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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


No. 52.   1875.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennige. – In Heften à 50 Pfennige.



Der Doppelgänger.
Erzählung von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


„Wenn der zukünftige Machthaber nur Einer ist,“ bemerkte der Oberförster, „der uns in Frieden einen ordentlichen Tabak rauchen läßt. Dieses Continentalsystem ist nicht mehr zu ertragen, und dem Schläfrigsten reist dabei die Geduld.“

„Es hat auch die längste Zeit gedauert,“ sagte Herr Fäustelmann mit dem Tone ruhiger Ueberzeugung.

„Hoffen wir’s!“ entgegnete der Oberförster mit einem Seufzer.

„Sie, Fäustelmann, haben ja die Preußen schon durchmarschiren sehen,“ bemerkte hier die gnädige Frau, „und so braucht auch kein Zweifel mehr daran zu sein.“

„Nein!“ sagte der Rentmeister, still für sich hinnickend.

„Sie werden dann sehen müssen, Fäustelmann,“ fuhr Herr von Mansdorf fort, „wie Sie mit dem neuen Herrn fertig werden. Es wird mit der Veränderung in allen Dingen wieder eine hübsche Menge Scherereien verbunden sein.“

„Werde schon damit fertig werden,“ entgegnete Herr Fäustelmann, „habe ja auch zu meiner Unterstützung mit Rath und That einen so scharfen Kopf wie den Herrn Justitiar zur Hand.“

„Gewiß,“ fiel der Justitiar mit einem forschenden Seitenblicke auf Herrn von Uffeln ein, „Sie werden mich nicht säumig finden, wenn ich mit meinem Kopfe nützen kann. Doch will mich bedünken, Herr Fäustelmann, wenn Sie so gewiß – mit jener absonderlichen Gabe, die Sie vor uns anderen Menschenkindern voraus haben – den Umschwung der Dinge und das Einrücken der Preußen hier voraussehen, so handeln Sie wider Ihr eigenes Interesse, indem Sie so zuversichtlich sagen: ‚Ich werde schon damit fertig werden.‘ Etwas mehr Scheu vor der großen Verantwortlichkeit, welche Sie übernehmen wollen, etwas mehr Voraussicht, in welche Verlegenheiten die Verwaltung eines Gutes in solchen unruhigen Zeiten kommen kann, würde ich in Ihrer Stelle doch an den Tag legen, in der Hoffnung, daß sich unsere gnädige Gutsherrschaft dann nicht ganz und insgesammt fortbegäbe, daß uns mindestens Herr von Uffeln hier bliebe, um nach seinem Eigenthume zu sehen.“

„Herr von Uffeln will aber nicht allein daheim bleiben,“ versetzte Fäustelmann, „und wenn ich nun einmal keine Scheu vor meiner Verantwortlichkeit empfinde, sondern überzeugt bin, daß ich während der Abwesenheit unserer gnädigen Herrschaft Alles zu deren Zufriedenheit ausrichten und besorgen werde, so werden Sie mir nicht zumuthen, daß ich eine solche Scheu heucheln soll. Hab’ ich doch Wilstorp schon viele Jahre lang verwaltet, lange schon, ehe Herr von Mansdorf kam, um es in Besitz zu nehmen.“

„Auch gehen wir,“ nahm Frau von Mansdorf das Wort, „ohne deshalb in der geringsten Sorge zu sein – danken nur Gott, daß wir überhaupt gehen und, was ja so lange unser Wunsch war, den Winter mit Adelheid am Genfersee zubringen können. Und was Ihre Idee angeht, Plümer, daß Herr von Uffeln hier bleiben solle, so kann davon deshalb keine Rede sein, weil Herr von Uffeln nicht jetzt, wo er eben verlobt ist, seine Braut verlassen will.“

„Seine Braut?“ rief der Oberförster im Tone der Ueberraschung, und der Justitiar rief ebenfalls, nur mehr im Tone einer unwilligen Betroffenheit:

„Seine Braut?“

„So ist es,“ entgegnete Frau von Mansdorf, auf ihre Tochter und Herrn von Uffeln mit einem Lächeln wie von nachsichtigster Güte blickend, „es ist das eine Thatsache, welche ich mich freue, jetzt den Herren kund geben zu können, und bei der uns Ihre freudige Theilnahme nicht fehlen wird. Herr von Mansdorf und ich haben unsere Einwilligung zu dem Verlöbnisse der jungen Leute gegeben, und wenn wir uns früher zu dem Eintritte des Herrn von Uffeln in unseren Lebenskreis nur Glück wünschen konnten, so können wir jetzt die Hoffnung hegen, daß sein Eintritt in unsere Familie zu einem noch größeren und dauernden Glücke führen wird.“

Während Frau von Mansdorf diese Worte sprach, hatte sie, um die Feierlichkeit des Augenblicks zu erhöhen, worin sie der Welt dieses Ereigniß kund machte und damit Adelheids Schicksal besiegelte, ihr Strickzeug auf den Tisch gelegt und ihre linke Hand darauf, mit der andern jedoch die Hand ihrer neben ihr sitzenden Tochter auf ihren Schooß gezogen und diese mit warmem Drucke umspannt gehalten. Adelheid saß still und blickte vor sich nieder, ohne sich zu regen; da sie im Schatten ihrer Mutter saß und das Abendlicht in den Hintergrund des Plätzchens zwischen den Thürmen nur noch sehr gebrochen eindrang, entging wohl Allen, wie tief sie erblaßt war, wie bleich ihre Lippe geworden und wie diese Lippe jenes leise Zucken verrieth, welches einem Thränenausbruche vorherzugehen pflegt. Doch mußte wohl in dem Händedrucke der Mutter etwas wie eine geheimnißvolle magnetische Kraft liegen, welche diesen Ausbruch

verhinderte. Obendrein hatte sie ja am heutigen Morgen ihrer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 861. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_861.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)