Seite:Die Gartenlaube (1876) 327.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

No. 20.   1876.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.



Nachdruck verboten und Ueber-
setzungsrecht vorbehalten.     
Im Hause des Commerzienrathes.


Von E. Marlitt.


(Fortsetzung.)


„Wohl dem, der sein Schäfchen in’s Trockene bringt!“ fuhr Franz, gemächlich auf die Tasche klopfend, fort. „Ehrlich verdient und fein stet und redlich vermehrt, das ist meine Parole; dabei kann man ruhig schlafen. Wer sich auf das Speculiren nicht versteht, der soll’s bleiben lassen. Da ist der Herr Commerzienrath drüben – den ficht freilich die ganze Geschichte nicht an; der sitzt bombenfest, weil er ein kluger Kopf ist und eine feine Nase hat.“ Er hob mit wichtiger Anerkennung den Zeigefinger. „Kam gestern erst wieder von Berlin, stramm wie immer. Ich hatte gerade Mehl an die Bahn gefahren – hui, wie da seine zwei Schwarzen, seine Prachtpferde, vorbeisausten! Der versteht’s wie Keiner. Die Leute meinten, er hätte gewiß wieder einmal gehörig eingestrichen, so munter sah er aus und so recht wie Einer, der Millionen commandirt. Er war diesmal lange fort und wär’ wohl auch gestern Abend nicht gekommen, wenn sie heute nicht Polterabend drüben feierten.“

Polterabend! Und übermorgen war die Hochzeit, und gleich nach der Trauung sollte das junge Paar abreisen. Käthe wußte das ja; sie hatte es oft genug in Henriettens Tagebuche gelesen, und doch durchfuhr sie ein jähes, schmerzvolles Erschrecken, als es Menschenlippen so selbstverständlich aussprachen.

„Es soll hoch hergehen heute Abend,“ sagte Suse, indem sie der jungen Herrin eine Tasse Kaffee präsentirte. „Ich sprach gestern dem Herrn Commerzienrath seinen Anton, der sagte, es kämen so viele Gäste, daß sie nicht Platz genug schaffen könnten. Ein Theater haben sie gebaut, und eine Menge Fräulein aus der Stadt sollen verkleidet kommen, und das Grüne zum Putzen wird wagenweise aus dem Walde geholt.“

Es schlug Elf auf dem Thurme der Spinnerei, als Käthe nach der Villa ging. Noch klang das verworrene Stimmengeräusch von der Fabrik her an ihr Ohr, als sie den Mühlenhof durchschritt, aber kaum war die kleine Bohlenthür in der Mauer, die das Mühlengrundstück von dem Parke trennte, hinter ihr zugefallen, als auch schon tiefe, so recht vornehme Parkstille sie umfing.

Franz hatte Recht: hier überkam Einen das Gefühl, daß der wüste Lärm des Geldmarktes den reichen Mann und seine wohlgeborgenen Schätze nicht anfechte, daß die Alles verschlingenden Unglückswogen nicht einmal bis zu seinen Sohlen hinauflecken durften. Ah, dort dehnte sich ein herrlicher Wasserspiegel hin. Er fing den Azur des wolkenlosen Morgenhimmels auf – ein riesiger Sapphir von fleckenloser Reinheit! Der Teich war fertig, unglaublich rasch fertig geworden durch die massenhaft auf diesen kleinen Fleck concentrirte Menschenkraft und riesige Geldopfer. Schwäne durchfurchten die blaufunkelnde Fluth, und dem Ufer nahe schwankte ein buntbewimpelter Nachen an der Kette. Als Käthe gegangen war, hatte der Park in heller Maienblüthe gelegen – jetzt schien alles Grün tief schattirt, wie ein nachgedunkeltes Gemälde; über das sanfte Farbengemisch der Frühlingsblumen waren die Sonnenflammen sengend hingelaufen und hatten dafür die Blüthenfackeln der Cannas, die kerzenartig aufstrebenden Gladiolen auf jedem zwischen der Boscage hervortretenden Rasenspiegel angezündet.

Wie viele Hände mußten bezahlt werden, um dem Parke das Gepräge peinlicher Sauberkeit und Pflege zu bewahren! Kein abgefallenes Blättchen lag auf den Wegen; kein Grashalm bog sich über die vorgeschriebene Linie; keine verdorrende Blüthe hing an den Zweigen. Und dort zwischen den köstlich schattirten Gruppen von Laubholz trat jetzt die imposante Façade des neuen Marstalles hervor; auch an ihr war ununterbrochen gearbeitet worden; ihr Emporwachsen war ein so zauberhaft rasches, als habe eine Riesenkraft das Mauerwerk mit seinen Stuckverzierungen aus der Erde getrieben. Und hier förderte in der That die treibende Macht, das Geld, fort und fort; hier sprang der Goldquell in unverminderter Stärke, ob auch auf der Börsenbühne die großen Brunnen verschüttet waren – nein, nicht einer der elektrischen Schläge, welche die Geschäftswelt so mörderisch durchzuckten, hatte seinen Lauf hierher gelenkt.

Unter der kühlen Wölbung der Lindenallee hinschreitend, kam Käthe der Villa näher und näher. Noch nie war ihr das kleine Feenschloß so aristokratisch unnahbar erschienen, als heute in dieser tiefgoldenen Morgenbeleuchtung, mit der aufgezogenen, farbenglänzenden Flagge auf seiner Plattform – das flatternde Willkommenzeichen wogte, festlich einladend, hoch in den Lüften. Unwillkürlich legte das junge Mädchen die Hand auf das ängstlich pochende Herz – sie war nicht eingeladen, und doch kam sie. Es war ein schwerer Gang, es war ein großes Opfer der Schwesterliebe, dieses Niederkämpfen der eigenen stolzen Natur. Hinter dem Bronzegitter des untern Balcons lief das Löwenhündchen der Präsidentin auf und ab und kläffte die Kommende wie immer feindselig an, und die Papageien im blauen Salon accompagnirten kreischend durch die weit offenen Glasthüren.

Als Käthe unter das Portal trat, huschte eine Dame an ihr vorüber; sie hielt das Taschentuch vor das Gesicht, aber

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 327. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_327.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)