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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

sich, außer den bereits genannten Salons auf der östlichen Seite, auch noch das Schlafzimmer Maximilian’s und seiner Gemahlin, der gewöhnliche Speisesaal und die kleine Hauscapelle. In der ersten Etage fällt dem Blicke des Besuchers vor Allem der imposante, zwei Stockwerke hinaufreichende, pompöse Ceremoniensaal mit seinen kostbaren Stuccaturen und Marmortäfelungen, seinen großen venetianischen Lustres und kunst- und geschmackvollen Bronzearbeiten auf. Hier fand an jenem Sommertage des Jahres 1864, der die jämmerliche Kaisertragödie von Mexico einleitete, die Abdankung Maximilian’s als kaiserlich österreichischer Thronfolge-Berechtigter statt, nachdem vorher in einem der anstoßenden Empfangssalons sich eine heftige Scene zwischen den erwachsen Brüdern Franz Joseph und Maximilian, abgespielt hatte. Viele große Feste hat der herrliche Saal in den ersten vier Jahren seiner Existenz nicht gesehen. Zählte sich doch Maximilian selbst halb und halb zu jener kleinen Zahl von Menschen, „die sich einsam fühlt in der Unterhaltung und die sich unterhält in der Einsamkeit.“

Er liebte das Beisammensein mit einigen guten Freunden des Hauses; das ceremonienvolle Courabhalten war seine Liebhaberei nicht, und wo es also nicht mit auf dem Programme des politischen Erfolges stand, wie z. B. in Mailand und Venedig anno 1857 und 1858, da wollte er auch nichts davon wissen. Im kleinen Kreise saß er gerne mit seinen Marinelieblingen, mit seinen Adjutanten (Graf Hadik und Freiherr von Bruck nahmen die Stellen der am liebsten Gesehenen beim Prinzen ein), mit einigen Celebritäten der Admiralität und der Landarmee, die durch Triest kamen, zusammen, und da gab es oft der Scherze gar viele, die sich für die Tafel der „kaiserlichen Hoheit“, wie sie sich etwa ein eingefleischter Ceremonienmeister zu denken gewohnt ist, freilich nicht recht schicken mochten. Derlei heitere kleinere Kreise sah der Speisesalon im Erdgeschosse nicht selten. Da wurden auch oft gelehrte, schöngeistige Männer (z. B. Frh. v. Littrow) mit herangezogen und wurde auch mancher Schabernack gegen diese und jene militärische Landratte ausgedacht und ausgeführt. Hatte die gute Laune länger angehalten, was bei dem raschen Stimmungswechsel, dem Maximilian oft anheimgegeben war, nicht jedesmal der Fall gewesen, so wurde die reizende Yacht „Phantasie“ geheizt und die Gesellschaft schwamm dann mit ihr die Adria hinaus. Was war diese „Phantasie“ auch für ein liebliches Schiffsgebilde! Leicht, schmuck, elegant, ein echtes Kind jener englischen Rheder, die solche Luxusschiffe erzeugen. Und wie lieb war sie dem Prinzen! Hatte ihn doch ihre erste um zwei Tage verspätete Ankunft im Hafen von Triest im Jahre 1856 beinahe krankhaft erregt, eine Erregtheit die dem Befehlshaber der Yacht, dem armen Grafen Michielli, seine Stellung in der Marine und bald darauf den Verstand gekostet hat. Auf der „Phantasie“ ward auch so manche Wonnenacht an der Seite Charlottens verträumt, so manche der Nachtfahrten, die der Erzherzog im stimmungsvollen Liede besungen. Däuchte ihm doch in solchen Stunden ihr „leicht Gebäude“ eine ganze Welt:

„Voll Frohsinn, Frieden, Lebensfreude,
Die all sein Um und Auf enthält.“ –

Wohin wir auch immer sehen mögen, in den Laubgang oder in die verschlungenen Parkgänge, in das niedliche Gartenhäuschen, auf die Terrasse oder in das Cajütenzimmer, in den Ceremonien- oder kleinen Speisesaal, in das Thurmwartzimmer oder in die schöne Bibliothek, überall in Miramar hat in den vielen Tagen, die von 1857 bis zum Juli 1864 in’s Küstenland gegangen, das Glück gewohnt, bis es des Corsen gleißnerische Locksprache von dannen gescheucht, bis Charlotte und Maximilian den mexicanischen Argonautenzug an jenem unheilvollen Sommertage angetreten, da ein kleiner Kreis Theilnehmender das glückliche Paar zum letzten Male die Stufen der zum Hafen führenden Treppe von Miramar hinabsteigen gesehen, Alle voller Theilnahme für den Erzherzog und die Erzherzogin, Niemand für den Kaiser und die Kaiserin von Mexico.

Was ist heute von all’ dem Glück noch übrig? Der eine Theil desselben liegt mit durchlöcherter Brust in der Kapuzinergruft zu Wien, der andere aber gehört nur noch scheinbar dem Leben an und irrt sinnverwirrt in den Sälen des belgischen Schlosses Tervueren umher, alltäglich einen Speisezettel schreibend, auf dem als seltener Braten consequent „Maréchal Bazaine à la sauce blanche (!!)“ figurirt.

Wie lautet doch eines der „Aphorismen“ Maximilians?

Jeder Mensch hat seinen Privatwahnsinn, und der ihn nicht hätte, trüge nicht als Motor zur Weltbewegung bei.“ Scheint es nicht, als habe Maximilian wie in der Vorahnung des Privatwahnsinns „Mexicanisches Kaiserreich“ dies niedergeschrieben?




Aus dem Beamtenleben.
Nr. 6. Die Conservatoristin.

An einem stürmischen Decemberabende des Jahres 187* hatte mich wiederum einmal die Reihe getroffen, als Wachhabender der vierten Abtheilung eine Nacht im alten berühmten und berüchtigten Gebäude am Molkenmarkte zu verleben. Schon ging es stark auf zehn Uhr, und ich legte die letzte der vorliegenden Arbeiten als erledigt bei Seite; da ich für einige Augenblicke frei war, so packte ich mein frugales Abendbrod, zwei belegte „Schrippen“, aus, wozu mir mein alter, langjähriger Untergebener, der Criminalschutzmann G., eine „kleine Weiße“ vom Restaurateur gegenüber, dem Lieferanten sämmtlicher Beamten des Polizeipräsidiums, besorgen sollte. Im Begriffe, dem im Vorzimmer wartenden G. einen dahin gehenden Auftrag zu ertheilen, öffnete sich die Thür, und er selbst trat mit Papieren in der Hand bei mir ein.

G., bereits fünfzig Jahre im Dienste und das Urbild eines rüstigen, echten, mit Spreewasser getauften „Berliner Kindes“ der alten Zeit, war ein Original durch und durch.

Da auch ich beinahe eine fünfundzwanzigjährige Dienstzeit hinter mir hatte, so bestand zwischen uns ein sehr gutes Verhältniß, ja eine gewisse Vertraulichkeit, die G. indessen nie in Gegenwart von Fremden durchblicken ließ. Vielmehr beobachtete er dann stets ein „strammes“ dienstliches Benehmen, „so wie es einem Untergebenen seinem Vorgesetzten gegenüber zukommt,“ meinte er nach alter Soldatenweise.

„Entschuldigen Sie, Herr Commissar,“ begann G., als er mich mit der „Schrippe“ in der Hand erblickte, „wenn ick Ihnen jrade wieder bei det Essen störe, aber et is mit dem ‚jrünen Aujust‘“ (so nennt nämlich der Berliner Volkswitz die grün angestrichenen Wagen, in welchen die auf den Wachen der verschiedenen Polizeireviere Eingelieferten zur Untersuchung oder zum Gewahrsam nach dem Molkenmarkte gefahren werden) „noch soeben eene ‚Dame‘ anjekommen, die von det zweite Revier wejen Diebstahls einjeliefert wird. Sie sitzt draußen uff de Bank, wie die reene Unschuld, aber wir kennen des schon, uns streut keene mehr Sand in die Oogen. Hier is noch der Bericht von ’n Herrn Revierleutnant; ick werde ihn uff Ihren Platz lejen, Herr Commissar; essen Sie man jetrost erst Ihre ‚Schrippen‘. Ick kann Ihnen wohl noch ’ne ‚kleene Weiße‘ dazu holen? Die da draußen hat ja noch ’n Bisken Zeit un sitzt sich keene Hühneroogen nich.“

So plaudernd verließ der Alte das Zimmer, während ich, den Rest meines Mahles für später bei Seite packend, den Bericht zur Hand nahm; er lautete: „Frau von S., Oberin des adeligen Fräuleinstiftes in der C.-Straße, hat zu Protocoll erklärt: Bereits heute vor acht Tagen bemerkte ich in den Abendstunden, daß aus meinem Portemonnaie, welches ich auf der Kommode in dem von mir allein bewohnten Zimmer im ersten Stockwerke meines Hauses hatte liegen lassen, zwei Fünfundzwanzig-Thalerscheine fehlten. Ich selbst war in der Nebenstube beschäftigt gewesen, und Niemand hatte inzwischen mein Wohnzimmer betreten, außer der französischen Lehrerin Alice R. und deren Freundin Margot B., welche die Erstere zu einem Spaziergange abholte. Fräulein R. kam zu mir in’s Nebenzimmer, um mir von dem beabsichtigten Spaziergange Mittheilung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 868. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_868.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)