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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

nicht gänzlich verweigern, so hat er doch wenigstens das alte Jahr auf dem Kampfplatze ausgetrotzt, hat er doch erst unter den Klängen der Neujahrsglocken die Hand sinken lassen, um drei Tage später die Waffen ganz zu strecken

Es war um zehn Uhr dreißig Minuten des Vormittags des 4. Januar, daß Commodore Cornelius Vanderbilt seinen letzten Athemzug that. Umringt von einem kleinen Volke von Familienangehörigen, Söhnen, Töchtern, Enkeln und Urenkeln, starb er, nachdem er selbst während der letzten Tage keinen Zweifel mehr genährt hatte, daß es nun keinen Widerstand mehr gebe. Ein außerordentlicher Mann ist mit ihm dahin gegangen und, eng mit ihm verwachsen, ein außerordentlicher Erfolg. Das neuweltliche Dampf-Magnatenthum hat in ihm seinen Typus gefunden. Noch vor fünfzehn Monaten ein Mitglied der großen amerikanischen Krösus-Dreizahl, deren andere Zugehörige William B. Astor und Alexander T. Stewart waren, hat er jetzt, als der Letzte von ihnen, den Schauplatz geräumt. Der Grundbesitz, das kaufmännische Geschäft und der Dampf nebst seiner Filiale, der Börse, waren in dieser Dreizahl verkörpert. Jetzt lebt sie nur noch in der Geschichte, welcher nicht nur die Vollbringungen des Krieges, der Politik, der Kunst und der Wissenschaft, sondern auch die Großthaten des Erwerbes, die Triumphe der Geldmacht angehören.

Astor starb im November 1875, Stewart im April 1876, Vanderbilt im Januar 1877. Alle haben Erben hinterlassen, Keiner einen Erben – wie sehr sie auch, ganz im Widerspruch mit dem demokratischen Geist der socialen und staatlichen Institutionen der Union, letztwillig beflissen gewesen sind, ihre ungeheuren Besitzanhäufungen möglichst unberührt fortbestehen und fortarbeiten zu lassen. Jeder von ihnen war eine Merkwürdigkeit, aber der Letztgestorbene war unbedingt die größte. Astor hatte bereits Millionen und Milliarden von seinem Vater überkommen. Seine ganze Kunst bestand darin, das naturgemäße Wachsthum derselben in jeder Art zu fördern. Er soll darum nicht verkleinert werden. Die Geschichte von der Auflösung und Zerstörung großer Vermögen, welche in ihrer Art nicht minder interessant ist, als jene vom Erwerb der nämlichen Vermögen, lehrt, daß auch dies eine Kunst sei. Aber schließlich ist es doch nur etwas Passives, was wir an den Vertretern dieser Kunst anerkennen. Stewart hingegen war schöpferisch. Aber abgesehen davon, daß er es doch zuvörderst in der mitgebrachten Rüstung einer gründlichen europäischen Geistesbildung war, er war es auch nur auf einem Felde, auf welchem es schon Hunderte und Tausende vor ihm gewesen, aus dem des einfachen Umsatzgeschäftes von Waaren. Vanderbilt war ein Schöpfer im ganzen Sinne des Wortes. Ein physisches Meisterstück der Natur, begann er mit nichts, als mit der Kraft von ein paar jugendlichen Athletenarmen und einem Gehirn, das groß genug war, sich selbst zu schulen. Aber eine Elementarkraft, wie er war, schloß er ein Bündniß mit der großen elementaren Neuerung seiner, unserer Zeit, mit dem Dampf und wuchs mit ihm und in ihn hinein. Was Wunder, daß er auch mit Dampf wuchs und daß derselbe Mann, der als junger Bursche auf kleinem Nachen einzelne Passagiere zwischen Staten-Island und New-York beförderte, als Mann und Greis auf seinen Dampfern und Bahnlinien tagtäglich Tausende „über des Meeres und der Länder weiteste Strecken“ sendete! Was Wunder, daß jetzt selbst die vorsichtigsten Schätzer seiner Schätze den Enthisiasten, welche durchaus von einem Nachlaß von hundert Millionen phantasiren wollen, doch mindestens deren achtzig zugestehen müssen!

Der Dampf war wie gemacht für Cornelius Vanderbilt und er wie gemacht für den Dampf. Er wußte Alles von ihm. Von der Pike auf hatte er sich in seinem Dienst empor gearbeitet. Er verstand es aber ebenso gut, einen Kessel zu heizen, wie eine Steamerflotte zu commandiren, und unter seinen Locomotiven war er zu Hause, wie in der Wallstreet, dem großen Börsen-Zauberdistricte New-Yorks. Als Dampfbootscapitain begann er den großen Abschnitt seiner Laufbahn. Als Eisenbahnmonarch schloß er ihn ab. Zu Meer und zu Land ist er selbstherrlich gewesen. Auf jenem hat er im Ganzen achtunddreißig Dampfer gebaut und commandirt. Daher sein Titel „Commodore“. Auf diesem nannte er – ohne besondern Titel zu führen – im Augenblicke, da er starb, das stolzeste Eisenbahneigenthum sein, welches je einem einzelnen Manne geeignet hat. Dabei ist es das beste und solideste im ganzen Bereiche der Vereinigten Staaten.[1]

Achtzig Millionen Dollars – die Summe der Arbeit eines einzigen Menschenlebens! Freilich eines Menschenlebens, das weit das Doppelte von dem umfaßte, was man gewöhnlich ein Menschenleben nennt. Von seinem sechszehnten Jahre an hat Vanderbilt auf eigne Faust, von seinem achtzehnten an mit eigenem Capitale gearbeitet. Seine ersten tausend Dollars verdiente er mit zwei Kähnen, die er selber über die Bay von New-York ruderte, die ersten Dreißigtausend als Capitain der Jerseydampferlinie. Das Alles noch im ersten Viertel dieses Jahrhunderts. Dann führte er eigne Schiffe. Sein erstes Debut in Eisenbahnactien in Wallstreet datirt kaum noch in die erste Hälfte unseres Jahrhunderts zurück. Aber wie schnell reckte sich der Debutant auch hier zum ersten Helden, zum Löwen empor, neben dem alles Andre zur Katze herabsank! Seitdem wuchs sein Vermögen in jeder Stunde – und jetzt, da er gestorben, streiten sie sich, wie gesagt, darum, ob es hundert Millionen waren, welche der Name Cornelius Vanderbilt in der letzten Stunde seines Trägers repräsentierte, oder nur – achtzig Millionen.

Cornelius Vanderbilt ist zweiundachtzig Jahre, sieben Monate und acht Tage alt geworden. Langlebigkeit und reckenhafte Körperartung sind in seiner von Holland herstammenden Familie erblich. Der Vater war Farmer auf dem die innere Bay von New-York gegen den Ocean abschließenden Staten-Island, und dort, in der Nähe von Stapleton, wurde am 27. Mai 1794 der nachmalige Commodore geboren. Für seine Erziehung war nur wenig, wenn überhaupt etwas geschehen, als er, noch im frühesten Jünglingsalter den Kampf mit dem Leben aufnehmend, jenes berühmte Fährboot zwischen Staten-Island und New-York hin und her zu rudern begann, dessen Preis – hundert Dollars – er durch Bestellung eines Ackerfeldes von seiner Mutter verdient hatte. Es war das im Jahre 1810, und der junge Vanderbilt war es, der die erste regelmäßige Verbindung zwischen der Manhattan-[2] und der fernabliegenden Staten-Insel herstellte, welche jetzt durch eine zweifache Linie mächtiger Dampffähren zu Stadt und Vorstadt gemacht worden sind. Während des Krieges mit England, 1812, betrieb er sein Geschäft bereits auf größerm Fuße. Er besaß zwei Pyroguen – bekanntlich aus einem ausgehöhlten Baumstamme bestehende Indianerkähne - und einen Antheil an einem dritten solchen Fahrzeuge, sodaß er bei dem damaligen Weltverkehr auf der Bay von New-York schon in jener Zeit eine Art Größe auf ihren Gewässern war. 1813 heirathete der Neunzehnjährige seine um ein Jahr jüngere Base Sophy G. Johnson von Port Richmond auf Staten-Island. Bis vor acht Jahren war sie die Genossin seines Lebens und in früheren Jahren die kräftigste Stütze seiner Unternehmungen und Vollbringungen. Sie hat ihm dreizehn Kinder geboren, neun Töchter und vier Söhne, und als sie ihm nach nahezu fünfundfünfzigjähriger Ehe starb, konnte er wohl sagen, daß dies der herbste Schlag seines Lebens gewesen.

Die kleine Boots-Flotte, die Vanderbilt im Jahre 1813 besaß, vermehrte sich rasch. Als er dreiundzwanzig Jahre zählte, nannte er bereits ein Vermögen von neuntausend Dollars – zu jenen Zeiten ein ungleich größerer Besitz, als diese Summe heutigen Tages ist – sein eigen. Mit dem Dampfe, seinem großen Lebens-Verbündeten, kam er zuerst 1817 in Beziehung. Es war Thomas Gibbons von New-York, welchem er bei dem Baue des ersten Flußdampfers half, der zwischen New-York und New-Brunswick im Staate New-Jersey den Raritan-Fluß befuhr und von dem er mit einem Jahresgehalt von tausend Dollars als

Capitain angestellt wurde. Bald wurde aus dem einen Dampfer eine ganze Dampferlinie, über welche sieben Jahre später Vanderbilt bereits als Hauptinteressent neben Gibbons gebot. Und in dieser Eigenschaft focht er auch seinen ersten großen Concurrenzkrieg. Er war gegen das mit einem Privilegium in den New-Yorker Gewässern ausgerüstete Unternehmen der Livingstone-Fulton-Compagnie gerichtet und ging durch alle Gerichtsinstanzen, um 1824 mit einem glänzenden Siege Vanderbilt’s zu enden.

  1. Es besteht vornehmlich aus den beiden sich aneinander anschließenden Linien der Hudson-River- und der New-Vork-Centralbahn. Diese Linien bilden den nördlichsten der vier großen Schienenwege, die den Westen der Mississippi-Regionen mit der atlantischen Küste verbinden. Soweit Vanderbilt’s Besitz an ihnen in Betracht kommt, werden sie allein auf vierzig Millionen Dollars taxirt.
  2. New-York.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_101.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)