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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


da an zieht er es meistens vor zu schweigen, und nach dem Staatsstreich verduftet er nach Brüssel.

Dieses politische Ereigniß traf den Prinzen unvorbereitet; er gehörte niemals zu den Intimsten Napoleon’s, der ihn auch niemals in seine Geheimnisse einweihte, in seine Werkstatt sehen ließ. In jener denkwürdigen Nacht, in der Napoleon mit seinen Helfershelfern Persigny, Morny, Walewski, St. Arnaud Paris überfiel, saß der Prinz ahnungs- und harmlos in dem Salon einer sehr bekannten Phryne. Der Prinz eilte nach Brüssel und war unter den Ersten, welche den Protest gegen den Staatsstreich unterschrieben. Er traute dem Stern seines Vetters nicht; er glaubte, ja er hoffte vielleicht eine Gegenrevolution und hielt sich in Bereitschaft. Als ihn aber die Proclamirung des Kaiserreichs ernüchterte, kam er wieder zum Vorschein; war er doch allein kaiserlicher Prinz und der natürliche Erbe des Kaiserreiches. Zwar umgaben mehrere Napoleoniden den Thron, aber mit Ausnahme des Exkönigs von Westphalen und seines Sohnes gehörten sie alle zur Linie Lucian (Prinz von Canino, ältester Bruder Napoleon’s des Ersten) und sind durch dessen Mesalliance vom Throne ausgeschlossen. Nur Prinz Napoleon war „Prinz von Frankreich“ und erbberechtigt.

Die politischen und militärischen Würden, welche der Prinz bekleidete, trugen ihm mehr Spott als Ehre ein. Noch unter der Republik zum Gesandten in Madrid ernannt, wurde ihm diese Bürde rasch wieder abgenommen, als er eines Tages seinen Posten ohne Urlaub verließ; als Präsident des neu creirten Ministeriums für Algier, sah er sich genöthigt, nach allem möglichen Krakehl mit seinen Collegen um seine Entlassung nachzusuchen; als ihn der Kaiser zum Divisions-General ernannte, machte ihn Paris zum Général du corps de Ballet, und im Krimkriege erwarb er sich den Spottnamen Plon-Plon.

Dagegen bewies der Prinz als Präsident der Weltausstellung von 1855 ein großes Organisationstalent und eine überaus glückliche Hand in der Wahl seiner Mitarbeiter. In seinem drei Bände umfassenden Werke „Besuch des Prinzen Napoleon auf der Ausstellung“ ist viel interessantes Material aufgestapelt und manch geistvoller Gedanke niedergelegt. Manche kühn ausgesprochene Voraussicht haben Zeit und Erfahrung bestätigt. „Die Weltausstellungen sind der höchste kosmopolitische und civilisatorische Gedanke des Jahrhunderts,“ sagt der Prinz, „sie drücken dem industriellen Jahrhundert seinen wahren Stempel auf; sie lösen die National-Ausstellungen ab; sie sind der Plan, auf dem sich alle Völker zum friedlichen Wettkampf vereinigen, die Realisirung der hochfliegenden Träume Saint Simon’s.“ Aber der Prinz kann die allzuhäufigen, sich rasch folgenden Ausstellungen nicht billigen, auch glaubt er, daß Fachausstellungen allgemeinen Ausstellungen vorzuziehen und instruktiver seien; er ist nicht der Ansicht, daß die Ausstellungen ausschließlich vom Staat als solchem ausgehen sollen; schließlich ist er für die unbedingte Aufhebung der Prämiirung, und wenn nicht anders möglich, so doch für ihre thunlichste Beschränkung. „Der Gerichtshof ist hier die ganze Welt, und die Prämien zahlt eigentlich der Consument“ ist sein Ausspruch. Die Erfahrungen der folgenden, und vor allen diejenigen der Wiener Ausstellung, haben die Ansichten des Prinzen vollauf bestätigt.

1858 fand das Attentat Orsini’s statt. Aus dem Gefängnisse heraus erließ er einen Mahnruf an den Kaiser, mit der Befreiung Italiens nicht länger zu zögern; ein Jahr später vermählt sich der Prinz mit der Tochter Victor Emanuel’s, und in demselben Jahre bricht der italienisch-französische Krieg gegen Oesterreich aus. Stets weit vom Schusse, war dem Prinzen die Aufgabe zugefallen, als Führer eines Observationscorps Toscana vor einem Ueberfalle zu bewachen, und erst nach Unterzeichnung des Friedens von Villafranca verließ er Livorno. Auch während des deutsch-französischen Krieges – die Kriegserklärung traf ihn in Tromsöe, und in fünf Tagen legte er die sechshundert Meilen zurück, welche ihn von Frankreich trennten – weilte er in Italien. Der Kaiser hatte ihn nach Turin gesandt, um eine Allianz zwischen Italien und Frankreich zu Stande zu bringen. Der Prinz schien der beste Unterhändler. Aber all seine Bemühungen waren vergebens, und er mußte seine Aufgabe ungelöst lassen.

Die Ehe Napoleon’s war für die kaum sechszehnjährige Tochter Victor Emanuel’s keine glückliche, denn der Prinz führte auch nach seiner Vermählung das kraftgeniale Garçonleben in seinem „pompejanischen Palaste“ in der Avenue Montaigne weiter. Dieses Haus war der Sammelpunkt von Künstlern, Schauspielern, Malern, politischen Schöngeistern, literarischen Politikern. und Emigranten der Länder, die man warm halten wollte, ohne ihre Abgesandten in den Tuilerien zu empfangen. Hier traf der Kaiser mit Kossuth vor Ausbruch des italienischen Krieges zusammen; hier fanden aber auch die „petits soupers“ statt, Abendgesellschaften, welche an den Prinzen Egalité mahnten, und die berüchtigte Cora Pearl mit ihren Gespielinnen fühlte sich hier wie zu Hause. Hier wurde sehr viel Esprit consumirt, und von hier aus flatterte manch scharfes Witzwort über Rouher und vor Allem über die Kaiserin durch Paris, und aus der Avenue Montaigne kam manches Scandälchen, manch frivole Geschichte, welche stets in den innersten Gemächern der „Spanierin“ spielten, in Rochefort’s Laterne.

Der Prinz hat aus seiner Abneigung, aus seinem Hasse gegen die Kaiserin niemals ein Hehl gemacht, und dieser Haß wurzelt tief; der Prinz haßt die Kaiserin aus „Geschäftsrücksichten“; er haßt und verfolgt in ihr die Mutter Lulu’s, dessen Geburt ihm die Aussicht auf den Thron versperrte. Jene ganze Schmutzliteratur gegen die Kaiserin – von Brüssel und der Schweiz aus flügge gemacht – welche die Legitimität des kaiserlichen Prinzen anzweifelt und das Vorleben der „Spanierin“ in unzweideutigster Weise schildert, hat im Prinzen ihren Urheber, wie die Imperialisten behaupten, aber selbst die Republikaner lassen ihn bei dieser Literatur Gevatter stehen.

Uebrigens revanchirte sich auch die Kaiserin durch Verherrlichung der militärischen Bravour und des reckenhaften Muthes ihres theuren Neffen in Wort und Bild, ja nach dem Krimkriege circulirte sogar ein Bildchen, das man in intimen Kreisen dem malitiösen Griffel der Kaiserin zuschrieb und welches den Prinzen während der Schlacht an der Alma in einem Zustande darstellte, der mehr an Opiumpulver als an Schießpulver gemahnte. Als der Herzog von Aumale dem Prinzen ein Cartel sandte und ihm sagen ließ, er werde ihn in acht Tagen in Belgien erwarten, rief die Kaiserin dem bei Hofe erscheinenden Plon-Plon zu:

„Wie, mein Prinz, Sie hier? Wir glaubten Sie schon auf der Reise nach Brüssel.“

„Ich hole nur den Rath des Oberhauptes unserer Familie ein,“ explicirte der Prinz mit Grandezza.

„Ach, dann bin ich beruhigt,“ sagte Eugenie lachend, „wer in Ehrensachen um Rath fragt, der schlägt sich nicht.“

Während des letzten Krieges weilte der General Prinz Jerome Napoleon friedlich und lustig in Florenz, war täglich an der Seite einer der populärsten Halbweltdamen im Theater zu sehen und trotzte mit feigem Cynismus der Entrüstung des Publicums, welches ihn mit Schimpf bewarf. Der 4. September traf ihn noch in Italien. Während der Gefangenschaft des Kaisers ließ der Prinz aus Vorsicht das Gerücht verbreiten, Deutschland habe ihn zum Nachfolger Napoleon’s des Dritten ausersehen, und durch die „Times“ die Nachricht, Bismarck führe in dieser Richtung Unterhandlungen. Das Dementi, welches von deutscher Seite erfolgte, steckt sicher nicht hinter dem Spiegel des Prinzen. Nach dem Tode des Kaisers brachen die Feindseligkeiten der „ältern und jüngern Linie Bonaparte“ in offenen Kampf aus. Von Chislehurst aus beschuldigte man den Prinzen, daß er den Sturz des Kaiserreichs verschuldet, welches er systematisch untergraben habe, daß er dem Kaiser die liberalen Ideen, das heißt das Ministerium Ollivier aufgezwungen (?), um den vacanten Thron selbst zu besteigen, und der Prince impérial erließ gelegentlich seiner Candidatur für Versailles einen rüden Fehdebrief gegen ihn, wogegen wieder der Prinz die „bigotte Spanierin, welche der Kaiser so schwach war auf den Thron zu erheben“, das Unglück Frankreichs nennt.

Wenn man den Kampf der beiden Linien Bonaparte auch nur oberflächlich verfolgt, wird man rasch den Eindruck erlangen, welchen der selige Heinrich Heine im „Streite zwischen Pfaff und Rabbiner“ erhielt.

Plon-Plon hat übrigens für die reiche Sammlung von kostbaren Ehrentiteln, mit denen jede Partei ihn bereits beschenkte, neuerdings einige auserlesene Exemplare erhalten. „Vetter Liederlich“ nennt ihn Gambetta verächtlich; Paul Cassagnac, der journalistische Bravo der Imperialisten, schimpft ihn „Jerome Egalité“, die Rechte „Le communard Jérôme“, und Rochefort

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 85. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_085.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)