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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

„es war nicht das Streben in meiner Seele, was ich jetzt habe, dieses mächtige Gefühl, für Dich, für Dein Glück zu leben.“

In Lottchens Briefen tritt ebensowohl jener wunderbare seelische Rapport, jenes Nahgefühl der Seelen, jener Magnetismus der Herzen zu Tage wie jenes schmiegsame Hinaufranken an die hier wirkliche, sonst oft nur geträumte Größe des geliebten Mannes. „In jedem Augenblicke fühlte meine Seele Sehnsucht nach Dir, und nur Du bist mir gegenwärtig. … Mir deucht, Du wärest um mich und Du sähest mich überall. Nur dann ist mir wohl, wenn ich mir Dich denken kann, wenn Dein Bild vor mir schwebt. … Es giebt keine Entfernung für Seelen, die sich lieben. Ich fühle es klar, Du bist mir immer nahe. Oft ist mir der Gedanke so auffallend, daß ich Dich nicht sehe und doch Deine Nähe fühle. … Lieber, ich kann Dir so wenig sagen, wie lieb Du mir bist. Meine Seele umschließt Dich – fühle ihre Nähe in diesem Momente!“

„Reich in Deinem Geiste, wird der meine sich freuen dem Fluge des Deinen zu folgen, und in Deinem und meinem Herzen wird ewiger Frühling der Liebe uns blühen.“

Da fehlt auch nicht jener engumschränkte Egoismus der Liebe, der eine eigene Welt von Zweien sich aufbaut und an die ganze übrige Menschheit sich nicht kehrt, ja ihr stolzesfroh und selbstgenug den Rücken kehrt. „Ich vergesse die Welt ganz, wenn ich bei Dir bin, und wir brauchen nichts außer uns.“

Da fehlt auch nicht jene demüthige Selbstverkleinerung, welche in die Hochfluth der Freude einen Tropfen Wehrmuth mischt. „Wirst Du mich auch immer so finden, wie mein Wesen in Deiner Seele steht? Könntest Du Dir nicht zu hohe Begriffe von mir machen? Kann ich Dir auch wirklich so, wie meine warme Liebe zu Dir es möchte, Dein Leben verschönern helfen?“

Aber diese Liebe dringt auch vor bis zu jenem äußersten Höhepunkte, bis zu dem Gefühle der selbstlosen Hingabe des eigenen Lebens als Preis für das Glück des Geliebten. „Ich könnte mein eigenes Glück aufopfern, nur um Dich glücklich zu machen, Dir ein schönes ungestörtes Leben zu schaffen, wenn Du es ohne meine Liebe mehr sein könntest. Dein Glück, Deine Ruhe sind mir das Heiligste, was ich kenne.“

Um das vorgenommene Ziel des harmonischen Ineinanderlebens zu erreichen, giebt sie dem Geliebten eine Selbstkritik ihres Charakters, ihres inneren Wesens. Gern folgt sie ihm auf dem von ihm selbst vorgezeichneten Pfade philosophischer Selbsterkenntniß; deckt mit rückhaltloser Offenheit die Schwächen ihres Charakters auf, erklärt auch den Schein von Kälte und Verschlossenheit, in welchem sie dem Geliebten lange Zeit erschienen, und schließt mit dem Gelöbniß: „Auch in Dein Herz, Geliebter, will ich die geheimsten Gefühle meiner Seele legen, Dir jede Empfindung mittheilen.“

Im scharfen Gegensatze zu der heitern Ruhe Lottchens weckt die Offenbarung der Liebe in Schiller’s brausender Dichterseele eine wilde Unruhe, die sich einerseits in dithyrambischen Ausbrüchen gefällt, andererseits in erneuter Sehnsucht nach dem thatsächlichen Besitze der Geliebten, in lauter Klage über die Unsicherheit des Zeitpunktes der Vereinigung. „Es können darüber ja noch Jahre vergehen. Ungeduldig strebt meine Seele Alles zu vollenden, was noch nicht vollendet ist. Du siehst ruhig der Zukunft entgegen – das vermag ich nicht,“ schreibt er schon in den ersten Tagen nach, der Lauchstädter Erklärung. Da aber, wo das Gefühl seiner Liebe hervorbricht, umkleidet er es mit dem ganzen hohen Pathos, das ihn kennzeichnet. „In einer schönen Welt schwebt meine Seele, seitdem Du die Deine mir entgegenträgst. Du mußt sie mir erzählen, die Geschichte unserer werdenden Liebe … sie muß hinter sich wie vor sich Ewigkeit sehen. … Ich habe nie so frei und kühn die Gedankenwelt durchschwärmen können als jetzt, da meine Seele ein Eigenthum hat und nicht mehr Gefahr laufen kann, sich selbst zu verlieren. Ich weiß, wo ich mich immer wiederfinde.“

Dann wieder bringt er ihr die ganze Wahrheit und Offenheit seines Wesens vertrauend entgegen und heischt von ihr das Gleiche. Nie soll sie von andern Menschen erst erfragen wollen, ob sie glücklich sei durch ihn; ihm gegenüber soll sie es bei sich selber entscheiden; von ihm allein soll sie es erfahren, nie einen Dritten sich zwischen ihn und sich drängen lassen. Er soll ihr erstes Vertrauen haben, ihre erste Instanz sein. In dieser Hingebung, in diesem unmittelbaren Vertrauen findet er die nothwendige Bedingung ihres künftigen Glücks. „Die höchste Annäherung, welche möglich ist zwischen zwei Wesen, ist die schnelle ununterbrochene liebevolle Wahrheit gegeneinander. … Deine Seele muß sich in allen Gestalten vor mir verklären.“

Auf ihre zagende Selbstverkleinerung erklärt er: „Deine Liebe ist Alles, was Du brauchst, und diese will ich Dir leicht machen durch die meinige. “

Auch er legt frei und offen sein inneres Wesen mit all den ihm anwohnenden Schwächen bloß.

„Bereite Dich, edles Geschöpf, in mir nichts zu finden als die Kraft zum Vortrefflichen und einen begeisterten Willen, es zu üben. Deine schöne Seele will ich auffassen, Deine schönen Empfindungen verstehen und erwidern, aber ein Mißton in der meinigen muß Dich weder betrüben noch befremden. Glaube alsdann aber fest, daß diese fremden Gestalten meines Gemüths von außen herein gekommen sind. Bei allen meinen Mängeln wirst Du das immer finden, was Du einmal in mir liebst. Meine Liebe wirst Du in mir lieben.“

Und Caroline?

Man sollte wohl meinen, daß nach der Liebeserklärung Schiller’s gegen die Schwester sie nunmehr ganz in den Hintergrund gedrängt würde, daß sie sich scheide aus dem Dreibunde der Geister und Herzen. Mit nichten. In dem ganzen Entwickelungsprocesse seiner Liebe zu Lotten war sie ein viel zu wichtiger, fast unentbehrlicher Factor gewesen, sie war ihm schon zuviel geworden, als daß er sie hätte aufgeben und scheiden sehen können. Er hatte es wohl herausgefühlt, daß sie in der Hervorlockung des Geständnisses der Schwester das beste Theil ihres eignen Herzens geopfert hatte, und er mochte diese Großmuth nicht mit voller Gleichgültigkeit vergelten. Er glaubte, diese seither gleichsam nur ideell verfolgte Herzensgemeinschaft könne auch da noch bestehen, wo seine Liebe zu Lottchen bereits zur Realität geworden war. Auch jener glaubte er eine reale Basis verleihen zu können; er glaubte das Problem der sagenhaften Doppelehe des Grafen von Gleichen, um den Vergleich eines geistreichen Interpreten dieses Verhältnisses anzuwenden, in idealer Form wirklich durchführen zu können. Folgen wir ihm auf dieser fast Schwindel erregenden Bahn!

Die Doppelliebe und ihr Wesen.

Schon unter’m 23. August. 1787, also unmittelbar nach der Lauchstädter Erklärung, schreibt er Carolinen auf deren leider nicht mehr vorhandenen, jedenfalls hochbedeutungsvollen Brief: „Dein Brief, theuerste, liebste Caroline, hat mich tief ergriffen und bewegt, und ich weiß nicht, ob ich Dir sogleich darauf etwas beantworten kann, aber vor meiner Seele steht es verklärt und helle, welcher Himmel in der Deinigen mir bereitet liegt. O was für himmlisch schöne Tage eröffnen sich uns! In mir lebt kein Wunsch, den meine Lotte und Caroline nicht unerschöpflich befriedigen können. Und wohl mir, Theuerste meiner Seele, wenn Ihr in mir findet, was Euch glücklich macht!“

Das Du verschwindet fast ganz aus den Briefen, um dem dualistischen Ihr Platz zu machen, selbst in den glühendsten Ergüssen.

Das heißt es: „Wie so anders ist Alles um mich her, seitdem mir auf jedem Schritte meines Leben nur Euer Bild begegnet! Wie eine Glorie schwebt Eure Liebe um mich, wie ein schöner Duft hat sie die ganze Natur verkleidet. Die Erinnerung an Euch führt mich auf Alles, weil Alles wieder mich an Euch erinnert.“ Und dann wieder: „Ja, eine schöne Harmonie soll unser Leben sein, und mit immer neuen Freuden sollen sich unsere Herzen überraschen. Unerschöpflich ist in ihren Gestalten die Liebe, und die unserige glüht in dem ewig schönen Feuer einer immer mehr sich veredelnden Seele. O, es ist jetzt das einzige Glück meines Lebens, daß Ihr mich in einem Herzen der Liebe tragt. Nur in Euch zu leben und Ihr in mir, o das ist ein Dasein, das uns über alle Menschen um uns hinwegrücken wird.“

Diese Gemeinschaft erstreckt sich sogar bis auf jene Vorrechte, welche Lottchen, die Braut, wohl für sich allein hätte beanspruchen können, auf Umarmung und Kuß, wenn anders die betreffenden Stellen nicht als bloße kühne Metaphern gelten sollen.

Die ausschweifende Einbildungskraft des Dichters sieht hie dreifache Seelengemeinschaft auch in der Zukunft gesichert, ergeht sich in dem Gedanken eines realen Besitzes. „Wäret Ihr schon

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_116.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)