preis beständiger Wachsamkeit und stetiger Bereitschaft zu neuem Kampfe ist. Haben wir doch jüngst erst in New-York – der Zusammensetzung seiner Bevölkerung nach der drittgrößten deutschen Stadt, die es überhaupt giebt – erleben müssen, daß seitens einer Yankee- und Irländermajorität in der städtischen Schulbehörde der Versuch gemacht wurde, den seit Jahren in öffentlichen Volksschulen der Stadt eingeführten deutschen Unterricht durch einen ebenso geschickt wie geheim geplanten Act der Ueberrumpelung zu beseitigen.

Der Handstreich mißlang. Er mißlang dank der Schlagfertigkeit, mit welcher das deutsche Mitglied des Schulraths dem augenblicklichen Ansturme zu begegnen verstand, und dank der Entschiedenheit und Nachdrücklichkeit, mit der das gesammte New-Yorker Deutschthum erst durch seine Presse, dann aber und vornehmlich durch eine großartige Massenversammlung gegen diese Vergewaltigung Einsprache erhob.

Nicht minder rühmlich und erfreulich ist, was sich uns auf dem Gebiete der Wissenschaft und der Kunst darstellt. Auf Schritt und Tritt begegnen wir deutscher Geistesarbeit und ihrer Einwirkung. Sind doch, um aus der Fülle der Beispiele nur einige herauszugreifen, die vornehmsten ärztlichen Namen des Landes (und unter ihnen wieder in vorderster Reihe die von jenen Männern, welche sich durch Gründung des New-Yorker deutschen Hospitals auch zu Wohlthätern der Allgemeinheit gemacht haben) deutschen Klanges. So starb vor drei Jahren ein Franz Lieber vom Columbia-College, einer der hervorragendsten Geschichts- und Rechtslehrer der Union. Und so war einer der größten Civil-Ingenieure, die noch in den Vereinigten Staaten der Kühnheit ihrer Pläne zeitentrotzende Denkmale errichten durften, jener Thüringer Johann Röbling, welcher die Ueberspannung des Niagara erdachte und bei seinem 1869 erfolgten Tode im Riesenwerke der Ueberbrückung des Eastriver-Meerarmes einen Torso, doch neben demselben auch einen Sohn zurückließ, der des Vaters Weltwunder zu vollenden versteht.[1]

Was aber die helikonischen Schwestern anbelangt, so hat bisher keine derselben in der neuen Welt so große und so absolute Eroberungen gemacht, wie die Musik. Und gerade sie liegt ausschließlich in deutschen Händen. Und gerade sie hat

  1. Auch an der St. Louiser-Mississippi-Brücke waren vornehmlich deutsche Ingenieure, Zeichner und Rechner beschäftigt, welche der geniale Oberbaumeister des Werkes, Capitain James B. Eads, um sich zu versammeln verstand.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 791. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_791.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)