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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

sentimentaler Romantik in mir. Um eine Familie zu ernähren, müßte ich endlich damit beginnen, meine Praxis zu pflegen und sogar nervöse Damen zu curiren, wenn es verlangt würde. Warum nicht? Man kann jeden Beruf als melkende Kuh betrachten, wenn es sein muß. Bei Gott, ich ertrüge es nicht, zu sehen, ohne dumme Streiche zu machen, daß sie mit einem Einfaltspinsel wie Zehren als Mann über die Straße geht. Ich wäre im Stande, sie vor allem Volk von ihm loszureißen und mit ihr weiterzugehen. Und so sei es denn! Komme, was wolle! Das Beste ist, ich rede zunächst mit Karl, mit dem Pascha von sieben Roßschweifen. Er wird ja noch in der Schlucht drüben sein, und ich bin nicht in der Laune, etwas auf morgen zu verschieben, was ich heute thun kann.“

„Vorwärts!“ rief er, und stieß einen Stein mit der Fußspitze vor sich hin, daß er beim Steg in's Wasser rollte. Er passirte wieder das Brett und schlenderte das Ufer hinunter, an dem Hotel vorbei, dem er nicht die geringste Beachtung schenkte, vielmehr wollte er weiterhin bei der Kaiserbrücke in die breite Wallstraße einbiegen, stutzte indeß einen Moment bei der Ecke, da zwanzig Schritt hinunter zwei Menschen im Schatten der linken Häuserreihe in eifrigem Gespräch standen, deren einer, wie sein scharfes Auge leicht bemerkte, den blinkenden Helm des Soldaten oder Polizei-Lieutenants auf dem Kopfe trug. Militär war nicht am Orte, und somit zweifelte er keine Secunde, daß dort Polizei stehe.

„Zum Teufel,“ murmelte er überrascht, „wie kommen die Beiden vor die Thür da? Ich will nicht hoffen, daß sie Witterung haben und im Hinterhalte liegen. Da muß Rath geschafft werden auf alle Fälle. Wenn ich nicht irre, so ist es Donner, welcher da spionirt; das wäre noch Glück im Unglück.“

Er ging so behaglich wie möglich vorwärts, indem er zu singen begann:

„Bei der Nacht um halber Eine
Macht sich Donner auf die Beine,
Und dann denkt er siegbewußt:
Schleppen, schleppen – welche Lust!“

Es war das ein Spottvers, der in aller Munde war und sich auf das nächtliche Verhaften politisch Verdächtiger bezog; „schleppen“ war der technische Name dafür.

„Wer ist das?“ fuhr der Polizeibeamte auf und that rasch ein paar Schritte auf den verwegenen Sänger zu. „Wer wagt hier mich zu höhnen?“

„Halten Sie mich nicht auf meinem Berufswege auf, Commissar, oder Sie laden ein Menschenleben auf Ihr Gewissen!“ sagte der junge Mann lachend. „Uebrigens bin ich erbötig den Beweis der Wahrheit anzutreten.“

„Sie sind es, Doctor?“ meinte der Polizeicommissar ärgerlich lachend. „Kranke besuchen, he? Ist aber verdammt zeitig noch für Sie; aus dem Bett hat Sie doch jetzt noch Niemand klingeln können. Glaube nicht, daß Sie vor zwei Uhr zu Hause zu finden sind, und wüßte gern, wie man Ihrer habhaft geworden ist.“

„Nur durch einen unangenehmen Zufall,“ war die launige Antwort. „Wie wär's, Freundchen, wenn Sie Ihren Nachtrath dort“ – er zeigte auf den Wächter in der Nähe – „stehen ließen und mich ein Stück begleiteten? Es wird schon, wenn mein Patient besorgt ist, noch irgendwo eine anständige Flasche Mosel für uns zu finden sein. Ich habe Ihnen unter der Hand einen Wink zu geben, der Ihnen einen Orden sammt Beförderung eintragen kann. Der Zufall hat mich heute an einen Ort geführt, wo es viele Menschen giebt – sehr viele! Sie verstehen mich wohl, Mann des Gesetzes!“

Der Commissar blickte ihn zweifelnd an und sah dann zu der Thür hinüber, vor welche sich der Wächter breit hingepflanzt hatte. Die Thür schloß einen jener Schlupfgänge ab, wie sie in rheinischen Städten als bequeme Verkehrswege zwischen Hof und Straße vielfach die Häuser durchbohren.

„Reden Sie im Ernst, Doctor, oder wollen Sie mich zum Narren haben?“ flüsterte der Beamte, nahe an den Arzt herantretend, welcher mit überlegenem Lächeln auf sein fast um einen Kopf kleineres Gegenüber heruntersah. „Glaubte, ehrlich gesagt, etwas Aehnliches auf der Spur zu haben. Ein unruhiges Volk das, hier in den Rheinlanden; mit den Arbeitern hat man schon seine Noth, denn sie können das Messer nicht in der Tasche behalten, und jetzt wiegelt man gar die Bürger und Handwerksleute gegen die Obrigkeit auf; ich wollte, daß ich im Osten geblieben wäre!“

„Nun, nun, Freundchen,“ meinte der Doctor mit gutmüthigem Ausdrucke, „nur nicht zu weit im Osten. Ich dächte es wäre nicht viel über ein Jahr, daß sie die Polen abgefangen haben. Aber was gehen mich die Polen an! Ich befleißige mich ein friedlicher Staatsbürger zu sein, verabscheue alle Arten von Kugeln, ausgenommen die Pillen, und alles Pulver, welches nicht in der Apotheke zubereitet wird, und würde ein wenig Revolution höchstens darum nicht ungern sehen, weil es blutige Köpfe dabei absetzen würde. Daß wir der Freiheit entbehren, kann ich für meine Person nicht einsehen, da mich noch Niemand gehindert hat, meinen Abendtrunk zu mir zu nehmen, wie und wo ich wollte. Aber nun kommen Sie!“ fuhr er dringender fort, „es wird Zeit, daß ich zu meinem Patienten komme, und für Sie giebt es vielleicht noch heute zu thun. En avant!“

Es lag in der ganzen Art des Sprechers etwas, was eine Ablehnung schwer machte. Der Beamte schwankte noch einen Moment, dann rief er der Nachtwache zu: „Halten Sie sich einstweilen in der Nähe auf, Gräbner! Vielleicht daß doch etwas passirt.“ Dann gingen die beiden Männer hallenden Schrittes die Straße hinunter.

Der Doctor verbarg seine innere Unruhe mit bewunderungswürdiger Selbstbeherrschung. „Ich habe eine leise Ahnung von dem, was Sie suchen, alter Freund,“ meinte er nachdrücklich, als er bemerkte, daß sein Begleiter nicht eben zufrieden mit sich schien und mehrmals dahin zurückblickte, wo er den Wächter verlassen hatte. „Es gährt hier; es ist etwas in der Luft wie Pulvergeruch.“

„Das weiß Gott,“ seufzte der Commissar. „Es gäbe ein niedliches Leben für uns, wenn es wirklich zum Aufruhr käme. Ich hoffe indeß, wir werden tüchtig dahinter sein, daß aller Unfug erstickt wird, ehe er uns über den Kopf geht. Es ist nicht zu begreifen, was die Menschen heutzutage zu raisonniren haben, denn ich möchte wissen, wo es ordentlicher zuginge als bei uns. Aber wenn Schuster und Schneider mitregieren wollen, dann kann es freilich nur Unordnung geben. Ich sage Ihnen, Doctor, sie sollen bei Leisten und Scheere bleiben, sonst werden ihnen die Finger geklopft. Uebrigens – wie ist mir denn?“ – er trat einen Schritt zurück, schnippte mit den Fingern und warf einen scharfen Blick auf seinen Begleiter –, „Sie sind ja auch nicht ganz sauber; wir haben so etwas läuten hören –“



(Fortsetzung folgt)



Die Zeit der Rosen.

In den lauen Lenzestagen
Wehn im Wald die Lüfte weich;
Lerchen singen, Drosseln schlagen;
Busch und Baum stehn blüthenreich.

5
Und der Schwan zieht leise, leise

Auf dem Weiher seine Kreise,
Dem die Welle silbern schwoll.
Zeit der Düfte, Zeit der Rosen,
Wo die Lüfte lauer kosen,

10
Sprich, was all dein Locken soll?!


Und die Jungfrau schön und wonnig.
Schlank an Wuchs, an Gliedern fein.
Morgenfrisch und lenzessonnig,
schreitet leichtgeschürzt waldein.

15
O, von zwanzig Sommern hangen

Gluth und Luft ihr auf den Wangen;
Sinnig lacht der Mund dazu.
Zeit der Düfte, Zeit der Rosen
Wo die Lüfte lauer kosen.

20
Sie ist just so schön wie du.


Und vom Strauche Ros’ um Rose
bricht sie mit der weißen Hand,
Mischt sie leise, flicht sie lose,
Schlingt darum ein duftig Band,

25
Küßt sie dann mit heißem Sehnen,

Ach! und lächelnd unter Thränen
Flüstert seinen Namen sie.
Zeit der Düfte, Zeit der Rosen,
Wo die Lüste lauer kosen,

30
Schwändest, traute, du doch nie!
Ernst Ziel


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_004.jpg&oldid=- (Version vom 31.3.2018)