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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Zehren nickte ihm zu, und der Andere ging zum Whisttische. Der Fabrikant saß ganz mutterseelenallein; auch er war in diesem Kreise sichtlich noch ein Fremder. Er blickte ziemlich tiefsinnig in das Weinglas, dessen Fuß er mit Daumen und Zeigefinger umspannt hielt, und bemerkte nicht einmal, daß er von einer Seite her aufmerksam beobachtet wurde.

In einer Nische saß der Polizeicommissar Donner mit dem Wirthe und einem Manne in den vierziger Jahren, der sich durch eine röthliche Nasenspitze und eine wahre Löwenmähne auszeichnete, letztere gleichfalls röthlich, aber bereits ein wenig mit Grau gemischt. Der Wirth zeigte den gewöhnlichen Typus von Leuten seines Gewerbes bis auf die Augen, welche ungewöhnlich schlau und vorsichtig unter dichten Brauen hervorfunkelten. Sie unterhielten sich über Zehren, den der Commissar beständig im Auge hatte wie ein Kater die Maus.

„Mit wie viel Leuten arbeitet er eigentlich jetzt?“ fragte der Letztere, zu dem Löwenmähnigen gewendet. „Wissen Sie das vielleicht zufällig, Herr Bandmüller? Er gehört nicht in meinen Bezirk.“

„Ein halb Hundert beschäftigt er wohl,“ meinte dieser. „Wir haben von uns aus manchmal Zuzug herüber und hinüber, da Seyboldt und Compagnie auch in Watte arbeiten, freilich nur in Baumwollwatte, von den Abfällen. Zehren hat Wollwatte, und das ist die gute. Seit sein Onkel todt war, ging es dort eine Weile drunter und drüber, und ich habe damals an die zwanzig Arbeiter für uns gekapert. Jetzt hat der die Sache wieder gut im Gange. Haben Sie etwas mit ihm vor, Herr Donner, daß Sie mich seinetwegen ausfragen?“

„Also er ist heute wirklich erst zum zweiten Male hier, Vater Schoner?“ fragte dieser jetzt den Wirth, die letzte Frage des Fabrikleiters von Seyboldt und Compagnie überhörend.

„Ich kenne ihn kaum,“ meinte Herr Schoner trocken.

Der Commissar hatte bisher noch nicht von den Beiden erfahren können, was er wissen wollte. Er beschloß, direkter auf sein Ziel loszusteuern.

„Halten Sie ihn wirklich für einen solchen Schlaukopf, Herr Bandmüller, wie die Leute sagen? Sie müssen das doch sicher wissen. Was mich betrifft, so behaupte ich, daß er ein erzdummes Gesicht hat.“

„Verkaufen Sie sich nicht, Herr Donner!“ sagte Bandmüller mit hochaufgezogenen Augenbrauen. „Er ist ein verdammter Amerikaner, und da drüben lernt man Pfiffe und Kniffe, von denen Sie und ich nichts wissen.“

Der Wirth wurde gerufen und verließ den Platz, worauf der Commissar näher zu dem Fabrikleiter heranrückte. „Sie mögen Recht haben; diese Amerikaner sind gerade solche Racker, wie gewisse Franzosen, die sich hier herum sehen lassen. Haben Sie Indicien, Zeugnisse für Ihre Ansicht?“

Bandmüller zuckte die Achseln.

„Unter uns,“ fuhr der Commissar flüsternd fort; „glauben Sie wirklich, daß er taub ist?“

„Oho!“ lachte jener. „Sie können ihm eine Kanone vor den Ohren abschießen, und er blinzelt nicht, Herr Donner.“

„Nun, so sollen Sie sehen, daß ich doch noch schlauer bin, als ein Amerikaner,“ sagte Donner mit überlegenem Lächeln, indem er sich plötzlich erhob und möglichst leise und unbefangen an der Wand hinschob, bis er hinter dem Fabrikanten stand. Er ging dann langsam die paar Schritte bis hinter dessen Stuhl und bog sich mit dem Munde ganz dicht an das rechte Ohr Zehren’s. Hier sagte er leise, sodaß keiner der Nahesitzenden es zu verstehen vermochte: „Im Namen des Gesetzes: ich verhafte Sie.“

Franz Zehren kehrte sich mit einer jähen Wendung um und starrte etwas verblüfft in das triumphirende Gesicht des Beamten. Der warme Hauch von dessen Munde hatte ihm gesagt, daß ein Mensch dicht hinter ihm stehe, und nun erblickte er einen Polizeibeamten. „Was wünschen Sie, mein Herr?“ fragte er höflich, indem er aufstand und seine Tafel mit dem Stifte aus der Tasche zog.

„Incommodiren Sie sich nicht!“ fügte mit pfiffigem Lächeln der Commissar hinzu. „Ich wollte blos sehen, ob Sie wirklich so schwerhörig sind, wie die Welt glaubt.“

„Ich verstehe Sie nicht,“ meinte Zehren und hielt ihm die Tafel hin, ohne diese in’s Auge zu fassen. „Ich habe das Unglück, taub zu sein. Wollen Sie die Güte haben, mir auf diese Tafel zu schreiben, was Sie mir sagen möchten?“

Der Commissar blickte, betroffen über die Geistesgegenwart, wie er meinte, auf die Tafel und bemerkte, daß auf derselben einige Worte geschrieben standen. Er las im Fluge die Uriaswarnung, welche der Doctor Urban darauf geschrieben hatte und die Zehren zu löschen vergessen. Im nämlichen Augenblicke kam diesem auch die Erinnerung an die aufgeschriebenen Worte, als er die gierig lesenden Augen des Beamten sah, den er nicht kannte, in dem er aber mindestens einen Verräther zu fürchten hatte, und blitzschnell zog er das Täfelchen an sich. Seine Verlegenheit und die Eile, mit der er jene Worte verwischte, war zu augenscheinlich, als daß sie nicht hätten beitragen sollen, den Triumph Donner’s zu vervollständigen.

Der Commissar schlug die Arme übereinander und starrte ihn mit unverschämtem Lachen an. Dann legte er ihm die Hand auf die Schulter und wiederholte: „Hüten Sie sich vor dem Polizeicommissar Donner! Ein Freund.“ Er ging in die Nische zurück, während Zehren ihm mit feuerrothem Kopfe nachblickte.

„Sie scheinen sich verdammt gut mit ihm unterhalten zu haben, Herr Donner,“ empfing Bandmüller den Zurückkehrenden.

Der Commissar sah ihn mit überlegenem Mitleid an. „Amtsgeheimnisse, bester Herr Bandmüller,“ sagte er in geschäftsmäßigem Tone. „Wenn Sie morgen wieder hier sind, sollen Sie Näheres über den Vorfall hören.“

„Ich hoffe, Sie bekehren sich morgen noch zu dem Glauben, daß er taub ist wie eine Otter,“ lachte der Fabrikleiter und zeigte einen Mund voll wahrhaft gräulich langer Zähne zwischen seinem Urwald von Bart. „Daß Dir der Teufel die Haut in Riemen herunterschneide, verdammter Spion!“ knurrte er für sich, indem er dem abgehenden Donner einen bösen Blick nachwarf. „Ah, da ist ja der Pascha!“

Während der Commissar sich in den dunkelsten Hintergrund des Zimmers zurückzog, war Karl Hornemann, der „Pascha“, in das Zimmer getreten. Die Art, wie sein Eintritt bemerkt wurde, bewies, daß er in diesen Räumen eine Art Respectsperson war. Der Wirth zuerst, aber auch eine ziemliche Zahl der Uebrigen näherte sich ihm sofort, um einen Händedruck und einen Blick des Einverständnisses mit ihm zu tauschen. Er hatte für Alle das nämliche milde Lächeln und ein paar freundliche Worte. Karl Hornemann sah überhaupt aus, als ob er wohl lächeln, aber nicht eigentlich lachen könnte; es lag ein stiller Schleier über dem Wesen des seltsamen Mannes, wie der Sonnenduft des Mittags über einem Alpenthale, der zuweilen die Landschaft vor dem Auge des Bergsteigers verklärt.

Der Wirth zog ihn endlich ein Stück seitwärts mit sich und flüsterte ihm hier eifrig etwas zu, was Karl Hornemann veranlaßte, flüchtig aber aufmerksam einen Ecktisch in der Nähe der Billardqueues zu mustern. Dort saßen zwei Männer, welche beim Weine leise mit einander sprachen; der eine, ein Hüne von Gestalt, ein breiter Nordlandsrecke mit flachsfarbenem Lockenhaar, der sehr lebhaft gesticulirte, der andere, ein schmächtiger junger Mann, mit dem gebräunten Teint des Südländers und sorgfältig gepflegtem schwarzem Schnurrbärtchen, Beide sonach in diesem Kreise ziemlich auffällige Erscheinungen.

„Sie hätten sie auf keinen Fall in die Wirthsstube hereinlassen sollen, Vater Schoner. Wenn Donner sie sieht, den ich oben beim Fenster bemerkt habe, so ist der Geier los.“

„Der Große wollte durchaus herein, Karl; ich konnte ihn nicht oben halten.“

„Dieser Mann wird niemals klug werden; er ist eine ehrliche, treue Seele voll reinen Wollens und urwüchsiger Kraft, aber man läuft beständig Gefahr, von ihm compromittirt zu werden. Die Beiden müssen sofort auf ein Zimmer hinauf; ich darf sie hier nicht sprechen, auf keinen Fall.“

Im nämlichen Augenblick war Karl Hornemann von dem Hünen gesehen worden, der plötzlich aufsprang und seinen Gefährten beim Arme vom Stuhle zog. Der Pascha runzelte die Stirn und legte den Finger auf den Mund, indem er mit der andern Hand eine abwehrende Bewegung machte. Er flüsterte dem Wirthe noch über die Schulter zu: „Sagen Sie, ich käme sofort nach!“ und trat dann mit ein paar raschen Schritten in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_073.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)