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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

schuldige Höflichkeit vergessen, so hat eine derartige Scene stets die Versetzung des Betreffenden aus dem Damensaal zur Folge. Von ihren Vorgesetzten werden sie mit besonderer Nachsicht und Schonung behandelt, soweit dies mit der Strenge des Dienstes vereinbar ist. Auch der Kronprinz und die Kronprinzessin schenken den weiblichen Telegraphisten eine erfreuliche Aufmerksamkeit und besuchen zuweilen den Uebungssaal im Lette-Hause; Ersterer war selbst einmal auf der Centralstation, wo er sich mit den jungen Damen freundlich unterhielt. Besonders belustigte ihn die Antwort, welche er auf seine scherzhafte Frage: „Was giebt es Neues?“ von einer gewissenhaften Telegraphistin erhielt: „Thut mir leid, kaiserliche Hoheit, nicht dienen zu können, das ist Amtsgeheimniß.“

Die Beamten sind mit den Leistungen ihrer weiblichen Collegen meist zufrieden und nur selten hört man eine ernste Klage. Einer der älteren Herren giebt ihnen das beste Zeugniß: „Erst seitdem wir weibliche Collegen im Bureau haben, habe ich die Frauen achten gelernt, und so sehr ich gegen die Anstellung derselben früher gewesen bin, so muß ich nach längerer unparteiischer Beobachtung zugeben, daß die Mädchen weit mehr leisten, als ich je von ihnen erwartet habe.“ – Die jüngeren Collegen aber sagen, daß noch nie eine solche Heiterkeit und herzliche Lust in den Räumen dieses Hauses geherrscht, als seitdem sie es mit den Damen theilen. Alle aber stimmen darin überein, daß der gemeinsame Verkehr stets sich in den Grenzen des feinsten Anstandes hält und der Dienst durch die Gegenwart der Damen nicht die geringste Störung erleidet.

Obgleich die Arbeit anstrengend ist und die Mädchen bei gutem und schlechtem Wetter auf ihren Posten mit militärischer Pünktlichkeit erscheinen müssen, so kommen doch nur wenige Krankheitsfälle vor. Im Gegentheil scheint den Meisten die Beschäftigung und die damit verbundene körperliche Abhärtung sehr gut zu bekommen. Unter einander sind die Damen verträglich, sie helfen sich gegenseitig und vertreten einander, wenn es nöthig ist. Wenn Eine ernstlich erkrankt, so muß sie ein Attest von ihrem Arzte einreichen und erhält dann einen Urlaub bis zu sechs Wochen. Alle anderen Entschuldigungen sind unstatthaft und werden unnachsichtlich mit Gehaltsabzügen und nöthigenfalls mit Entlassung bestraft.

Wenn auch das Gehalt der Damen verhältnißmäßig noch unbedeutend ist und nur knapp zum Lebensunterhalte hinreicht, so beweist der große Andrang zum Telegraphendienste doch, daß dieser Erwerbszweig beim zarten Geschlechte kein unbeliebter ist. Die Thatsache lehrt, daß selbst Töchter aus den besseren Ständen öfter in die Lage kommen, für sich selbst sorgen zu müssen. Nicht Alle sind so glücklich, vermögende Eltern zu haben oder einen Mann zu finden, der ihnen eine sorgenlose Häuslichkeit bietet. Unter solchen Verhältnissen ist es gewiß nur zu billigen, wenn das weibliche Geschlecht durch eigene Thätigkeit und Arbeit sich ein menschenwürdiges Dasein zu verschaffen sucht, um nicht Andern zur Last zu fallen. Wir können dieses Streben nur gut heißen und achten; darum Respect vor den Berliner Blitzmädeln Stephan’s!




Blätter und Blüthen.


Aus San Diego in Californien erhalten wir mit Bezug auf den in Nr. 32 der „Gartenlaube“ enthaltenen kleinen Artikel über die Jagd auf Klapperschlangen folgende interessante Mittheilungen:

„Im Juni des Jahres 1873 wurde ich nach Penasquitos[WS 1], einer Besitzung des Capitains J., berufen, um während der mehrmonatlichen Abwesenheit des Eigenthümers denselben zu vertreten. Penasquitos[WS 2] ist ein schöner, aber einsamer Landsitz, der sich vor den übrigen Farmen im Umkreise vieler Meilen durch seinen ungewöhnlichen Wasserreichthum auszeichnet. Die Flüsse und Deiche wimmeln von Amphibien aller Art, und wiederholt hatten mir unsere farbigen Arbeiter von den zahlreichen Klapperschlangen erzählt, die sich in unserer Nähe aufhalten sollten, ohne daß ich diesen Mittheilungen indeß besondere Beachtung geschenkt hätte. Nur einmal wöchentlich, Donnerstags, wurde unsere Einsamkeit unterbrochen, wenn aus dem fünfundzwanzig Meilen entfernten San Diego Briefe und Zeitschriften, unter ihnen auch die ‚Gartenlaube‘, eintrafen.

Eines Tages hatte ich mich auf den Divan gestreckt und mich in die Lectüre der eben angekommenen Journale vertieft. Mein Zimmer lag zu ebener Erde und grenzte an eine Veranda, die einen angenehm kühlen Aufenthalt gewährte. Draußen herrschte eine tropische Hitze, und ich hatte Thür und Fenster weit geöffnet, um die Temperatur im Zimmer etwas zu mildern. Plötzlich vernahm ich ein eigentümlich rasselndes Geräusch, und in demselben Augenblicke sah ich einige junge Schwalben mit allen Zeichen höchster Angst auf der Veranda umherlaufen und endlich in mein Zimmer schlüpfen. Die Ursache dieser auffallenden Erscheinung ließ nicht lange auf sich warten: blitzschnell zeigte sich eine blaßrothe, etwa fünf Fuß lange Klapperschlange, im Begriffe, sich auf eines der Thierchen zu stürzen. Ich lag wie erstarrt. Jede auffallende Bewegung konnte mir den Tod bringen; dennoch behielt ich Geistesgegenwart genug, nach meinem immer geladenen Pistol zu greifen und den Hahn zu spannen. Das Geräusch machte das giftige Reptil aufmerksam, einige Augenblicke sah es mich mit seinen stechenden, diamantfunkelnden Augen an, züngelte und verschwand dann ebenso plötzlich, wie es gekommen war, unter der Veranda. Man kann sich denken, daß ich über diese Hausgenossenschaft nicht sehr erbaut war, es gelang mir aber nicht, den Schlupfwinkel des Thieres zu entdecken und dasselbe unschädlich zu machen. Im Banne der Schlange legten die Schwalben ihr sonst so scheues Wesen gänzlich ab und hätten sich ruhig ergreifen lassen; als ich dies jetzt versuchte, flatterten sie lustig davon. Warum flohen die Thierchen nicht vor dem Todfeinde hinauf in die höheren Luftregionen?

Glücklicher war ich einige Wochen später. Der Gärtner, ein Indianer, hatte mir oft gesagt, daß sich im Gemüsegarten wiederholt Klapperschlangen gezeigt hätten, ohne daß ich Gelegenheit fand, mich von der Wahrheit dieser Behauptung zu überzeugen. An einem heißen Julimorgen befand ich mich, den Spaten in der Hand, im Garten, wo ein Negerbursche beschäftigt war, junge Erbsen zu pflücken. Ich sprach einige Worte mit ihm und hatte eben den Spaten in die Erde gestoßen, als plötzlich zu meinem Schrecken dicht vor mir eine Klapperschlange aus dem Beete herausschlüpfen wollte, die ich offenbar in ihrer Morgenruhe gestört hatte. Sofort streckte das Thier den Kopf wieder empor, in der unverkennbaren Absicht, mich anzugreifen; in demselben Augenblicke aber führte ich mit dem Spaten einen so kräftigen Schlag nach der Schlange, daß der Kopf vom Rumpfe getrennt ward und der Spaten noch tief in die Erde fuhr. Minutenlang peitschte der Körper noch den Boden, und das Schnarren und Rasseln der sogenannten ‚Klappern‘ wirkte in dieser unmittelbaren Nähe fast betäubend. Das Thier gehörte der Gattung der gefleckten Klapperschlangen an, war von weißgrüner Farbe und mit tiefschwarzen, offenen Vierecken besetzt. Es hatte eine Länge von vier Fuß, zwanzig Zoll. Im Magen fanden sich eine große Menge junger, grüner Erbsen und mehrere erst vor Kurzem verspeiste Vögel; den Inhalt der Giftbläschen entleerte ich in ein Fläschchen und gewann etwa acht Tropfen dieser gefährlichen Flüssigkeit, die ich nebst der getrockneten Haut noch jetzt besitze.

San Diego, Californien.

C. T. Hanke.“ 


Ein Umgangsfehler. Der Mensch ist ein geborener Hypochonder. Zwar nicht bei einem Jeden entwickelt sich die geringe Anlage zu dem berüchtigten Plagegeist, denn Energie und Willenskraft können den Beginn des Wachsthums unterdrücken, der Keim aber ist vorhanden, aus welchem bei einer unzweckmäßigen Behandlung eine Schmarotzerpflanze der schlimmsten Art für den befallenen Organismus hervorwuchert. Diese Thatsache findet leider oft nur eine sehr geringe Beachtung. In dem Glauben befangen, daß nur auf den Körper selbst wirkende Ursachen, dauernde Diätfehler, vieles Sitzen in schlechler Luft etc. die Hypochondrie nach sich ziehen, übersieht man gänzlich die psychischen Einflüsse ihrer Entstehung. Tagtäglich schleudert man seinem unglücklichen Mitmenschen, und zwar noch aus Höflichkeit, Phrasen in das Gesicht, welche ein nur geringes Nachdenken wenigstens als unbesonnen zurückweisen würde.

Das menschliche Gesicht bietet das ungeeignetste Moment zur Beurtheilung des jedesmaligen Gesundheitszustandes dar. Eine nur unerhebliche Störung des normalen Stoffwechsels, vor allem die äußere Temperatur, Kälte, können eine Veränderung des Ansehens bedingen, welche trotz unseres vollständigen Wohlbefindens eine schwerere Affection vermuthen läßt. Was geschieht nun, wenn wir uns in einem derartigen Falle befinden? Gar bald werden wir einer mitleidigen Seele begegnen, die uns erst mit kritischem Blicke mustert, dann aber theilnehmend fragt: „Was fehlt Ihnen denn? Sie sehen so schlecht aus.“ etc. Es wird damit nichts weniger als etwas Böses beabsichtigt, ganz im Gegentheil soll die Theilnahme verrathen werden, welche der Betreffende unserer armen Persönlichkeit angedeihen läßt. Man soll denken, daß er uns seit der letzten Begegnung fortdauernd im Andenken behalten hat. Den Folgezustand solcher unbesonnenen Redensarten dürften Viele unserer Leser an sich selbst durchgemacht haben. Sobald sich Gelegenheit findet, geschieht der erste Schritt nach dem Spiegel; mit angsterfüllten Blicken wird jede Falte des werthen Ichs durchmustert, ob wir uns denn wirklich so grauenhaft verändert haben. Wehe uns, wenn sich wirklich eine Achillesferse findet! Der Anfang zum Hypochonder ist fertig, der Funke in das Pulverfaß geworfen. Täglich wird die Specialuntersuchung nun erneuert; ein unschuldiges Blüthchen zeigt den beginnenden Krebs; die Röthe der Gesundheit ist der hektische Vorbote der Schwindsucht; dem unscheinbarsten Symptome, welches uns sonst nie berührt, schenken wir jetzt die genaueste Beachtung. Endlich muß das Nervensystem, durch solche Hirngespinnste zuerst gereizt, dann herabgestimmt, die functionirenden Organe, vor allem die Verdauung, in Mitleidenschaft ziehen; gesellen sich die oben genannten begünstigenden Umstände, Diätfehler etc. hinzu, so ist die Kette fertig, deren erstes Glied der menschliche Unverstand geschmiedet hat.

Bei obiger Darstellung hat sich nicht die mindeste Uebertreibung eingeschlichen. Es muß immer erwogen werden, daß nicht allem eine Person, sondern noch so und so viele Andere die gleiche unüberlegte

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Penasquitas
  2. Vorlage: Penasquitas
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 876. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_876.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)