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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

hoch in die Lüfte. Ein dreifacher Mauerring umgab das Schloß, welches für uneinnehmbar galt und außer den Wohn- und Wirthschaftsbauten auch ein Mönchskloster sammt Kirche enthielt. Heute bezeichnen nur Trümmer die Stelle, deren Name jedem deutschen Gemüthe sich einätzen sollte wie mit Feuer geschrieben.

Derweil war es Heinrich gelungen, etliche Tage vor der Weihnacht mit seiner treuen Königin Bertha, seinem kleinen Sohn Konrad und einem braven Dienstmann von Speyer wegzukommen und nach Besançon zu gelangen, allwo er bei dem Grafen Wilhelm von Hochburgund, dem Ohm seiner Mutter, Rast fand. Heimlich hatte er sich aus Deutschland wegstehlen müssen, weil die verschworenen Fürsten im Einverständniß mit dem Papste des Königs Reise nach Italien gewaltsam verhindern wollten und zu diesem Zwecke auch die schweizerischen, tirolischen und kärntischen Alpenpässe versperrt hielten. Die Weiterfahrt von Besançon gen Genf hatte übrigens schon kein so ärmliches Aussehen mehr, sondern gewann Schritt für Schritt ein mehr königliches. Jenseits der Rhone am Fuße des zu überschreitenden Hochgebirges wurde Heinrich von seiner Schwiegermutter begrüßt, der Markgräfin Adelheid von Savoien, welche auch ihren Sohn Amadeus mitgebracht hatte. Die Fürstin hatte alles zum Ueberschreiten des Mont-Cenis-Passes vorbereitet, und alle damals bekannten Mittel, ein solches Unternehmen möglich zu machen, waren reichlich aufgeboten. Aber ein ungewöhnlich harter Winter hatte den Paß pfadlos gemacht, und der Alpenübergang Heinrichs mit Bertha und dem dreijährigen Konrad war in Wahrheit ein furchtbares Mühsal. Schwieriger noch als das Hinansteigen war das Hinabklettern. Die Frauen mußten streckenweise auf Ochsenhäuten geschleift werden. Im gastlichen Kloster Novalesa erholten sich der König und sein Wandergefolge zuerst von den winterlichen Bergstrapazen. Dann ging der Zug weiter gen Susa, Turin, Vercelli und Pavia.

Und nun zeigte sich das Ueberraschende, daß der aus Deutschland als ein Flüchtling entwichene deutsche König auf italischem Boden jubelnd bewillkommnet wurde und imperatorisches Ansehen genoß. Lombardische Bischöfe, Grafen und Bürgermeister, alles, was dem kirchlichen Absolutismus abhold und dem Papalismus, wie ihn Gregor verstand und übte, feindselig war, sammelte sich um den gebannten Heinrich. Es stand bei ihm, mit Heeresmacht nach Tuscien hinabzuziehen und dem „geistlichen“ Schwerte zu zeigen, daß das „weltliche“ noch nicht stumpf geworden sei. Aber der König war nicht mehr ein Sausewind von Jüngling, sondern ein in der herben Schule des Mißgeschickes belehrter Mann. Vor allem mochte er den italischen Sympathiebezeigungen mißtrauen als einem bloßen Strohfeuer. Sodann haben ihm die deutschen Prälaten und Barone, welche sich, zum Theil mit ihm gebannt, in der Lombardei mit ihrem Könige vereinigten, sicherlich dringend gerathen, bei seinem Entschlusse, die Ledigung vom Banne auf friedlichem Wege zu erlangen, fest zu beharren, weil nur dadurch der Rebellion in Deutschland die Spitze abgebrochen werden könnte. Endlich mochte in Vercelli oder Pavia wohl auch etwas davon verlautet haben, daß gerade das Auftreten Heinrichs in der Rolle eines friedsamen, flehenden Büßers dem Papste am allerquersten käme. Vielleicht gerade darum gelang es dem Könige, auch seine lombardischen Anhänger zu überzeugen, daß es für jetzt das Klügste wäre, so er die übernommene Rolle durchführte.

Und er führte sie durch; mit dem höchsten Heroismus von Duldmuth führte er sie durch.

Nachdem er in Erfahrung gebracht, daß sich Gregor zu Kanossa befände und daß die Gräfin Mathildis und der Abt Hugo von Kluny, des Königs Pathe und bewährter Anhänger, bei ihm wären, brach er nach Reggio auf. Hier ließ er Weib und Kind, sowie sein ganzes Heergefolge zurück und ritt mit seiner Schwiegermutter Adelheid, seinem Schwager Amadeus, dem Markgrafen Azzo von Este, dem Bischof Gregorius von Vercelli und den deutschen Bischöfen, die ihm aus der Heimat gefolgt waren, auf Kanossa zu. Halbwegs zwischen Reggio und dem Felsenschlosse kamen die Gräfin Mathildis, von der in jenen Tagen gesagt ward, daß sie „ihren päpstlichen Gast bewirthete wie Martha und seinen Worten lauschte wie Maria“, und der Abt Hugo dem Königs-Büßer entgegen. Man sprach hin und her, wie eine Vermittelung, welche die Gräfin und der Abt gern übernommen hätten, zu ermöglichen wäre, wußte aber keinen zielsicheren Weg ausfindig zu machen. Mathildis und Hugo begaben sich nach der Burg zurück, und Adelheid, Amadeus und Azzo ritten mit ihnen. Gemeinsam wollten sie beim Papste die Fürbitte einlegen, daß er die Unterwerfung des Königs annähme und ihn vom Banne losspräche. Sie thaten so, allein Gregor wies sie ab und verlangte, daß Heinrich ihm seine Königskrone übergäbe und derselben für immer entsagte. Um diesen Preis wollte er den Bannfluch von ihm nehmen. Der Papst mochte überzeugt sein, daß der Gebannte diese Bedingung nicht eingehen würde, nicht eingehen könnte, und gerade darum hatte er sie aufgestellt. Schon die Rücksicht auf seine Bundesgenossen, die deutschen Fürsten, mußte ihn hierzu bewegen, da er sich ja denselben gegenüber verpflichtet hatte, nur gemeinsam mit ihnen den großen Streit zu entscheiden. Ledigte er nun aber den König des Bannes, so war damit der scheinbar berechtigten Verrätherei der deutschen Aristokratie die Basis entzogen und mußte dieses Präcedens dem ganzen Handel eine andere Wendung geben. Es ist daher nur gerecht, zu sagen, daß Gregor sich in einer häßlichen Klemme befand, als der König durch sein unvermuthetes Erscheinen in Italien ihm den Weg nach Deutschland abgeschnitten hatte und sich anschickte, ihm, so zu sagen, auf den Leib zu rücken, obzwar nur als bittender Büßer. Das Verhalten, welches der weiland Bauernjunge von Roavakum, der es dahin gebracht hatte, in den Augen der Gläubigen für den „fleischgewordenen Christus“ zu gelten, in den nächsten Tagen dem gebannten Könige gegenüber einhielt, sieht allerdings wie steinherziger Größenwahn aus, stellt sich aber bei näherem Zusehen als die Logik des gregorischen Papstprincips und der aus diesem erflossenen Politik dar. Daß die Logik doch nicht aushielt bis zuletzt, daß Gregor schließlich in der Hauptsache nachgab, lieferte den Beweis, daß der Vicegott eben auch ein Mensch war, dessen Nerven nur bis zu einem gewissen Grade der Bestürmung standhielten.

Derweil war Heinrich mit seinen Begleitern an den Fuß des Felsens von Kanossa herangekommen. Seine Fürsprecher haben ihm zweifelsohne sofort von der Burg herabsagen lassen, daß ihre Bemühungen fruchtlos gewesen und welche Bedingung ihm der Papst stellte. Der König scheint darauf vorbereitet gewesen zu sein; denn während seine Begleiter in dem Weiler am Fuße des Burgfelsens sich einherbergten, beschloß er, mittels eines auffälligsten Aktes der Welt zu zeigen, daß er bis zum Aeußersten sich demüthigen und durch Vornahme der strengsten Bußübungen seine Lossprechung vom Banne erkaufen wollte.

Noch am Tage seiner Ankunft vor Kanossa, wie es scheint, am 25. Januar von 1077 erschien der König barfüßig und mit dem härenen Bußhemd angethan, umgeben von seinen gleich ihm gebannten Getreuen, barfüßigen Grafen und Bischöfen, vor dem Hauptthore der Burg und verlangte als unterwürfig flehender Büßer Einlaß. Da stand der erste König der Christenheit, der Sohn Kaiser Heinrichs des Dritten, bei strenger Winterkälte mit bloßen Füßen als weinender Bettler im Schnee bis zur sinkenden Nacht. Umsonst. Am anderen Tage ging das klägliche Schauspiel auf’s neue in Scene und währte vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang. Umsonst. Droben im Schlosse bestürmten Adelheid und Mathildis, Hugo, Amadeus und Azzo den Papst mit Weinen und auch im Zorn: er selbst hat nachmals ausgesagt, sie hätten ihn einen hartherzigen Menschen und grausamen Tyrannen gescholten. Aber noch hielt er aus. Und ebenso der König: auch am dritten Tage that er unverdrossen seine bittere Bußarbeit und führte das Unerhörte durch. Da endlich wichen die Nerven des Papstes dem unausgesetzten Ansturm der Vermittler und Vermittlerinnen. Und auch dannzumal nur bis zu einem gewissen Punkt. Er willigte ein, die Bürde des Bannes von des Königs Haupt zu heben, aber nur unter schweren Bedingungen. Bevollmächtigte von beiden Seiten traten mitsammen in Verhandlung: von seiten Gregors sieben Kardinäle, von seiten Heinrichs der Erzbischof von Bremen, die Bischöfe von Osnabrück und Vercelli, der Abt Hugo und etliche Barone. Man kam überein, daß der König vor seiner Lossprechung feierlichst versprechen müßte, die Ausgleichung seines Zwistes mit den rebellischen deutschen Fürsten dem Urtheil und der Zeitbestimmung des Papstes zu unterstellen, sowie, die Reise Gregors nach Deutschland, falls dem Papst dieselbe zu unternehmen beliebte, mit allen Mitteln zu sichern und zu fördern. Der König gab das geforderte Versprechen. Es wurde eine Urkunde über das erreichte Einvernehmen aufgesetzt und von den beidseitigen Bevollmächtigten unterzeichnet. Für Heinrich auch von Adelheid und Mathildis.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_027.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)