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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

Lottchen Lengefeld herbei. Die letztere kam im Februar 1788 nach Weimar zum Besuche der ihr befreundeten Familie der Frau von Imhof. Die Absicht der Mutter war darauf gerichtet, die Tochter dem weimarischen Hofe etwas näher zu bringen, der die Aussicht auf eine Hofdamenstelle schon früher eröffnet hatte.

Anfangs war das Sichsehen und Sichbegegnen dort nur ein zufälliges. Lottchen hing, um in ihrer eigenen Sprache zu sprechen, an dem fremden Orte weit weniger von sich selbst ab als zu Hause, aber man begann doch schon diesen Zufall als eine freundliche Gunst zu empfinden. „Eben zieht mich ein Schlitten an’s Fenster, und wie ich hinaussehe, sind Sie’s. Ich habe Sie gesehen, und das ist doch etwas für diesen Tag.“ So Schiller. Bald traten die Begegnungen aus dem Kreise des Zufalls heraus. Schiller hatte sich die Erlaubniß erwirkt, für Lottchens Lectüre zu sorgen. In die Bücher, die zu ihr hin und her wanderten, verirrten sich allmählich auch kleine, ganz unschuldige Billete. Schon der Zauber der Schriftzüge wirkt gar eigen. Aber in die Briefe schlüpften versteckte dienstbare Geister, welche die Zeitpunkte feststellten, die für die Besuche Schiller’s in der Familie Imhof am geeignetsten waren. In dem gastfreien Hause war viel Verkehr, und es war nöthig, die starken Gasttage auszuscheiden, da an diesen die Frau von Imhof – natürlich handelte es sich nur um diese! – ja gehindert worden wäre, Schiller’s Gesellschaft zu genießen. Schon verlangt das Herz, wenn dieser Gasttage mehrere Hintereinander gewesen sind, nach einem beruhigenden Troste. – „Glauben Sie, daß ich Ihrer oft gedacht habe, ob ich gleich Sie nicht sehen konnte. Lotte v. L.“ – Auch Schiller hält es schon für nöthig, in einem solchen Falle sich gegen die Annahme zu verwahren, daß er unfähig sei, den Werth ihres Umganges zu empfinden.

Oft auch wandte sich Lottchens Auge als Diener des Herzens am Fenster nach der Esplanade hin, um zu sehen, ob der Freund da heraufkomme. „Wie fern,“ schreibt sie später zu diesem Geständnisse, „waren wir, und doch wie nah fühlt’ ich Deine Seele mir! Du warst mir gleich so viel mehr wie alle Anderen.“

Da ihre Abreise wieder nah bevorstand, so bat sie Schiller, der Zeitsitte folgend, um ein Stammbuchsblatt, und Schiller schrieb ihr das in wenig veränderter Form unter der Aufschrift „Einer jungen Freundin in’s Stammbuch“ in seine Werke aufgenommene bekannte Gedicht. Lottchen scheint von den eigenthümlichen Versen nicht eben erbaut gewesen zu sein. Sie erklärt „die Zeilen als ein Zeichen seines Andenkens“ werth halten zu wollen. Weiter nichts. Und doch sind sie nicht blos um deswillen von Bedeutung, weil sie erkennen lassen, wie genau der Dichter schon damals die ganze naive und unbefangene Auffassungsweise Lottchens durchschaut hatte, sondern auch weil sie, wenn auch versteckt, gleichzeitig einem stillen, eifersüchtigen Neide Ausdruck leihen, den der Dichter darüber empfindet, daß sie am süßen Ueberzählen der Glücklichen, die sie gemacht, der Seelen, die sie gewonnen, Freude findet, statt – so ergänzt sich der Satz – einem Einzigen zu gehören, der frei von aller Verlogenheit und Schmeichelei ihren wahren Werth zu schätzen weiß.

In den letzten Tagen vor dem Scheiden wurden die Briefe häufiger und länger. Man sah, wie dann immer, jetzt erst ein, daß man sich doch gar Manches noch zu sagen habe. Freilich die natürliche Zurückhaltung der weiblichen Natur giebt auch hier noch wenig. – „Auch Sie verlasse ich ungern,“ schreibt Lottchen, „denn Ihr Umgang (ich mag nicht Freundschaft sagen, weil Sie das Wort nicht gern haben) hat mir manche Freude verschafft – die Hoffnung Sie bei uns zu sehen macht mir den Abschied leichter. Kommen Sie, sobald als Sie können! Denken Sie meiner! Ich wünsche, daß es oft geschähe.“ Das klingt im Ganzen doch noch etwas nüchtern und kühl. Da giebt der Mann schon weit mehr. „Sie werden gehen, liebstes Fräulein, und ich fühle, daß Sie mir den besten Theil meiner jetzigen Freuden mit sich hinwegnehmen. So wenig Augenblicke Ihres Hierseins auch die meinigen waren und die meinigen sein konnten, so war nur Ihr Hiersein doch schon an sich allein Vergnügen und die Möglichkeit, Sie zu sehen, ein Gewinn für mich. Ihre Abreise bringt mich um Alles Dies. Der Name (Freundschaft, den sie dem Verhältniß nicht geben will) soll mich nicht stören. Lassen Sie das kleine Samenkorn nur aufgehen; wenn die Frühlingssonne darauf scheint, so wollen wir schon sehen, was daraus wird. Sehen will ich Sie vor Ihrer Abreise nicht mehr – Abschiede auch auf kurze Zeit sind etwas so Trauriges für mich. Vielleicht sehe ich Sie im Vorbeifahren noch. Leben Sie also recht wohl, bestes Fräulein, erinnern Sie sich manchmal und gern daran, daß hier Jemand ist, der es unter die schönsten Zufälle seines Lebens zählt, Sie gekannt zu haben. Noch einmal: Leben Sie recht glücklich!“

Worte, wie diese letzten, redet schon kaum die Freundschaft mehr. Hinter der tiefen Wehmuth des Ausdruckes lauert, wenn auch geflissentlich versteckt, bereits der kleine blinde Gott mit Pfeil und Köcher. Jedenfalls stand jetzt das Eine fest, daß die Hofdamenabsichten der Frau von Lengefeld bei diesem Besuche in Weimar gänzlich gescheitert waren.

Eine Sommervilleggiatur.

Lottchen hatte vorsichtigerweise Bücher zurückbehalten, und so erlitt der Briefwechsel auch in der nächsten Zeit keine Unterbrechung.

Später aber erfüllt sie mit liebend geschäftiger Sorgfalt den lang gehegten Wunsch des Dichters, ihm ein seiner Individualität entsprechendes sommerliches Heim in der Nähe von Rudolstadt auszusuchen, und entwirft davon eine anheimelnde Beschreibung.

In der zweiten Hälfte des Mai, als das Wetter beständigere Tage verhieß, „flog“ Schiller „auf’s Land“ – und nun beginnt jene anmuthige Sommeridylle der Liebe, deren Verlauf sich aus kleinen losen Blättern, die hin und her fliegen, verfolgen läßt. Der Morgen gehörte der Arbeit, der spätere Nachmittag und Abend der Liebe, oder sagen wir, weil die Betheiligten es also wollen, der Freundschaft. Schiller arbeitete an der „Geschichte des Abfalls der Niederlande“ und später an dem „Geisterseher“. Er las die einzelnen Abschnitte den Schwestern vor. Sie saßen dann wohl in der von Pappeln schützend umgebenen Hütte des Hausgartens, oder in Lottchens „traulichem“ Stübchen. Bei gutem Wetter gingen die Schwestern – denn die vereitelte Hofdame befand sich, schon um der „Schicklichkeit“ willen, auf welche die Frau Mama sehr viel gab, stets in Begleitung der älteren Schwester – dem Freunde entgegen. Eine Brücke, welche über einen Waldbach führte, der sich dort in die Saale ergoß, war das Ziel, wo sie ihn erwarteten. „Wenn wir,“ erzählt später Caroline, „ihn im Schimmer der Abendröthe auf uns zukommend erblickten, dann erschloß sich ein heiteres ideales Leben unserem inneren Sinne. Hoher Ernst und anmuthige geistreiche Leichtigkeit des offenen reinen Gemüths waren in Schiller immer lebendig. Man wandelte wie zwischen den unwandelbaren Sternen des Himmels und den Blumen der Erde in seinem Gespräche. Schiller fühlte immerwährend das Bedürfniß, in Ideen zu leben.“

In Wirklichkeit fand diese Wanderung gewöhnlich in einer schattigen Allee, entlang des Uferdammes der Saale, statt. Caroline als die Aeltere und durch ihre Verheirathung gewissermaßen Gedecktere leitete meist das Gespräch ein und gab ihm immer einen philosophischen Relief. Die Freigeisterei war ohnedies damals eine Modesache geworden. Schiller verwerthete einen Theil der Gespräche später in seinem „Geisterseher“. Ein gewöhnliches Rendezvous bildete die fürstliche Gärtnerei zu Cumbach, von Schiller, wahrscheinlich im Anklang an die Grumbach’schen Händel, meist Grumbach genannt. Im dortigen Jagdwirthshause wurde oft gemeinschaftlich der Kaffee eingenommen. Wenn die Billete anzeigten, daß die Luft rein war, das heißt daß keine Gesellschaft, kein fremder Besuch, keine Kaffeevisite drüben zu erwarten sei, nahm Schiller auch schon am Nachmittage seine Einkehr im Hause, oder kam durch das von außen zugängige Gartenthor in den Garten. Außer jenen stets als lästig empfundenen Gesellschaften gab es auch noch anderweite hindernde Elemente, welche den stillen Kreislauf des Glückes unterbrachen. Als ein solches zeigte sich gleich anfangs das Regenwetter, das es einmal so arg trieb, daß der Blitz im Dorfe einschlug. Dazu gesellte sich aber bald noch ein weit schlimmerer Gesell, das war der – Schnupfen. Er nahm zuerst Einkehr im Haupte des Dichters.

„Mein Kopf ist ganz hin. Sagen Sie mir, daß Sie meiner gedenken,“ jammert der Heimgesuchte.

„Der böse Schnupfen! Wir vermissen Ihre Gesellschaft. Glauben Sie’s nur!“ erwidert voll Theilnahme Lottchen. Diese Teilnahme geht schließlich so weit, daß man drüben im Hause

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_007.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)