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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Die Beiden waren einige Zeit ruhig. Endlich blickte Trimpop auf. „Abraham!“

„Was meinst Du, Sebulon?“

„Das will ich Dir rasch noch sagen, ehe wir hinauf in's Gebet gehen.“ Trimpop nahm die Mütze vom Kopfe und bearbeitete sie mit der flachen Hand, während er weiter sprach: „Ich habe so meine eigenen Gedanken, wenn ich die da draußen kommen höre. Beinahe zweihundert Männer und Weiber sind wir, und ich will in diesem Kessel sieden, wenn der Alte nicht allein so viel verdient, wie wir andern zusammen, die vom Comptoir drüben mitgerechnet. Nun frage ich: arbeitet der Alte so viel, wie wir zusammengenommen? Nein, sage ich mir, nicht so viel wie Einer. Und doch ist er ein reicher Mann, und wir sind arme Teufel. Darin steckt keine Moral.“ Er setzte die Mütze wieder auf, riß die Schiebthür vor seiner Hölle seitwärts, warf Kohlen hinein und störte die Gluth auf.

Der lange Abraham bedachte sich. „Das soll alles sein,“ bemerkte er endlich kopfschüttelnd. „Aber ich sage nur das Eine dawider: Keiner von uns kann die Maschinen bezahlen und eine Fabrik bauen, wie der Herr Commerzienrath. Wenn aber Einer das nicht kann, so kann er auch nicht das verdienen, wie der Alte. Und das ist meine Moral.“

„Oho!“ sagte Trimpop eifrig; „das ist nun so eine Ansicht. Ich möchte aber wohl wissen, woher der Alte das Geld genommen hat, um die Fabrik herzustellen und alle Möglichkeiten anzuschaffen. Es giebt Leute, die haben seine Mutter noch gekannt, wie sie hier herum auf die Dörfer ging Gänse kaufen und ihn als Jungen im Korbe auf dem Rücken sitzen gehabt hat. Ausgenommen ein paar lumpige hundert Thaler hat er alles von den Arbeitern verdient, und je mehr er verdient hat, desto mehr hat er angeschafft und desto mehr Arbeiter konnte er gebrauchen.“

Das stille Läuten einer Glocke unterbrach ihn, aber er machte eine unwillig abwehrende Bewegung und fuhr rascher fort: „Ich arbeite jetzt an die fünfzehn Jahre bei ihm; zu Anfang war er noch nicht fromm wie nachher. Ich will nun annehmen, daß er jedes Jahr hundert Arbeiter gehabt hat, und zwanzigtausend Thaler hat er doch jedes Jahr verdient; das giebt pro Mann zweihundert Thaler, macht gering gerechnet auf die fünfzehn Jahre dreitausend Thaler, was er mir schuldig –“

Das 'ist' blieb ihm in der Kehle stecken, denn die Thür vom Gange her öffnete sich, und Abraham Fenner ließ die Schaufel fallen und stammelte. „Guten Morgen, Herr Commerzienrath!“ Auf der Schwelle stand ein kleiner, schmächtiger, schon stark ergrauter Herr in schwarzem Anzuge und blickte sie mit ernsthaft strafenden Augen an. Ein paar modische Vatermörder, welche aus einer hohen, steifen Binde hervorwuchsen, rahmten das gelblich blasse, magere, völlig glatte Gesicht ein. Er stand in gebückter Haltung, und seine Hände schlossen sich um ein dickes Buch.

Das war der „Alte“, wie die Leute ihn nannten, der Commerzienrath, der Chef der Firma Seyboldt und Compagnie.

„Wir wollten eben gehen, Herr Commerzienrath,“ sagte Trimpop eilig, der sich wieder gefaßt hatte.

„Es wird Zeit, daß Er das Schwatzen läßt,“ war die scharfe Antwort. „Fenner, ich höre von Herrn Doctor Urban, daß es mit dem Arme Seines Neffen Zillesen besser geht, und der Herr Pastor rühmt seine Gottergebenheit in dem Leiden, welches sein leichtsinniges Umgehen mit der Maschine ihm bereitet hat. Nachher kann Er in das Comptoir gehen und sich Zillesen's Wochenlohn auszahlen lassen, und dann wende Er sich an das Fräulein von der Herberge oder an meine Tochter; man wird Ihm drüben etwas zur Stärkung für den jungen Menschen reichen.“

„Gottes Lohn, Herr Commerzienrath!“ sagte gerührt der lange Abraham.

„Der Gottesfürchtige ist nie ohne Freunde, merke Er sich das, Fenner.“ Und mit den Mienen eines vollkommenen Selbstherrschers drehte sich der Fabrikherr in der Thür um und stieg in die oberen Fabrikräume hinauf. Die beiden Heizer folgten ihm.

Das Fabrikpersonal war in einem Saale versammelt, und die Beiden mischten sich nach ihrem Eintritt rasch unter die Uebrigen, denn der Commerzienrath stand schon auf seinem Katheder, hatte sein Buch aufschlagen und überflog mit ein paar heimlichen Blicken die Versammlung. Es waren zumeist Männer in der blauen Blouse; weiter hinten standen auch Frauen und Mädchen.

„Alleluja!“ begann der Fabrikherr mit trocknem Tone. „Wohl dem, der den Herrn fürchtet, der große Lust hat zu seinen Geboten! Deß Nachkommenschaft wird gewaltig sein auf Erden; das Geschlecht der Frommen wird gesegnet sein. Reichthum und die Fülle wird in ihrem Hause sein, und ihre Gerechtigkeit bleibet ewiglich. Wohl dem, der barmherzig ist und gerne leihet und richtet seine Sache aus, daß er Niemand Unrecht thut, denn er wird ewig bleiben; der Gerechte wird nimmermehr vergessen. Wenn eine Plage kommen will, so fürchtet er sich nicht; sein Herz hofft unverzagt auf den Herrn. Er streuet aus und giebt den Armen; seine Gerechtigkeit bleibt ewiglich; sein Horn wird erhöhet mit Ehren. Der Gottlose“ – hier hob sich die Stimme des Lesenden – „wird es sehen, und es wird ihn verdrießen; seine Zähne wird er zusammenbeißen und vergehen, denn was die Gottlosen gern wollen, das ist verloren. Amen!“

Der Fabrikant richtete sich empor und schwieg einen Moment. Die Blousenmänner vor ihm hatten mit vollkommener Ruhe zugehört, wenige mit dem Ausdrucke wirklicher Andacht im Gesichte, die meisten mit dem Gleichmuthe der Gewöhnung. Nur als der Commerzienrath die letzten Worte mit Betonung sprach, blickte eines und das andre Gesicht empor.

Aber wie ein Schlag ging es durch die Versammlung, als Jener, statt die Leute, wie sonst zumeist nach dem Amen, zu ihrer Arbeit zu entlassen, stehen blieb und wie überlegend in die gegenüberliegende Zimmerecke starrte. Endlich ließ er die Blicke mit Absichtlichkeit da und dort in der Versammlung haften und begann von Neuem zu sprechen.

„Es geht ein finstrer Geist durch unsre Zeit, den Ihr wohl kennen werdet, und es ist meine Pflicht, Euch vor ihm zu warnen. Ein finstrer Geist, ein Geist des Aufruhrs und der frechen Begehrlichkeit. Er schleicht durch die Stätten der Arbeit, welche redlich nährt, und durch die Hütten der Armuth wie ein brüllender Löwe, der sucht, welche er verschlinge. Er verpestet die Seelen, welche ihm verfallen, mit dem Gifthauche der Hölle, denn der Geist ist der Geist des Thieres aus dem Abgrunde. Die ihm angehören, treibt ein Gelüst, zu ernten, was sie nicht gesäet haben, ein Gelüst nach des Nächsten Hab und Gut. Sie schielen wie das wilde Wüstenthier nach Raub, und sie sprechen das Wort Blutvergießen, ohne zu schaudern. Sie sind die Unersättlichen; die Eigel hat zwo Töchter: Bringe her! Bringe her! – wie die Schrift sagt. Nichts ist ihnen mehr heilig, selbst nicht die Krone des Gesalbten auf dem Throne. Sie jauchzen um ein goldenes Kalb, das sie Freiheit und Licht nennen, und binden sich zwiefach mit Ketten der Finsterniß. Ich warne Euch, daß Ihr nicht Raum gebet dem Unheiligen, wie ein Vater seine Kinder warnet. Sollte Jemand unter Euch sein, der getrunken hat von dem Gifte, der reinige sich und lasse ab von seinem Wandel. Denn jene gottlosen Leute werden im Verderben endigen, und der Gerechte fürchtet sie nicht. Sie werden Wind säen und Sturm ernten; denn was die Gottlosen gern wollen, das ist verloren. Amen!“

Es war nicht möglich zu erkennen, welchen Eindruck diese hart und hastig, mit klangloser Stimme gesprochenen Worte auf die Zuhörer machten. Die anfängliche lebhafte Bewegung hatte sich nach den ersten Worten wieder gelegt. Die Männer hielten die Augen zu Boden geschlagen, und wo einer der schmalen, dürftig aussehenden Mädchenköpfe im Hintergrunde sich regte, verrieth er höchstens Gleichgültigkeit und Langeweile. Nur die Blicke des Herrn Bandmüller, welcher allein neben dem Katheder, das Gesicht den Arbeitern zugekehrt, stand, flackerten unruhig und lauernd zwischen den Reihen der Leute umher.

Der Commerzienrath hatte das Buch zugeschlagen und das Katheder verlassen. Ein heftiges Geräusch, das jetzt unter den Männern entstand, veranlasse ihn, sich in der Thür noch einmal umzuwenden. Ein Mann, halb geschoben von den Andern, trat heraus, eine kräftige Figur mit tiefen Brauen und düstern Augen darunter, den dicken Kopf voll kurzen schwarzen Haares.

Bei seinem Anblicke verfinsterte sich das Gesicht des Fabrikherrn. „Was haben Sie noch unter meinen Leuten hier zu schaffen, Herr Kotelmann?“ fuhr er zornig heraus, und sein gelblicher Teint röthete sich ein wenig. „Was thut dieser Mann in meiner Fabrik, Herr Bandmüller?“

Der Letztere zuckte die Achseln: „Ich bemerke ihn diesen Augenblick erst,“ sagte Bandmüller.

„Ich wollte Sie nur fragen, ob ich nicht wieder bleiben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_094.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)