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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

„Welchen Regeln habe ich mich zu unterwerfen,“ fragte ich, „da Beleuchtung und Heizung nicht von mir abhängen?“

„Sie müssen den Platz einnehmen und behalten, den die Geister Ihnen anweisen. Wenn Sie Mitglied der 'Kette' sind, dürfen Sie Ihre Hände nicht vom Tische nehmen u. dgl. mehr.“

Ich konnte die Bemerkung doch nicht unterdrücken, daß auf diese Weise die Prüfung der Geister nur in sehr engen Grenzen möglich sei, daß man derart überhaupt nichts prüfen könne.

Man zuckte wieder die Achseln. „Wir Menschen können doch unmöglich wissen, wozu die Geister diese oder jene Anordnung treffen; wir können nicht anders, als uns diesen Anordnungen fügen.“

„Dann aber dürfen Sie nicht behaupten, wie Sie dies so oft thun und auch mir gegenüber gethan haben, daß der Spiritismus jede Prüfung gestatte und vor jeder Prüfung Stand gehalten habe,“ meinte ich. „Dann müssen Sie zugeben, daß Sie in ganz gewöhnlicher, ungeprüfter und unbewiesener Weise glauben, ohne diesen Glauben logisch beweisen zu können.“

„Wenn nicht logisch, so doch thatsächlich,“ entgegnete der Chemiker mit überlegenem Lächeln. „Warten Sie nur bis nach der Sitzung, dann werden Sie selbst gewiß anders sprechen.“

Diese unerschütterliche Siegesgewißheit verfehlte doch nicht, einen gewissen Eindruck auf mich zu machen, und mit großer Erwartung folgte ich der Gesellschaft in das eine Treppe höher gelegene Sitzungszimmer.

Ein kahles, kaltes Gelaß, ohne Feuer und ohne Licht. Nahe der Thür ein großer, massiver, runder Tisch, mit einem runden, großen excentrisch gelegenen Loche, der Oeffnung, durch welche die Geister ihre verschiedenen Productionen vorführen sollten. Um diesen Tisch ein Dutzend harte, ungemüthliche Stühle, im Hintergrunde ein gewöhnlicher Divan, so etwas wie ein Küchenschrank nahe dem Tische – das war das ganze Meublement des frostigen Zimmers.

Auf dem Flure brannte ein einsames Licht; die Thür wurde geschlossen, nachdem die ganze Gesellschaft Platz genommen hatte, und undurchdringliche Finsterniß umgab uns. Die Dame des Hauses, das Medium, saß zunächst der Geisteröffnung im Tische, ich auf dem Stuhle zu ihrer Rechten (ich wollte die rechte Hand der Dame unter meiner Controle haben). Die Sitzung begann, indem jeder Anwesende seine Hände auf den Tisch legte. Plaudern war gestattet, und so entspann sich bald ein leises Gespräch, das sich natürlich nur um die verschiedenen, bereits erlebten oder von Anderen erzählten Wunderdinge drehte. Plötzlich machte sich ein leises Klopfen an oder vielmehr unter dem Tische hörbar, etwa wie das Knacken eines Pistolenhahns – die Geister weilten in unserer Mitte.

Nun begann das zeitraubende Gespräch mit den Ueberirdischen, indem das Alphabet langsam hergesagt und der Buchstabe gemerkt wurde, bei dem der Tisch klopfte; zur Erleichterung des Verkehrs drückte der Tisch bei an ihn gestellten Fragen seine Bejahung durch dreimaliges und seine Verneinung durch ein einziges Klopfen aus.

Nach etwa einer Stunde dieses mühevollen Zwiegespräches befanden sich die Geister endlich in der angenehmen Verfassung, alle ihre buchstabenweise gegebenen Anordnungen erfüllt zu sehen und die „thatsächlichen Beweise ihrer Existenz“ beibringen zu können. In dieser Stunde nämlich wurden zuerst ich und dann noch drei Herren aus der Kette hinausbugsirt, und nur mit Mühe erlangten wir die Erlaubniß, hinter den Stühlen der Sitzengebliebenen uns aufhalten zu dürfen. Dann mußten die Sitzenden ihre Plätze so lange wechseln, bis in unmittelbarer Umgebung des an dem Geisterloche gebliebenen Mediums nur zwei sehr unschädliche alte Damen sich befanden, von denen ich die Eine aus guten Gründen für eine Helfershelferin der Dame vom Hause halten mußte. Nun wurde das Geisterloch mit einem großen Glassturze bedeckt, der vorher von einer im anderen Zimmer befindlichen Stutzuhr abgenommen worden war. Außerdem mußten die Damen ihre Kleider derart um den Tisch ausbreiten, daß der untere Raum desselben, von der Tischplatte abwärts, ganz abgeschlossen war – gleichsam ein Ankleidezimmer für die auf der Bühne erscheinenden Geister. Endlich wurde auf meine ausdrückliche Anfrage ein „schwaches Licht“ von den Ueberirdischen gestattet – es wurde dadurch hergestellt, daß man die zum Flure führende Thür in einem von den Geistern genau bestimmten Maße öffnete.

Und nun begann ein monotoner, wahrhaft schrecklicher Gesang aller Assistirenden, der sich innerhalb weniger, stets gleich bleibender Töne auf und ab bewegte – „damit die Gedanken der Anwesenden nicht von der Sache abgelenkt würden“, wie man mir auf meine erschrockene Anfrage über den Grund dieses Singsangs beruhigend erklärte; im ersten Augenblicke hatte ich nämlich nicht anders gedacht, als daß die ganze ehrenwerte Gesellschaft plötzlich den Verstand verloren habe.

Die Lage wurde immer kritischer, der Gesang immer ernster und schrecklicher; die Erwartung machte die Stimmen beben und die Hände schlottern, – es schien mir beinahe, als ob die alten Herren Furcht hätten. Da hörte ich ein leises Knistern und roch etwas wie Phosphor. Der Singsang wurde entsetzlich, denn jetzt mußten die Geister bald sichtbar werden, und richtig: plötzlich verstummte der Gesang; leise, von Furcht und Grauen erstickte Stimmen flüsterten: „Der Geist, der Geist,“ und Alles blickte unverwandt nach dem Glassturze über dem Loche. Auch ich, aber ich sah nichts als weiße, wallende Wolken innerhalb des Glases, und außerdem bemerkte ich noch, daß die eine Hand des Mediums nicht an ihrem Platze war. Nach einigen Secunden verzogen sich die Wolken aus dem Sturze, und Baron F. verfehlte nicht, dem verschwindenden „Geiste“ wie einem intimen Freunde zuzunicken und ihm zwei- oder dreimal mit zitternder Stimme nachzurufen: „Dank' Dir, lieber Geist, dank' Dir!“ Dann entfesselte sich ein wahrer Sturm unter den Anwesenden, – „er hat mir zugelächelt,“ – „er hat mir gewinkt,“ – „mir auch,“ – „er sah aus wie ein alter Mann,“ – „nein, wie ein Engel,“ – „es war ein kleines Kind,“ –„mit einer Wunde an der Stirn,“ – „ja, ja, ein Kind mit einer Wunde,“ riefen jetzt Mehrere, und plötzlich hatten Alle das verwundete Kind gesehen, auch diejenigen, die kurz vorher „einen alten Mann“ und „einen Engel“ erblickt hatten.

Nach und nach legte sich der Sturm der Begeisterung, und die Komödie (eigentlich Tragödie!) begann von Neuem; die Hände wurden wieder .in Ordnung gebracht, und der Singsang wühlte sich auf's Neue in mein Gehirn. Wieder die weißen Dampfwolken innerhalb des Glassturzes, wieder allgemeines „Ah!“ der Bewunderung und dann lautloses Schweigen, aber jetzt sah auch ich, wie die Wolken sich gleichsam verdichteten und endlich etwas in dem Glassturze erschien wie ein durchsichtiger, verschwommener Kopf. Richtig! Ein Gesicht mit blonden in die Stirn gekämmten Haaren, nach allen Seiten sich wendend und nickend, und endlich in die Oeffnung gleichsam zurücksinkend. „Aber das ist ja der Reflex eines Bildes, wie man sie so häufig vor dem Auftauchen der Daguerrotypie und Photographie anfertigte, eine elende Pinselei in Wasserfarben und in Holzmanier,“ hätte ich beinahe laut ausgerufen, aber ich besann mich noch zu rechter Zeit darauf, in welcher Gesellschaft ich mich befand, und schwieg.

Kaum hörte ich noch auf den weiteren Unsinn, der da vorgebracht wurde. Ich wollte einige Fragen an die „Geister“ richten, aber sie erklärten, zu der Antwort „jetzt nicht disponirt“ zu sein. Natürlich! Wann hätten so unendlich hochstehende Gewalten – überirdische oder irdische – sich je um die Scrupel des „beschränkten Unterthanenverstandes“ viel gekümmert!

Ich war froh, als die „Sitzung“ beendet war und wir uns in das Eßzimmer zu einem ganz ausgesucht leckeren Abendessen verfügten; ich hatte entschieden mehr Verständniß für die mir hier gebotenen materiellen Genüsse, als für die „geistigen“, die mir eine Treppe höher zu Theil geworden waren. Das schien auch die Gesellschaft zu bemerken, da ich kein Wort über das soeben Erlebte verlor; man war entweder zu stolz oder zu siegesgewiß, um mich zur Aussprache meines Urtheils zu veranlassen; nur Baron F., mein Nachbar, konnte nicht umhin, mich mit stolzem Selbstbewußtsein zu fragen, ob ich nun noch irgend einen Zweifel gegen den Spiritismus hege?! Glücklicherweise sprach er deutsch zu mir, so daß ich ihm antworten konnte, er möge doch so freundlich sein, mich wenigstens so lange mit jeder Discussion über diesen Gegenstand zu verschonen, wie wir uns in der Gesellschaft des Mediums befänden; das hörte auch Fräulein P., meine liebenswürdige Begleiterin, und unterdrückte die Fragen, die ihr schon auf den Lippen geschwebt hatten.

Als wir aber das Haus verlassen hatten, stürmte Alles auf mich ein.

„Nun?“ begann Fräulein P.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_014.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)