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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Systematische Prügel. In Amerika ist kürzlich, wie die Zeitungen berichten eine Prügelmaschine erfunden worden mit welcher gleichzeitig an zwölf Kindern die Ruthenstrafe sehr energisch vollzogen werden kann. Sollte dieser geniale Gedanke nicht in besonderem Grade das Interesse derjenigen Kreise der deutschen Lehrerwelt erregen, von denen seit einigen Jahren das Recht beliebigen Prügelns in den Schulen zu einem Gegenstande emsiger Studien und entschiedener Vertheidigung gemacht worden ist? Die großen Erziehungslehrer und pädagogischen Reformatoren der von mancher Seite her jetzt als „überwunden“ erklärten Humanitätsepoche, Rousseau und Basedow, Pestalozzi und Diesterweg, haben bekanntlich das bis dahin zu den notwendigen Erziehungsmitteln gerechnete Schlagen der Kinder im Principe bekämpft und zwar aus Gründen der pädagogischen Nützlichkeit sowohl, wie der Humanität und des natürlichen Zart- und Würdegefühls. Seit Jahrzehnten hat auch die Wissentliche Meinung und die ganze Strömung des Zeitgeistes dieser Auffassung zweifellos sich angeschlossen, und auch die Staatsgesetze haben derselben durch Beschränkung des Züchtigungsrechts und durch Schutzmaßregeln gegen Ueberschreitungen Rechnung getragen. Das „Hauen“ war dadurch in den deutschen Schulen zwar im Ganzen nicht beseitigt, aber doch mehr oder weniger durch die Vorsicht, welche prügellustige Lehrer sich auferlegen mußten, auf ein bescheidenes Maß beschränkt worden, Eine vollständige Abschaffung schien nur noch eine Frage der Zeit und der steigenden Gesittung zu sein.

Da kam in den zehn Jahren nach 1848 die gewaltsame Einführung einer pietistisch-orthodoxen Dressur der Volksjugend durch die zelotischen Parteiminister Raumer und Mühler, es kamen die berüchtigten schwarzen Schulregulative. Dieses System brachte auch die Prügel wieder zu vollen Ehren. In der Guido Weiß’schen Zeitschrift „Die Wage“ hat Eduard Sack neuerdings den verdienstvollen Nachweis geführt, wie sehr die Herrschaft jener „gläubig-frommen“ Pädagogik der Prügelstrafe in den Schulen Vorschub geleistet hat. Züchtigung, Kasteiung und Demütigung des Fleisches zur Austreibung des alten „Adam“ ist ja ohnedies eine der Lieblingsforderungen auch unserer modernen Frömmlinge, und ginge es nach ihnen, so würden auch den Erwachsenen diese „Seelenerfrischungen“ oft und reichlich zu Theil. Im Uebrigen aber widersetzte sich die Natur der Kinder der ihr zugemuteten grausamen Ueberladung mit religiösem Gedächtnißstoffe. Wollte der Lehrer bei der strengen Schulrevision vor seinen geistlichen Vorgesetzten bestehen, so mußte er seinen Schülern die massenhaften Gesangbuchslieder und Bibelsprüche, welche sie jederzeit sollten hersagen können, durch das Hülfsmittel der Schläge einzubläuen suchen. Der Erfolg aber zeigt sich setzt deutlich in dem Wehegeschrei aller dieser Zionswächter über den Abfall, die Irreligiosität und „Entartung“ desselben Geschlechts, das sie in den Tagen ihrer Macht in den pietistisch gestalteten Schulen durch frühe Brechung des Lebensmuthes zu glaubensvoller Unterwürfigkeit hatten dresiren wollen.

Die Regulative waren ein unhaltbares Experiment fanatischen Parteiübermuthes, das aber mit der Alleinherrschaft dieser Partei nicht gefallen ist, ohne erhebliche Schäden im Schulwesen zurückzulassen. Die meistens im Amte gebliebenen Vertreter der „frommen“ Richtung bemühen sich auch, von dem System einstweilen zu retten, was zu retten ist, und so ist ihnen namentlich das Prügelwesen, das „Strafrecht des Lehrers“, eine jener Herzensangelegenheiten, die sie mit aller Wärme des Eifers als „Zucht der göttlichen Ordnung wider die falsche Humanität revolutionärer Tagesschriftsteller und Gemeindeobrigkeiten“ zu verteidigen suchen. Wir haben uns einige diesen Erörterungen gewidmete Schriften herbeigeschafft und wirklich gestaunt über den angestrengten Fleiß, mit dem hier der widerwärtige Gegenstand zu dem Range einer wissenschaftlichen Frage erhoben werden soll. So stellte vor einigen Jahren der gläubig-regulative ostpreußische Provinzialschulrath Bock seinen Lehrern die Preisaufgabe: Wie die Ueberschreitung der körperlichen Züchtigung (nicht etwa diese selbst) gründlich zu beseitigen sei? Es gingen zweiunddreißig Arbeiten ein, den Preis aber erhielten nur solche, die den Beweis führten, daß das Schlagen in den Schulen nicht zu entbehren wäre. Verschiedene der Einsender bekundeten einen Standpunkt, für den uns die parlamentarische Bezeichnung fehlt. Die schmerzhaften Rutenstreiche auf die innere Hand nennen diese zeitgenössischen Pädagogen eine bloße „Spielerei“. Einer verlangte eine aus ledernen Riemen geflochtene Peitsche. ein Anderer eine richtige Reitpeitsche, ein Dritter einen haltbaren Stock. Genug davon! Wenn aber solchen Discussionen einmal freier Lauf gelassen wird, so wirken sie ansteckend auch auf weitere Kreise. Einer der bemerkenswertesten Vorgänge in dieser Hinsicht hat sich vor drei Jahren in Dresden ereignet. Auf Veranlassung der städtischen Schuldeputation hat dort die Directoren-Conferenz über die Schulprügel in einer amtlichen „Darlegung“ sich geäußert, die sogar Ostern 1874 im Programm der öffentlichen Volksschulen Dresdens veröffentlicht wurde. Die Herren haben der Aufgabe den hingebendsten Mannesernst gewidmet, ein förmliches System möglichst schmerzhaften, aber unschädlichen Prügelns haben sie aufgestellt und man muß diese Untersuchungen lesen, um den Scharfsinn und die minutiöse Genauigkeit bewundern zu können, mit der hier über die körperlichen Stellen gehandelt wird, auf welche geschlagen, und über das Instrument, das zum Schlagen benutzt werden soll.

Wir wissen nicht, wie groß die Zahl deutscher Schulmänner ist, die heute noch den Stock für eines der notwendigsten Mittel ihres Berufes halten. Aber einen in hohem Grade befremdenden Eindruck hat es doch weit und breit gemacht, als vor Kurzem aus dem Erfurter Lehrertage auch ein Lehrer freisinniger Richtung mit starkem Eifer für das Kinderprügeln eingetreten ist. Wir sind gewiß die Letzten, welche die ungeheuren Schwierigkeiten im Berufe und in der Stellung des Lehrers verkennen und ihm nicht auch für ganz besondere Fälle eingreifende Strafmittel gestatten möchten. Die sogenannte „falsche“ Humanität aber weiß sehr wohl, was sie will, wenn sie gegen jedes beliebige Prügeln sich erklärt. Nicht alle Lehrer sind Engel, und in den Schulen sollten die Schläge schon deshalb nicht conservirt werden, weil sie den jungen Seelen das Beispiel einer Strafart geben, die außerhalb der Schule doch als unbedingt roh, als unzweifelhaft häßlich aus den Kreisen der guten Sitte verbannt worden ist.






Zwei neue Erzählungswerke. Wenn wir im Folgenden auf zwei Werke hinweisen möchten, welche sich durch innern Gehalt über die Alltagserscheinungen im Gebiete der Belletristik erheben, so geschieht es deshalb, weil die Autoren derselben zunächst zwei Vorzüge für sich in Anspruch nehmen können: das Interesse, welches wir an den handelnden Personen in der Novelle „Rudolf“ von Hermann Presber (Leipzig, Theodor Thomas) und dem Roman „Verschiedene Stände“ von Adolf Brennecke (Stuttgart, Cotta) gewinnen – denn diese Werke und diese Autoren meinen wir – liegt nicht allein in der Erfindung sogenannter spannender Situationen, sondern in den geschilderten Charakteren selbst, und beide Bücher eignen sich ihrem ganzen Inhalt nach für jeden Leserkreis, für Alt und Jung, für die Familie. Der Standpunkt der beiden Schriftsteller ist ein durchaus freisinniger. Wenn das Brennecke’sche Buch eine buntre Abwechslung bietet als das Presber’sche, so hat die Novelle „Rudolf“ dafür den Vorzug, daß die Entwicklung jeder einzelnen handelnden Figur mit einer Sorgfalt, mit einer Feinheit angelegt und durchgeführt worden ist, wie wir es selten bei einer Novelle gefunden haben. Und vor allen Dingen schwebt über dem Werke von Presber ein so allerliebster, köstlicher Humor, daß wir wohl befugt sind, die Novellendichtung in dieser Hinsicht als einzig in ihrer Art zu bezeichnen. Freilich wollen wir auch nicht unerwähnt lassen, daß der Schluß der Hermann Presber'schen Novelle etwas überstürzt erscheint; wenn sonst oft der Spruch zutrifft „Weniger wäre mehr gewesen“, so müssen wir bei „Rudolf“ beklagen, daß dieses Buch nicht statt in einem Bande in zwei Bänden vor uns liegt. Nicht ohne Rührung kann man die Darstellungen des Kinderlebens in der Presber’schen Novelle lesen; es zeigt sich darin eine sinnige Beobachtung des Seelenlebens der Jugend und eine innige Liebe zu den Kleinen, deren warmer Hauch wahrhaft herzerfrischend berührt. Brennecke offenbart eine reiche Kenntniß des Lebens in allen Ständen; in seinem Erstlingswerk zeigt sich der Autor als ein gereister, weltkundiger Mann, der eine große Fülle von Kenntnissen angesammelt hat und dieselben geschickt zu verwerthen weiß. Was beiden Werken besonderen Reiz verleiht, ist der frische Griff in’s volle Menschenleben, in den auftretenden Personen finden wir ein Spiegelbild des Lebens unsrer Zeit, von echter dichterischer Kraft gestaltet. Eine eingehende Besprechung gestattet die Rücksicht auf den Raum dieser Zeitschrift nicht. Mögen diese wenigen Zeilen genügen, die Aufmerksamkeit des Leserkreises der „Gartenlaube“ auf beide Erscheinungen hinzulenken!






Der zeichnende Telegraph, den man jetzt anwenden will, um Verbrecherportraits in alle Welt zu versenden, wurde während der letzten Weltausstellung benutzt, um die täglichen Wetterkarten des berühmten meteorologischen Instituts von Washington nach Philadelphia zu telegraphiren, woselbst man sie, wenige Stunden nach ihrer Vollendung in Washington, in einem schleunigst besorgten Umdrucke auf dem Ausstellungsplatze kaufen konnte. Das zur Herstellung des abzutelegraphirenden Originals von den Ingenieuren Sawyer und Smith erfundene Verfahren zeichnete sich durch originelle Einfachheit aus. Man entwarf die Zeichnung in Washington mit glycerinhaltiger und in Folge dessen klebrig bleibender Tinte auf Papier und bestreute die Zeichnung mit feingepulvertem Schellack. Wenn man nunmehr nach dem Abstäuben des überflüssigen Gummiharzes die heiße Metallwalze des Telegraphenapparates, über welche nachher der stromabsendende Telegraphenstift in engen Parallellinien hingleitet (vergleiche Gartenlaube 1877, S. 48) über diese Zeichnung hinrollte, so übertrugen sich ihre Striche und Umrisse als geschmolzener Schellack auf die Walze, und das Telegraphiren konnte vor sich gehen. Während so der zeichnende Telegraph sich endlich in die Praxis einführen will, überrascht uns plötzlich die Kunde, daß sein Erfinder Professor Alexander Bain zu Broomhill in Schottland nach langem Siechthum gestorben ist.






Verunglückt oder flüchtig? Wir werden um Aufnahme nachfolgender Zeilen zur Auffindung eines Vermißten ersucht und wenden uns damit an die in ähnlichen Fällen schon oft bewährte Mithülfe unserer Leser. Man schreibt uns:

„Der Kaufmann Victor Dembezak aus Breslau verließ Mitte Juli 1870 Cairo, um sich in Berlin zum Militärdienst zu stellen. Sein letzter Brief ist datirt aus Triest den 6. August 1870. Nach diesem Briefe will p. Dembezak in Triest erkrankt sein und stellte deshalb sein verspätetes Eintreffen in Berlin in Aussicht. Trotz der Nachforschungen der Berliner, Breslauer und Krakauer Polizeibehörden ist seitdem über den Verbleib des p. Dembezak nichts weiter ermittelt worden, als daß derselbe im Juni 1872 zu Detroit in Michigan (Nordamerika) sich aufgehalten hat. Da der p. Dembezak baares Geld sowie Werthgegenstände in Cairo behufs Ablieferung in Berlin erhalten hatte, so kann dessen Verschwinden nur dahin gedeutet werden, daß er verunglückt oder flüchtig geworden ist. Etwaige Mittheilungen über den Aufenthalt des Verschwundenen werden mit Dank entgegengenommen und wolle man solche gefälligst an die Redaction der Gartenlaube richten.“




Kleiner Briefkasten.



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Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_092.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)