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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

im Gemüthe des Dichters. Der Gedanke an des Glückes Flucht, an die Trennung von dem Freundeskreise kommt in ihm zu immer erneutem Ausdrucke. So wird ihm auch der letzte schöne Sommertag nur eine traurige, wehmüthige Erinnerung an die bald bevorstehende Stunde des Scheidens. „Ich weiß nicht, ich habe keinen großen Glauben an die Zukunft. Ist es Ahnung? Oder ist es nur schwarze Laune?“

Auch Lottchen beunruhigt der gleiche Gedanke, aber ihr heiteres Gemüth erfaßt denselben mit der ruhigen Hoffnung, daß die Trennung keine Störung ihrer Freundschaft herbeiführen werde. „Auch wenn Sie nicht mehr unter uns sind, hoffe ich, wird uns Ihr Geist nicht ganz verlassen.“ Schiller sucht dann wieder mit einer idealen Verklärung seiner Gefühle das unbefriedigte Herz zu beschwichtigen. „Lassen Sie uns der schönen Hoffnung uns freuen, daß wir etwas für die Ewigkeit angelegt haben! Diese Vorstellung habe ich mir frühe von unserer Freundschaft gebildet, und jeder neue Tag hat ihr mehr Licht und Gewißheit bei mir gegeben.“ Und doch wird von ihm der Tag des Abschieds weiter und weiter hinausgeschoben. Schon längst sind die Blätter der Pappeln und Weiden auf dem Dammufer der Saale vergilbt, und die Aequinoctialstürme rütteln an den schwanken Wipfeln der blätterlosen Erlen. Weiße Nebel steigen von der Saale auf und hängen wie flatternde Schleier an den Geländen des Thales. Schon ist die Schwelle des Novembers überschritten und der Geburtstag des Dichters gekommen. Eine stille Abendfeier, Clavierspiel und Gesang, frei von den Störungen des Tages, giebt ihm seine Weihe. In dem Geschenke einer Blumenvase findet der Beschenkte eine sinnige Hindeutung auf die Freuden des vergangenen Sommers.

Nun soll die Abreise vor sich gehen – und doch vergehen wieder zögernde Tage. Da kommt die Nachricht der Abreise der Schwestern nach Erfurt auf Anlaß ihres Oheims. Nun war kein Bleiben mehr. Als Schiller das Billet mit dieser Botschaft erhielt, preßte ihm die unvermeidlich gewordene Gewißheit seiner Trennung nach seinem späteren Geständnisse Thränen aus. „Alle Deine Hoffnungen,“ rief es zu ihm tief aus dem Herzen herauf, sind noch nicht viel weiter, als sie zu Anfang des Sommers gewesen waren; alle frohe Aussicht Deines Herzens ist wieder verfinstert. Aber,“ fügte er sich still tröstend hinzu, „wenn nur der gelegte Grund fest und massiv ist, so wird die liebe wohlthätige Zeit noch Alles zur Reife bringen.“

Um den Abschied nicht noch schmerzlicher zu gestalten, wohl aber auch, weil er dabei seines Herzens sich nicht sicher wußte, will er Lottchen nicht noch einmal sehen. „Besser, wir haben uns gestern zum letzten Male gesehen.“ Und so tritt das geschriebene Wort, das leichter zu beherrschende, an die Stelle des mündlichen.

„Ihr Andenken ist mir theuer, und theurer gewiß, als ich Ihnen mit Worten gestanden habe, weil ich über Empfindungen nicht viel Worte liebe. Auch das meinige, weiß ich, wird Ihnen Werth sein. Leben Sie recht wohl! Leben Sie glücklich! Noch einmal Dank, tausend Dank für die vielen, vielen Freuden, die Ihre Freundschaft mir hier gewährt hat! Sie haben viel zu meiner Glückseligkeit gethan, und immer werde ich das Schicksal segnen, das mich hierher geführt hat. Ewig Ihr Schiller.“

Da vertraut noch in der schweigenden Nacht, der letzten vor dem Scheiden, als das Haus schlafbefangen ruht, auch sie noch die bleichen Gedanken rückhaltloser als sonst dem Papiere.

„So sind wir denn wirklich getrennt! Kaum ist mir’s denkbar, daß der gefürchtete Moment vorbei ist. Noch sehen wir einerlei Gegenstände; die nämlichen Berge, die Sie umschließen, umgeben auch uns. Und morgen soll dies Alles nicht mehr so sein? Ich möchte Ihnen gern sagen, wie lieb mir Ihre Freundschaft ist und wie sie meine Freuden erhöht. Aber ich hoffe, Sie fühlen es ohne Worte. – Sie wissen, daß ich wenig Worte finden kann, meine Gefühle zu erklären und sie Anderen deutlich zu machen. … Lassen Sie, so oft wie Sie können und Lust haben, von sich hören, daß der Gang Ihres Geistes mir nicht fremd wird und ich ihm folgen kann. … Gute Nacht! Gute Nacht! Leben Sie so wohl, als ich’s wünsche! Denken Sie gern meiner und oft. Adieu! Adieu!“

Und als die Nacht um war, griff sie noch einmal zur Feder. „Noch einen schönen freundlichen guten Morgen von mir. Leben Sie noch einmal wohl und vergessen uns nicht; nein, dies werden Sie nicht. Adieu! Adieu! Mir ist’s heut’ früh, als sähen wir uns bald wieder.“ –

Anderen Tages fuhren die Schwestern nach Erfurt, Schiller mit dem Postwagen nach Weimar. Bis zum Flecken Teichröden war der Weg noch gemeinsam; von da an schied er sich. Lottchen war immer in dem Gedanken, dem vorausfahrenden Postwagen noch zu begegnen. „Als ich aber sah, daß unser Weg nun ganz anders wurde, fiel es mir,“ schreibt sie, „schwer auf’s Herz. Die Reise war erträglich; die Sonne, die heitere Luft waren wohlthätig, aber als sie sich verbarg und der Abend wieder über die leeren Felder wehte und wir in die kalte Luft eingehüllt waren, lieber Freund, wie wurde es mir da so weh um’s Herz! Ich dachte mir lebhaft, daß es die Stunde unserer Zusammenkunft wäre: und nun, wie so anders!“

Spät Abends kommt Schiller in Weimar an. Er bleibt, tiefer Bewegung voll, an dem Abend zu Hause. Anderen Tages wickelt er pflichtschuldig Besuche ab und ist froh, wieder daheim zu sein, um an die Freundinnen denken und mit ihnen brieflich sich in geheimen Rapport setzen zu können. Er fühlt die ganze Schwere der Entbehrung des schwesterlichen Umgangs. „Ich kann und darf es mir nicht denken, daß Meilen zwischen uns sind. Alles ist mir hier fremd geworden; ein Interesse an den Dingen mitzubringen, muß man das Herz dazu mitbringen, und mein Herz lebt unter Ihnen. Ich scheine mir hier ein abgerissenes Wesen.“ Vergebens sucht er sich die Trennung „durch Vernünfteleien“ zu erleichtern, aber sie halten die Probe nicht aus. Immer wieder bricht die zurückgedrängte Empfindung hervor. „Seien Sie tausend Mal gegrüßt und empfangen Sie hier meine ganze Seele! Es wird Alles wieder lebendig in mir! Ich darf der Erinnerung nicht nachhängen. Wie oft habe ich mich gestern nach Ihnen umgesehen, ob Ihr Wagen nicht nachkäme, und als ich den Weg nach Erfurt vorbei war, wie schwer fiel mir da auf das Herz, daß Sie nun nicht mehr nachkommen könnten! Ich hätte so gern Ihren Wagen noch gesehen.“

In seiner selbstgewählten Einsamkeit treibt er einen stillen Cultus mit den empfangenen Geschenken der Liebe, mit jener Geburtstagsvase, die er mit wohlriechenden Essenzen gefüllt hat, und mit einem Geraniumstocke, der wohlerhalten die Reise mitgemacht hat. Oft unterbricht er die Lectüre der „Phönicierinnen“ des Euripides, um den Beiden im Nebenzimmer einen Moment weihevoller Betrachtung zu widmen.

Und doch schreibt er zu derselben Zeit an Körner: „Ich habe es redlich gehalten, was ich mir zum Gesetz machte und Dir angelobte. Mein Herz ist ganz frei, Dir zum Troste. Ich habe meine Empfindungen durch Vertheilung geschwächt, und so ist denn das Verhältniß innerhalb der Grenzen einer herzlichen, vernünftigen Freundschaft geblieben.“

Der sonst so aufrichtige Freund war diesmal doch wohl nicht so ganz aufrichtig gewesen. Er befand sich, als er dies schrieb, bewußt oder unbewußt, ganz sicher in einem Irrthume. Nur formell hatte er Recht. War sie auch noch nicht ausgesprochen und erklärt, die Liebe war längst lebendig. Ihr Grund stand bereits, wie er sich selbst schon gestanden hatte, fest und massiv, gewärtig des weiteren Aufbaues. Und wenn er jene Vertheilung auch wirklich durchgeführt hatte, so war bei derselben sein Geist wohl Carolinen, sein Herz aber sicher Charlotten zugefallen.

Wie aufrichtig und klar zeichnet dagegen Charlotte die Lage ihres Herzens, wenn sie nun schreibt: „Wir kennen uns erst ein Jahr, aber mir ist’s, als wären wir immer Freunde gewesen. Ihr Geist war mir zwar nie fremd, denn immer fühlte ich mich zu ihm gezogen, wenn ich von Ihnen las, aber nun ist’s doch noch anders, denn jetzt wird es nur fast unmöglich, mir meine Freuden ohne Sie zu denken, und so wird es immer bleiben, nicht wahr?“

Mit ihrem Herzen war das Herz des Freundes schon eng verwachsen. Dort hatte wandellose Liebe die sichere, ewige Heimstatt aufgerichtet.

Geeinte Contraste.

Der Briefwechsel Schiller’s ist jetzt ein erweiterter. Auch Caroline nimmt an demselben lebhaft Antheil, und die Briefe Schiller’s sind deshalb oft gleichzeitig an beide Schwestern gerichtet. Die Individualität derselben tritt darin scharf hervor. Durch die Briefe Carolinens geht die Kühle des räsonnirenden Verstandes,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_032.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)