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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


im besten Sommerrübsamen nebst einer Zugabe von täglich einem Theelöffel voll Eifutter. Den Sommerrübsamen erhält man leider nur selten in brauchbarer Beschaffenheit; gewöhnlich ist er mit Winterrübsamen, Raps und am häufigsten mit Hederichsamen untermischt, und diese Sämereien, namentlich die letztere, sind für die zarten Harzer Canarien geradezu Gift. Guter Sommerrübsamen muß dunkel violettbräunlich sein und einen süßen, wallnußartigen Geschmack haben. Die genannten ähnlichen Samenarten lassen sich bei großer Aufmerksamkeit in folgender Weise unterscheiden: Winterrübsamen und Raps haben dunklere, schwärzlich-braune und der letztere auch weit größere Körner, deren Geschmack entschieden bitterlich ist. Die Körner des Hederichs sind kleiner, glatt und glänzend und von nahezu reinschwarzer Farbe. Beim Zerkauen brennt er scharf wie Senf auf der Zunge.

Für den Einkauf des besten, hederichfreien Sommerrübsamens weiß ich mit gutem Gewissen nur folgende Quellen anzugeben: die Samengroßhandlung von Karl Capelle in Hannover und den Handelsmann Reinecke in Appenrode bei Kynenburg.[WS 1]

Das Eifutter, an welches diese Vögel vom Harze her gewöhnt sind, wird wie folgt bereitet: Ein, frisches, hartgekochtes Hühnerei wird auf einem sauberen Reibeisen fein zerrieben, dann ebenso ein Dreier-Weizenbrödchen, welches bestens ausgebacken, aber nicht braun sein darf und alt und hart ist. Beides wird gründlich untereinander gemischt und mit äußerst wenig Wasser befeuchtet, sodaß das Brodpulver an dem Ei haftet. Man hüte sich jedoch, zu viel Wasser hinzuzusetzen, weil sonst die zarten Vögel nur zu leicht erkranken. Als guten Ersatz für das Eifutter darf man übrigens auch die bekannten Kinder- oder Löffelbiscuits geben und allenfalls auch frische Ameisenpuppen.

Alle übrigen Füttereien, wie Kreuzkraut, Vogelmiere oder Salat, Zucker, Kuchen etc. sind diesen Vögeln entschieden nachtheilig; auch alle anderen Sämereien, wie Mohn, Hanf, gespelzten Hafer und Glanzkorn oder Canariensamen, giebt man ihnen nur dann, wenn sie krank oder schwach sind. Die andauernde Fütterung mit denselben ist ihnen aber schädlich. In der ersten Zeit, sagt Böcker, singen sie bei diesem Futter zwar fleißiger, bald aber werden sie übermäßig fett, verlieren die Lust zum Gesange und vor Allem den metallischen Wohlklang der Stimme.

Frisches Wasser muß der Vogel täglich ein- bis zweimal bekommen und ebenso saubern, nicht zu scharfen und nicht zu staubigen Sand wenigstens wöchentlich einmal, und dazu etwas Kalk, zerstoßene frische Eischalen, Sepienschale oder Tintenfischbein, auch Mörtel von alten Wänden.

Nach Darlegung dieser nothwendigen Pflege wenden wir uns nun zu den vorhin erwähnten Uebelständen.

Der allerschlimmste derselben ist der, daß die Harzer Canarienvögel viel zu früh und in zu großer Anzahl von den Händlern aufgekauft und ausgeführt werden. Der bedeutendste deutsche Großhändler, Ch. Reiche in Alfeld bei Hannover (welcher sogar in New-York ein Zweiggeschäft, Chs. Reiche and brother hat), klagt in der vorhin erwähnten Zeitschrift darüber, daß ein Aufkäufer, mit dem andern wetteifernd, den jungen Vögeln gar nicht mehr die volle Zeit zur Entwickelung läßt.

Keinem dieser herrlichen Sänger ist nämlich der Gesang von vornherein angeboren; jeder derselben muß ihn vielmehr erst von einem Vorschläger, das heißt von einem älteren eingeübten Vogel erlernen. Diese Schule verlangt eine besondere Behandlung. Die jungen Vögel werden in kleinen Käfigen so gehalten, daß sie weder zum Fenster hinausschauen, noch durch anderweitige Zerstreuung von ihrem Studium abgelenkt werdet können. Ja, man gewöhnt sie an’s Verhängen oder Zudecken, das heißt man legt ein dünnes, blaues oder grünes Tuch so über den Käfig, daß der Vogel garnicht sich umblicken kann, sondern alle seine Aufmerksamkeit dem Gesange zuwenden muß. Wenn hierin auf den ersten Blick eine arge Grausamkeit liegt, so ist dies doch thatsächlich keineswegs richtig. Wer die Aeußerungen der Freude und Fröhlichkeit, des Behagens und Vergnügens bei einem Vogel zu beurtheilen versteht, wird es bestätigen müssen, daß diese der junge, fleißige Sänger im vollen Maße zeigt. Er singt so recht ruhig-vergnüglich, und am herrlichsten erfreut uns sein Gesang, wenn des Abends bei Licht die Hülle entfernt wird und er seine wunderlieblichen Touren beginnt.

Da nun die Sänger vor dem völlig eingetretenen Winter keineswegs hinreichend ausgebildet sein können, so ergiebt sich daraus ganz von selber der vorhin erwähnte Uebelstand. Herr Reiche und ebenso die hervorragenderen Händler zweiter Hand, wie Mieth, Schmidt, Dondorf, Pantzer, Wagener (Züchter) in Berlin, Gudera, Geupel-White in Leipzig, Hromada, Zuckerkandel in Dresden, Wenisch, Kaspar in Breslau, Gersten in Hannover, Bonvie in Cöln, Sennhem in Cassel, halten sich, da sie durch die Concurrenz ebenfalls zum frühen Ankauf gezwungen werden, Vorschläger, durch welche die jungen Vögel weiter unterrichtet werden. Außer dem Uebelstande aber, daß die bei weitem größte Anzahl der jungen Canarienvögel doch kaum zu einer tüchtigen Gesangsausbildung gelangen kann, treten nun aber für den Liebhaber, der nur einen oder einige vorzügliche Sänger anschaffen will, andere sehr bedeutsame Nachtheile ein.

Der Hauptversand der jungen Harzer Canarienvögel geschieht durch ganz Deutschland in der Zeit vor und um Weihnachten herum. Nun haben die Händler wohl ihre recht zweckmäßig eingerichteten Versandkäfige und z. B. Maschke in Andreasberg übernimmt Gewähr für die sichere Ankunft bis auf die weitesten Entfernungen hin. Dennoch kann der junge Harzer Vogel bei dem Empfänger in den meisten Fällen nur ein trübseliges Dasein fristen. Der unheilvollste Uebelstand dieser Vogelzucht kommt jetzt nämlich zur Geltung.

Während die Landrace der Canarienvögel bekanntlich sogar den Winter im ungeheizten Zimmer vortrefflich zu überdauern vermag, wird die feine Harzer Race dagegen in einer unheilvoll hohen Temperatur gehalten und gezüchtet. Die Wärme von zweiundzwanzig Grad Réaumur im Durchschnitt (und oft noch viel höher) während der Brutzeit ist in allen Züchtereien Regel; zur Mauserzeit wird sie sogar auf vierundzwanzig Grad Réaumur erhöht, um dann später wiederum bis auf etwa achtzehn Grad Réaumur ermäßigt zu werden. Erklärlich ist es daher wohl, daß der unter solchen Umständen aufgewachsene Canarienvogel in der Obhut des neuen Besitzers bei gewöhnlicher Stubenwärme, also bei drei bis neun Grad unter der gewohnten Temperatur, niemals zum vollen Wohlsein und zur ganzen Entfaltung seines Gesanges gelangt, sondern allmählich verkümmert. Die Züchter und Händler sollten daher alle zum Verkauf bestimmten jungen Vögel durch sehr langsames Herabmindern der Wärmegrade an Stubentemperatur und zur Nachtzeit an noch viel niedrigere Wärmegrade gewöhnen. Erst dann dürfte die Versendung geschehen.

Der letzte Uebelstand der Harzer Zucht ist der, daß dort seit vielen Jahren im Wesentlichen Inzucht getrieben wird. Obwohl ich ganz entschieden ein Gegner derselben bin, so muß ich doch zugeben, daß in gewissen Fällen, wie z. B. bei der Zucht mancher edlen Rinder- und Schafracen, bei den belgischen Brieftauben und andern Thieren, die nothgedrungene, seit Jahrzehnten betriebene Zucht innerhalb derselben Familie sonst auftretende üble Folgen nicht zeigt, sondern sogar die Erhaltung und Vervollkommnung der Race bedingt. Wenn der Canarienvogelzüchter nur mit äußerster Sorgfalt darauf achtet, daß jeder etwa verkrüppelte oder sonst verunstaltete Vogel sofort sorgfältig ausgemerzt werde, so kann die Zucht innerhalb derselben Stämme nicht leicht Verderben bringen. Wer als Liebhaber diese Zucht betreiben will, halte sich jedenfalls an die Rathschläge, welche in dem kleinen Buche „Der Canarienvogel“ von Dr. Karl Ruß (zweite Auflage) gegeben worden sind; sie beruhen auf umfassendster Kenntniß der Pflege und Zucht aller Canarienracen und insbesondere des Harzer Vogels.

Gegen zwei allgemein verbreitete Mißbräuche muß ich noch ganz entschieden auftreten. Man versuche niemals, die Zucht mit Harzer Männchen und Weibchen der gemeinen Landrace zu betreiben. Es kommt nichts Gutes dabei heraus, denn die jungen Vögel verunstalten ihren schönen Gesang stets durch die angebornen häßlichen Töne. Ebenso wenig soll man junge Männchen der gemeinen Race zu einem feinen Harzer Hähnchen in die Lehre geben; sie lernen doch nichts Gescheidtes und verderben den werthvollen Vorsänger zweifellos.

Die Vögel der besten Harzer Stämme, welche untereinander außerordentlich verschiedenartig sind, gehen mit Ausnahme derer, welche Herr Reiche und andere Exporthändler aufkaufen, in die Hände der vorhin genannten Klein- und Großhändler über, und für den Bezug ist den Liebhabern somit ein weites Feld geöffnet. Ein wahrer Canarienvogelmarkt entwickelt sich in den Herbstmonaten im Anzeigentheile der „Gefiederten Welt“ und die Preise

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_083.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)