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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

dankbarer Menschen bilden. Wenn ich Dich aber so theuer bezahlen muß, nun – dann will ich auch das Opfer bringen, will das Blatt zerreißen, auf das ich meine Zukunft berechnet habe. Du Stolze, Du Prächtige, ich liebe Dich, und soweit es auf mich ankommt, soll Dich Niemand besitzen außer mir.“

Sie standen am Ausgange zum Canale. Wieder schlug er den Arm um sie; um seine Nüstern zuckte es stolz und sein Auge ruhte brennend auf ihrem erregten Gesichte. Das Blut floß ihr zu Kopfe; sie wand sich los und sah ihn ernst an. „Schwöre mir, daß Du mich retten willst! Ich müßte sterben, wenn ich das Weib jenes Mannes werden sollte.“

„Ich schwöre es,“ sagte er.

„Ich danke Dir, Heinrich. Gute Nacht, und habe mich lieb!“ Sie schritt flüchtig um die Ecke und eilte die Stufen hinauf. Gebückt schlüpfte sie unter dem oberen Thürflügel durch, schob den unteren so vorsichtig wie möglich zu und steckte den schweren Holzriegel durch die Klammern. Einen Moment stand sie hochaufathmend drinnen und horchte, ob sich im Hause etwas regte. Die alten Treppen knisterten leise, und eine Maus arbeitete irgendwo im Holzwerke. Die Uhr im lutherischen Kirchthurme in der Nähe schlug Eins, und ein paar andere Thurmuhren folgten. Milli schien das Geräusch benutzen zu wollen, um dasjenige ihrer Schritte zu verdecken, denn sie huschte geschwind die Stufen hinauf.

Als sie über den Corridor ging, der zu ihrem Zimmer hin führte, sah sie, wie ein Lichtstrahl durch eine Thürritze über die Dielen des Bodens fiel, und gleichzeitig knarrte eine der Dielen unter ihrem Tritte laut und häßlich. Sie wurde bleich und griff nach ihrem Herzen. Sie wollte weiterschleichen, aber die Thür vor ihr öffnete sich, und der volle Schein einer Kerze strahlte auf ihr verstörtes Antlitz. Auf der Schwelle stand die Strenge, Gefürchtete: ihre Mutter, die nothdürftigsten Kleidungsstücke umgeworfen, die Nachthaube auf dem Kopfe, deren tadellose Weiße das derbe, energische Gesicht mit den scharfen braunen Augen nur noch dunkler röthete, als es ohnehin schon war.

„Mutter,“ stammelte das junge Mädchen, „sind Sie noch wach? Ich war drunten, weil ich glaubte klopfen zu hören und vermuthete, Karl sei vor der Thür und wolle aufgeriegelt haben.“

„Komm näher!“ entgegnete die alte Frau lakonisch, und dabei wandte sie sich um und stellte das Licht auf den Nachttisch, indem sie es der Tochter überließ, die Thür hinter sich zu schließen. Sie setzte sich dann in einen Rohrstuhl, legte ein Tuch über die Füße und forderte die Tochter mit einer kurzen Geberde auf, gleichfalls Platz zu nehmen.

„Du wirst die Güte haben, Emilie, mir ohne Umschweife und Winkelzüge zu erklären, was Dich um diese Stunde noch in voller Kleidung hält und was Du da unten zu suchen hattest. Dein Bruder Karl ist Mann und mag verantworten, was er die Nächte über angiebt, welche er vorzieht, außer dem Hause zuzubringen. Von meiner Tochter wünsche ich Aufschluß über nächtliche Irrfahrten.“

Das junge Mädchen hatte seine feste Haltung wiedergefunden; bei der letzten Aeußerung der Mutter stieg ihr das Blut in die Wangen. „Ich denke, meine Mutter wird wissen, daß ich nicht danach erzogen bin, um die Gebote der Schicklichkeit mit nächtlichen Irrfahrten zu überschreiten,“ sagte sie ausweichend, aber ohne zu stocken.

„In der That, recht schön gesagt, Emilie, Du bist leider emancipirt genug von dem Einflusse Deiner Mutter, als daß es Dir zukäme, Dich auf die Wirkungen meiner Erziehungsweise zu berufen.“

Das junge Mädchen sah einen Augenblick vor sich nieder. „Ja,“ sagte sie dann, wie mit plötzlichem Entschlusse, „ich habe meinen Willen, Mutter, und ich will ihn haben. Kein göttliches Gesetz hat die Kinder zu willenlosen Sclaven der Eltern gemacht. Ich habe auch ein Herz, Mutter, und mein Herz hat seine eigenen Empfindungen und Wünsche. Ich würde nicht jedes Schicksal tragen können, aber das Schicksal, welches ich mir wünsche, trüge ich, und wenn es im tiefen Elend endigte, weil ich es gewollt habe, und wenn ich mir Disteln und Dornen zum Lager bereite, dann habe ich Kraft genug, darauf zu schlafen. Aber wenn mich eine andere Hand in's Elend wirft,“ fuhr sie mit erhobener Stimme fort, „dann kann sie mir nicht zugleich die Kraft mittheilen, darin auszuharren, in mir selber aber würde ich sie nicht finden.“

Sie war aufgestanden; ihre Augen blitzten, und ihr voller Mund war von Stolz geschürzt, ohne daß sie die plastische Haltung verlor, welche dem vollen, ebenmäßigen Bau des schönen Mädchens eignen zu müssen schien.

„Das Blut unseres Ahnherrn!“ murmelte die alte Frau, indem sie, die Stirn runzelnd, eine Weile bei Seite blickte; „wir haben es alle.“

Dann deutete sie wieder mit ausgestrecktem Finger auf den Holzstuhl, auf dem Emilie gesessen hatte und der so farben-unbestimmt und verwittert aussah, wie das ganze Meublement dieser Kammer. „Du bist eine Närrin,“ sprach sie schneidend. „Du hast Verstand genug für fünf Mädchen, aber Du willst ihn nicht gebrauchen, weil ihn Dein sogenanntes Herz nicht zum Reden kommen läßt. Ich habe nie verlangt, daß Du meine Sclavin sein sollst, aber ich wünsche jenes Vertrauen von Dir, welches den Gehorsam des Kindes gegen seine Eltern begründet. Du sollst glauben, was ich Dir sage: nämlich daß in Deinen Jahren der Mensch einen ungesunden Ueberschuß an Herz hat, und daß er alle die Phantasien und Träumereien, an welche er sein Glück hängt, belächeln wird, wenn er zwanzig Jahre älter sein wird und Herz und Kopf im Gleichgewicht sein werden. Wir Alten waren, was Ihr seid, und wissen, wie es um die Jugend beschaffen ist, und das ist der Grund, warum wir Gehorsam fordern und zu fordern ein Recht haben. Ich weiß, was Dir im Kopfe spukt, Milli,“ fuhr sie ruhigeren Tones fort. „Ich weiß, daß Du an jenem unruhigen, zerfahrenen Menschen hängst, an dem keine geordnete Faser ist, der wie ein Feuerwerk umherprasselt und der selber keinen Gott und kein Glück hat und keine Seele glücklich machen kann –“

„Beschimpfen Sie den Mann, den ich liebe, nicht, Mutter, wenn Sie nicht wollen, daß ich das Zimmer verlasse oder mir die Ohren zuhalte! Ich will Ihnen sagen, worin sein ganzes Verbrechen besteht: darin, daß er keine friedliche Rechenmaschine ist wie dieser – dieser – Zehren, daß er keinen Onkel zu beerben hat, daß er verschmäht, Ihnen – den Hof zu machen – – – ach, Mutter – mein Gott, ich bin von Sinnen – verzeihen Sie einer Unglücklichen! Ich durfte Sie nicht kränken, nicht so grausame Worte sagen –“

Sie war zu der alten Frau hingeeilt, welche die Heftige, außer sich Gerathene starr angeblickt hatte und dann mit geschlossenen Lidern in den Sessel zurückgesunken war, und sie lag vor ihr auf den Knieen, die Augen in Thränen gebadet und ihr die kalten weißen Hände streichelnd. Langsam lösten sich diese Hände aus den ihrigen, und die Frau richtete sich aus dem Sessel auf und trat zur Seite, ohne der Reuigen, welche angstvoll zu ihr hinaufsah, einen Blick zu gönnen. „Du kannst gehen, Emilie,“ sagte sie bitter. „Dein Platz ist zwei Zimmer weiter.“

Bei dem jungen Mädchen verflog die weiche Stimmung mit der nämlichen Schnelligkeit, mit welcher sie gekommen war. Sie erhob sich rasch und verließ mit einem tonlosen „Gute Nacht, Mutter!“ das Zimmer. Das ihrige war bald erreicht. Das Fenster stand noch offen, und sie lehnte sich noch einmal hinaus und trocknete still die brennenden Augen. Der Mond war tiefer gegangen; die Nachtluft wehte kühler von dem verdunkelten Canal herauf. Ueber die steinerne, mächtige Bogenbrücke rechts drüben huschte es wie ein größerer Trupp Menschen, welche es eilig hatten, und hinter ihr in der Kammer der Mutter glaubte sie diese murmelnd und hüstelnd auf- und niedergehen zu hören.




2.

Der junge Arzt stand noch einige Zeit an der Hausecke, nachdem die helle Gestalt des jungen Mädchens in der Hausthür verschwunden war, und rieb sich, während er nachdachte, mechanisch die Stirn. „Enfin – was kann's nützen?“ meinte er endlich halblaut. „Daß ich sie liebe, fühle ich mehr als deutlich; eine Königin, Feuers und Geistes voll – das ist sie, wie ich sie haben muß, um guten Muthes in Fesseln zugehen. Was finge Unsereins mit einer Frau an, die sich darauf capriciren würde, ihn für die Häuslichkeit zu gewinnen und ihm den Hausschlüssel vorzuenthalten! Ich fürchte, in vier Wochen säße sie wieder bei der Frau Mama am Fenster und stickte ein Canevas-Muster, wie sie es während der Unschuldszeit ihrer Mädchenjahre gethan hat.“

„Heirathen! Und eine Entführung dazu! Ich habe kein Loth

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_003.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)