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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

wo es eine besonders faule Gründung giebt, ist in der Regel auch Herr Jean Fränkel dabei.

Heinrich Reh warf pro 1873 eine Dividende von ganzen drei Procent aus, bekam aber gleich darauf Gewissensbisse und zahlte die grandiose Dividende nicht aus, sondern trug sie in die Bilanz als „unerhoben“ (!) ein. Die vorjährige Generalversammlung setzte er auf den heiligen Christabend. Nicht, daß er den Actionären eine angenehme Weihnachtsbescheerung zu machen gedachte: nein, er rechnete darauf, daß ihnen die Stunde ungelegen sein und daß sie dieselbe versäumen würden. Aber in den Zeitungen erschienen menschenfreundliche Merkzeichen und Fingerweise, und die Actionäre meldeten sich so zahlreich, daß Herr Reh schließlich viele abwies und ihnen die Eintrittskarte verweigerte.

Auch war Herr Reh so vorsichtig, die „Vertreter der Presse“ auszuschließen, das will hier sagen, die Abgesandten der Börsenblätter, woraus wir ihm übrigens nicht den geringsten Vorwurf machen wollen, denn diese Leute sind sehr überflüssig, und sie verfolgen nicht die Interessen des Publicums, sondern nur die der Börse. Trotz aller Vorsichtsmaßregeln war die Versammlung zahlreich, und sie nahm einen sehr aufrührerischen Verlauf. Von allen Seiten erhoben sich Klagen, Vorwürfe, Anschuldigungen und Drohungen, aber Herr Reh stand da wie im brandenden Meere der Fels. Er leugnete nicht einmal; er gab fast Alles zu; er ließ die empörten Actionäre schreien und toben, bis sie müde wurden, und dann schloß er ruhig und würdig die Sitzung. Seiner Pflicht gemäß, veröffentlichte er auch wieder die Bilanz, ohne sie aber, wie es Gebrauch ist, von einem Revisor bescheinigen zu lassen. Herr Heinrich Reh weiß sich über solche Formen hinwegzusetzen, und in Wahrheit ist bei den Bilanzen der Actiengesellschaften der „Revisor“ eine bloße Form.

Der Bergbrauerei Hasenhaide hatte der frühere Besitzer, C. Kelch, für das erste Jahr eine Dividende von 8 Procent garantirt, und er bezahlte sie auch. Die Gesellschaft erwarb das Etablissement für den kolossalen Preis von Einer Million und schritt dann noch zu kostspieligen Ankäufen und Bauten. Die Bilanz pro 1874 schloß mit einem Verlust von 96,000 Thalern; thatsächlich war aber bereits das ganze Actiencapital und noch mehr verloren. Man mußte liquidiren, und die Firma Benoni Kaskel erstand die Brauerei kürzlich für 550,000 Thaler, welche Summe noch nicht einmal die Forderungen der Gläubiger deckt. Die Actien sind völlig werthlos; trotzdem werden sie an der Börse noch immer mit ½ notirt und flott gehandelt.

Nicht nur, daß die Actienbrauereien theuer „gegründet“ sind – auch ihr Umbau und Ausbau, ihre Vergrößerung und Erweiterung, die in manchen Fällen das Maß überschritt, fällt gerade in die theuerste Zeit. Sie kauften Terrains, Grundstücke und Maschinen zu den höchsten Preisen – sie haben überaus kostspielig gebaut. Seitdem sind Gebäude und Baugründe im Werthe sehr gesunken, die Löhne und die Preise der Materialien rapid gefallen.

Ferner ist auch die Verwaltung der Actienbrauereien, wie die jeder Actiengesellschaft überhaupt, sehr theuer. Hoch sind die Gehälter und Lohne; unverhältnißmäßig hoch sind die Tantièmen, welche „Vorstand“ und „Aufsichtsrath“ beziehen. Diese Tantièmen verhalten sich nicht selten zu der Dividende, welche auf die Gesammtheit der Actionäre entfällt, wie 1 zu 5. Solche riesige Tantièmen waren vor dem Gründungsschwindel unerhört. Und selbst bei den Gesellschaften, die nur eine klägliche Dividende abwarfen, scheuen sich die Herren Directoren und Aufsichtsräthe nicht, eine erkleckliche Tantième einzustreichen. So erhielten sie bei Moabit (4 Procent Dividende) 4000 Thaler, bei der Bockbrauerei (4⅓ Procent Dividende) 5800 Thaler und sogar bei Adler (1½ Procent Dividende) 1775 Thaler.

(Schluß folgt.)


Bitte, Bitte!

Wohl fliegt es im Freien
Sich herrlich im Mai,
Aber, ach, nur im Winter
Nicht vogelfrei!

5
Wir suchen umsonst da

Die kärglichste Kost
Und blasen den Pelz auf
Vor Hunger und Frost.

O, werfet uns Körnlein

10
Herab in den Schnee!

Seid gut und bedenket:
Der Hunger thut weh’.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 840. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_840.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)