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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

No. 21.   1876.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.



Nachdruck verboten und Ueber-
setzungsrecht vorbehalten.     
Im Hause des Commerzienrathes.


Von E. Marlitt.


(Fortsetzung.)


Was war das? .. Alles, was laufen konnte, stürzte aus der Villa und rettete sich hinaus in den Garten – das Haus hatte in seinen Grundvesten bis zum Einsturze gewankt. – Ein Erdbeben! Wie entgeistert, athemlos standen die Menschen draußen, jeden Augenblick erwartend, daß sich die Erde zu ihren Füßen aufthun werde. Schon spie sie Wasserbäche dort über die niedriger gelegenen Rasenspiegel hin; die Lüfte athmeten Brandgeruch und streuten Atome zu Zunder gebrannter Stoffe auf den Kies. … Die mächtigen Scheiben des stolzen Hauses waren zersprungen; und im großen Saale lagen die deckenhohen Spiegel zerschmettert auf dem Parquet, und von dem luftigen Bau der Bühne waren die Sammet- und Seidendraperien abgeschüttelt, und die Arbeiter hatten sich nur mit Mühe vor den schwer niederstürzenden Bronzeverzierungen und Stangen gerettet.

Von der Promenade her stürmten jetzt die Spaziergänger herein, unter ihnen Anton, der aus der Stadt zurückkehrte. „Dort, dort!“ schrieen die Leute der Präsidentin zu, die sich halbohnmächtig auf Flora’s Schulter stützte, und zeigten über den Park hin. Dort brannte es – dicke, schwarze Rauchwolken quollen auf, so intensiv, daß man besonders brennbare Stoffe wie Raketen einzeln in dunkler Nacht emporschießen sah.

„Das Pulver im Thurme hat explodirt,“ rief Jemand aus der Mitte des Menschenknäuels.

„Unsinn!“ antwortete Anton, nahezu lachend, obgleich ihm die Zähne vor Schrecken und Entsetzen zusammenschlugen. „Das taube Zeug explodirt längst nicht mehr, und die paar frischen Prisen, die der gnädige Herr aus Jux d’rüber hergestreut hat, heben keinen Ziegelstein von seinem Platze.“

Trotzdem rannte er wie toll parkeinwärts, quer über die schwimmenden Rasenflächen – er wußte ja seinen Herrn dort drüben, wo es brannte. Der ganze Menschenschwarm brauste hinter ihm drein, während auf dem nahegelegenen Stadtthurm die Feuerglocke zu läuten begann.

Welche Verwüstung! Was war in einer flüchtigen Secunde, die kaum zu einem Athemzug genügte, aus dem paradiesischen Gefild geworden, zu welchem ein verschwenderischer Aufwand von Gold und Arbeit den ehemaligen Lustgarten eines erloschenen Rittergeschlechtes umgewandelt hatte! Wie ein Springquell, der spielend Kiesel in die Lüfte wirft, so hatte dort, wo der schwarze Qualm den Himmel verfinsterte, ein Höllensprudel die Mauerquadern gepackt und in weitem Bogen verstreut, hier einen Granitwürfel tief in den weichen Rasenboden einwühlend, dort starke Baumwipfel wie Rohr unter der Steinwucht einknickend, und drüben nach Süden hin stand das Palmenhaus wie ein gläsernes Sieb, doppelt flimmernd und glitzernd mit seinen Scherbenzacken; ein wahrer Steinhagel mußte sich, wie aus boshafter Knabenhand geschleudert, gerade auf „das Glaswunder“ der Residenz gelenkt haben.

Es war ein Anblick, wohl geeignet, das Haar sträuben und die athemlos Herbeieilenden zurücktaumeln zu machen, als das letzte hohe, verbergende Buschwerk hinter ihnen lag. Hatte die Ahnfrau der Baumgarten in der That die Lunte angelegt, um dem komödienhaften Spiel, das der Parvenü mit den ehrwürdigen Ueberresten ihrer Stammburg trieb, ein Ende zu machen? Aber sie mußten Eisen in die Mauerfugen gegossen haben, die Alten. Wohl war das obere Gelaß mit der Zackenkrone auf dem Scheitel zerstückelt und nach allen vier Winden hingeschleudert worden; von dem unteren Theil des Gemäuers dagegen hatte die Riesengewalt nur eine kleinere Hälfte abzusprengen vermocht; sie lag, herabgestürzt, aber noch festgefügt und unzerstörbar zusammenhaltend, nahe dem Graben, während die andere trutzig und dräuend wie vorher in die Lüfte ragte; aus ihrem Schlund loderten die bleichgelben Flammen empor, jeden Balkensplitter, jeden Zeugfetzen gierig von den Innenwänden leckend.

„Mein armer Herr!“ stöhnte Anton und streckte die Arme verzweiflungsvoll über den Graben hin. Da drunten gurgelten und brodelten die Wasser, die der furchtbare Stoß aus ihren Ufern gehoben und weithin über den Park verschüttet hatte; nun stürzten sie sich zurück in ihr niedriger gelegenes Gebiet, Sand und Rasenstücke und blutige, zerrissene Tauben- und Dohlenleichen mit sich schleppend. Der zierliche Brückenbogen war spurlos verschwunden, der schönberaste, eiförmige Hügelrücken in klaffende Spalten geborsten, und die alten Nußbäume, die er genährt, und die sein Schmuck gewesen, hatte er ausgestoßen; sie lagen hingestreckt, die Aeste wie die Geweihe zweier im erbitterten Kampfe verendeter Hirsche ineinander verrannt.

Was half es, daß immer neue Menschenschaaren zuströmten, daß die Feuerspritzen heranjagten? Da war nichts zu retten. Wer suchte noch dort in dem lodernden Krater die kostbaren Möbelstücke, die berühmte Humpensammlung, die Bild- und Sculpturwerke und Elfenbeinschnitzereien, die reichen Teppiche? Wie in entsetzlichem Hohne war eine der purpurnen Seidengardinen, unversehrt aus dem Fenster fliegend, am Sims hängen geblieben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 343. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_343.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)