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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Henriette bestimmte Geschenk sah, als er den Zettel, den er selbst geschrieben, las. Er hatte es vergessen, daß er sich diese wehmüthige Selbstqual am Christabende bereiten wollte.

Und da schien es in den Zweigen des Weihnachtsbaumes zu rauschen. – Nein! – Wirklich! die Zweige zitterten, die Lichter flackerten. Und hinter dem Tannenbaume hervor trat zuerst Gretchen und sagte:

„Papa, Du bekommst das Beste zu Weihnacht.“

Und hinter Gretchen hervor aus dem Schatten, den der Tannenbaum warf, zwischen Curt und Eugen, trat – – Henriette!

Ein Aufschrei. Brömsel lag in den Armen seines Weibes. Nun war kein Halten mehr. Die Kinder hatten ihre kurze Rolle, die ihnen der „Onkel Schmidt“ unten in der Kinderstube einstudirt hatte, zu Ende gespielt und tummelten sich jetzt nach Herzenslust um den Christbaum herum, nach ihren Geschenken haschend. Der „Onkel Schmidt“ war gleichfalls hinter dem Tannenbaum hervorgetreten und reichte mir die Hand.

Lärm, Jubel und Getöse der Kinder; zwei Männer, die sich herzlich die Hände drückten und sich gegenseitig zu sagen schienen: „Wir haben es recht gemacht.“ Denn der Leser wird bereits errathen haben, daß jener „Bote aus dem Hotel“, zu dem die Magd des Hauses mich rief, kein Anderer war als „Onkel Schmidt“, der Henriette in Hamburg getroffen hatte. – Mann und Frau lagen lautlos in minutenlanger Umarmung.

Das war das Bild unter dem Tannenbaume.

Der „Onkel Schmidt“ trat vor und sagte zu Brömsel: „Ihr Freund hat Sie, wie ich sehe, gut vorbereitet. Es ist Alles so gewesen, wie er Ihnen wahrscheinlich erzählt haben wird. Der Hauptzweck ist und bleibt, daß Ihre liebe Frau noch unter den Lebenden weilt und hoffentlich noch recht lange, lange Zeit in der ‚schlechten Gesellschaft‘ verweilen wird. Nun aber, Kinder – ich habe einen mörderlichen Appetit. Hoffentlich habt Ihr noch etwas zu essen für mich übrig. Geschenke habe ich vergessen mitzubringen, aber Ihr seht es ja – ein Geschenk hat mir der Himmel zugeführt und damit begnügt Euch Alle!“

Brömsel und Henriette hielten sich noch immer lautlos umschlungen. Die Kinder begannen Angst zu empfinden vor der Gruppe der beiden Eheleute, denen das Schweigen der Gott der Glücklichen war.

„Kommt zu Tische! Die Karpfen werden sonst kalt,“ rief ich und trennte die Umarmung.

Onkel Schmidt ‚pustete‘ die Lichter am Tannenbaum fürsorglich aus. Von uns Andern würde Keiner daran gedacht haben, und es hätte am Ende noch ein Freudenfeuer und ein Trauerfeuer gegeben durch den Tannenbaum.

Es war aber wirklich Alles so gekommen, wie ich es meinem Freunde Brömsel vorbereitend erzählt hatte. Henriette war in San Francisco erkrankt; sie hatte ihr Passagierbillet weiter verkauft; so war sie erst nach ihrer Genesung, vier Wochen später, nach Europa zurückgereist. Der ‚Onkel Schmidt‘ hatte sie in Hamburg getroffen und wußte sich nicht zu rathen und zu helfen, wie er die Freudenpost dem Gatten Henriettens mittheilen sollte, denn er hatte den Mann im Uebermaße seines Schmerzes verlassen.

Ich selbst war bei der ganzen Geschichte der „Deus ex machina“ geworden und hatte in raschem und flüchtigem Einverständnisse mit Onkel Schmidt und Henrietten meine Rolle so gut oder so schlecht gespielt, wie ich es eben konnte.

Ein vergnügterer „heiliger Abend“ aber als in B., im Hause meines Freundes Brömsel, ist im Jahre 186* gewiß und wahrhaftig in der ganzen Welt nicht gefeiert worden. –


Genau zehn Jahre später, am Weihnachtsabend, saß ich selbst einsam und beweinte eine Todte, die nicht wiederkam. –




Hamburgs großer Geldschrank.


Unter den vielen „berechtigten Eigenthümlichkeiten“ der freien Stadt Hamburg ist eine, die namentlich dem nichthamburgischen Geschäftsmann, wenn er von ihr erfährt, wunderlich genug erscheint. Wird dem Hamburgischen Kaufmann ein fälliger Wechsel präsentirt, so ruft er nicht, wie etwa der süddeutsche Großhändler thun würde, seinen Cassirer, der dann Gold, Silber, Banknoten, Coupons und wie alle die Variationen des Themas „Geld“ heißen mögen, aufzählt. Der Hamburger, respective sein Handlungsgehülfe, spricht vielmehr das große Wort gelassen aus: „Wird abgeschrieben“. Und der Bringer des Wechsels entfernt sich zufriedengestellt. Erst am Nachmittag erfährt der Wechselinhaber, ob sein Geld wirklich eingegangen ist.

Bei der in Rede stehenden Ausgleichung wandert nämlich weder Münze noch Papier von Hand zu Hand. Von beiden hat der Hamburger Kaufmann fast immer nur verhältnißmäßig ganz geringe Beträge in Cassa. Sein Geld liegt in dem „gemeinsamen großen Geldschrank“ der Hamburger Kaufmannschaft, in der „alten Hamburger Bank“. Jeden Mittag an Wochentagen kurz vor oder nach ein Uhr erscheint der Bankinteressent oder sein Specialbevollmächtigter, dem er die „Bank-Procura“ verliehen hat, persönlich in der Bank und giebt eine Anzahl von „Bankzetteln“ ab. Das gedruckte Formular eines solchen Zettels lautet:

 Die Herren und Bürger der Bank
gelieben zu zahlen an ……………… die Summe
von ………… und mir solche Mark …………………
von meiner Conto Folio ………… abschreiben zu lassen.
Solches soll mir gute Zahlung sein. (Folgt Raum
für das Datum und gewöhnlich noch der gleichfalls gedruckte Name des betreffenden Bankinteressenten.)

Die Summe wird einmal in Zahlen und einmal in Buchstaben, das „Folio“ nur in Zahlen ausgedrückt. Die noch übrige Lücke füllt selbstverständlich der Name Desjenigen aus, an den die Bankzahlung geleistet werden soll.

Dann übertragen die „Bankschreiber“ die betreffenden Summen von einem Conto auf das andere und übergeben am Nachmittage dem Boten des Bankinteressenten einen Zettel, auf welchem die eingegangenen Beträge verzeichnet stehen. Von Zeit zu Zeit wird auch dem Bankinteressenten sein Bank-Saldo aufgegeben, um conforme Rechnung zu sichern.

Auf diese Weise wird „per Bank abgeschrieben“. Unter der „Bank“ versteht der Hamburger in dieser Beziehung immer nur die alte Hamburger Giro-Bank, nie eine der vielen anderen Privatbanken des Platzes. Hier sei gleich erwähnt, daß auch die weltberühmte Hamburger Giro-Bank eigentlich ein Privatinstitut ist. Der Staat Hamburg garantirt indessen den Bankfonds gegen Feuer und Diebstahl und übt eine gewisse Controle über den Geschäftsbetrieb aus. Staatliche und private Verhältnisse sind hier, wie in manchen anderen Hamburgischen Einrichtungen, auf eigenthümlichste Weise mit einander verbunden.

Eine einfachere, praktischere Zahlungsweise, als dies „Abschreiben per Bank“, läßt sich kaum denken. Nur weniger Federzüge, sowie eines einmal täglich zur Bank zu machenden Weges bedarf es, um die größten Summen in Bewegung zu setzen. Das in dem großen gemeinsamen Schrank liegende Geld der Kaufmannschaft circulirt, ohne sich vom Platz zu bewegen.

Die Mühe des Zählens wird erspart, desgleichen die des Prüfens der eingehenden Münzen und Werthpapiere, ob nicht schlechtes oder falsches Geld sich einschleiche. Noch wichtiger ist der Umstand, daß nur ausnahmsweise der Cassirer eines großen hamburgischen Handlungshauses es möglich machen könnte, im Portrait-Album der Kladderadatsch-Beilage zu figuriren, denn größere Baarvorräthe kommen, wie gesagt, beim hamburgischen Kaufmann nur ganz selten vor, und mit dem Banksaldo kann kein Cassirer durchbrennen. Gern bezahlt daher der Bank-Interessent für die Aufbewahrung seines Geldes jährlich eine kleine Summe, denn das ist wieder eine besondere Eigenthümlichkeit der Hamburger Bank, daß sie niemals Zinsen vergütet, auch wenn man ihr die größten Capitalien jahrelang belassen wollte, vielmehr sich in jedem Falle für die Aufbewahrung ein Geringes vergüten läßt. Sie macht eben keine Geschäfte mit dem Gelde, fungirt vielmehr ausschließlich als großer feuer- und diebsfester Geldschrank, der zu jeder Zeit das gesammte ihm anvertraute

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 856. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_856.jpg&oldid=- (Version vom 10.1.2022)