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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


„Aber wie seltsam, Karl, daß die Warnung Urban’s Recht hatte! Woher wußte der Doctor von dem Verdacht, den man auf mich geworfen?“

Der Pascha wandte sich ab und machte einen Gang durch's Zimmer. „Heinrich, Heinrich,“ murmelte er, „ich fürchte, Du hast ein unwürdiges Spiel gespielt. Es wäre mir leid um Dich, mein Bruder Jonathan.“ Er ging wieder zu Zehren. „Hüte Dich vor Urban! Ein Freund,“ schrieb er auf die Tafel.

„Warum?“ fragte Zehren, rasch aufsehend.

Der getreue Eckard vor ihm zauderte ein wenig, aber er antwortete endlich doch. „Ich glaube, daß er Dich als Nebenbuhler haßt. Er ist Manns genug, um Dir böse Verlegenheiten zu bereiten, wenn er will.“

Der Fabrikant starrte Karl Hornemann wie einen Geist an, und sein Gesicht überfluthete eine jähe Röthe. „Liebt ihn Emilie etwa?“ fragte er, und in seiner Stimme zitterte etwas wie tiefe, mühsam verhaltene Angst.

Der Andere nickte ernst.

„Großer Gott, und davon weiß ich nichts? Davon habt Ihr mir nie etwas gesagt, nicht Du, noch Deine Mutter? O, nun verstehe ich Alles, Alles! Darum also der leidenschaftliche Abscheu, die Flucht vor mir und die verweinten Augen. Ja, darum! Ich bin zu spät gekommen, und es giebt kein Mittel, um mein Glück wieder einzuholen. Ich bin der Mehlthau, wie es scheint, der in ihre Liebe gefallen ist, denn Deine Mutter begünstigt mich, Karl – das weiß ich.“

„Laß mich allein, Karl! Ich bitte Dich,“ fuhr er fort, während er, die geballten Hände fest auf die Kniee gestemmt, mit trüben Augen vor sich hinstarrte. „Bei Gott, ich will sie nicht unglücklich machen; sie ist zu schön dazu; sage ihr das – hörst Du? Ich will Alles begraben und sie, soweit es an mir liegt, nicht wiedersehen, bis ich weiß, daß sie glücklich ist, so glücklich, wie ich sie gern gemacht hätte. Ich würde sie gehalten haben wie eine Fürstin, wem ich ihr dafür nur dann und wann die weichen Hände hätte küssen dürfen und einen gnädigen Blick aus ihren stolzen Augen erhalten hätte. Ich habe sie sehr lieb, Karl, sehr lieb. Und nun darf ich es nicht mehr.“

Karl Hornemann sah erschüttert zu dem armen Manne da vor ihm auf der Pritsche nieder und schwieg eine Weile.

„Geh' fort, Karl, thu' mir die Liebe! Frage Deine Schwester, ob ich zu Euch kommen darf, um Deiner Mutter reinen Wein einzuschenken, und ob sie mich an diesem Tage freundlich behandeln will. Ich möchte so gern einmal empfinden, wie es einem Menschen zu Muthe ist, dem die Sonne scheint. Ich freue mich, daß ich diesem Donner zwei leere Tage verdanke, die ich mit mir selber ausfüllen kann. Ich habe sie sehr, sehr nöthig.“

Der Pascha setzte sich einen Moment zu ihm, und die beiden Männer sahen sich in die Augen, als ob ihre Seelen sich berühren wollten. Hornemann ergriff endlich die Hand des unglücklichen Freundes und drückte sie warm. „Edler, wackerer Mensch,“ sprach er für sich, „Dein Entsagen wird nichts bessern, fürchte ich.“ Er nahm die Tafel, die zwischen ihnen Beiden lag, und schrieb:

„Die Liebe meiner Schwester und des Doctors ist hoffnungslos; dies ist meine Ueberzeugung. Urban ist meiner Mutter persönlich antipathisch.“

„Ich werde das Meinige thun,“ sagte Zehren mit gehobener Stimme; „sie soll aufhören, mich zu hassen, und ich werde glücklich sein, wenn sie anfangen wird mich zu bemitleiden. Leb' wohl, Karl!“

Er rief den Scheidenden noch einmal zurück. „Wirf einen Blick in die Fabrik, Lieber! Es ist Zahltag heute.“

Der Pascha traf im Hausflur auf den Schließer, der mit dem klirrenden Schlüsselbunde auf und nieder ging. „Schließen Sie den Gefangenen ein, Mann, und gedenken Sie meiner Vollmacht, wenn ich wiederkommen sollte!“




9.


Ein paar Tage waren in's Land gegangen.

Der Nachmittag brütete heiß über der Stadt, die weißlichen Straßen flimmerten blendend wie die Salzsteppen einer Wüste, und die schweren Pferde vor den Lastwagen und Karren zogen keuchend durch die Gluth. Wer genöthigt war, draußen zu gehen, suchte ängstlich jeden Fuß breit von dem bläulicher Häuserschatten zu benutzen, der doch heute nur wenig Erquickliches hatte.

Der Doctor Urban stand in seiner Wohnung und hantirte vor einem Koffer, mit dessen Füllung er beschäftigt war. Die Marquisen vor den Fenstern waren heruntergelassen; die Fensterflügel klafften weit auf; trotzdem war es schwül im Zimmer, und auf der hellen Stirn des jungen Mannes, der sich des Rockes entledigt hatte und bequem in Hemdsärmeln dastand, perlte der Schweiß in feinen Tropfen. Er war ganz in seine Arbeit versunken und pfiff nur mechanisch dabei leise durch die Zähne. Der Grund des Koffers zeigte bereits verpackte Wäsche und wenige Toilettengegenstände; ein schwarzer Anzug mit Frack hing über einem lederbezogenen Drehsessel ohne Lehne, welcher vor dem mit Büchern und Scripturen in ziemlichem Durcheinander bedeckten Schreibtische stand. Ueber letzterm glänzte von einer breiten Console hernieder das sanfte Antlitz der mediceischen Venus in Gipsnachbildung; sonst hingen an den Wänden allenthalben Silhouetten und lithographirte Portraits, deren Besitz ersichtlichermaßen aus der Studienzeit Urban's datirte. Auf der Venus lag Staub; das ganze Zimmer entbehrte der ordnenden weiblichen Hand.

Urban warf eben einen prüfenden Blick in den Koffer und drückte dann ein Stück des Anzuges nach dem andern, oberflächlich zusammengelegt, in das Behältniß. Es störte ihn nicht, daß die Hausthür ging und daß Jemand in sein Vorzimmer trat; erst als der Ankömmling nach kurzem Klopfen ohne Umstände die Zimmerthür öffnete, blickte er auf.

Der Besucher war Karl Hornemann.

„Du bist ja schon beim Einpacken, Heinrich,“ sagte der Pascha, dem Fremde die Hand reichend, wobei in einer langen Außentasche des Rockes ein Klappern wie von aneinander schlagendem Glase erscholl. „Ich habe Dich ja eine ganz ungewöhnlich lange Zeit nicht zu Gesicht bekommen und erst durch die Zeitung erfahren müssen, daß Du verreisen willst.“

„Ich war schon einige Tage verreist, freilich nur in die Nachbarschaft,“ meinte der Arzt mit gleichmüthigem Tone. „Nimm auf dem Sopha Platz, Pascha! Man consultirte mich wegen eines schwierigen Falles und hielt mich dann fest. Gestern Abend war ich einen Augenblick im Wiedenhofe, um Dich zu suchen, aber es hieß, Du wärst schon in Deine Wohnung hinüber gegangen. Kommst Du auf Veranlassung der Karte, die ich für Dich zurückließ?“

Der Pascha nickte und ging zum Sopha. „Aber wohin willst Du eigentlich jetzt reisen? So plötzlich?“

„Familienangelegenheiten,“ erwiderte Urban, ohne herüber zu sehen. „Ich werde meiner guten Vaterstadt Mainz einen Besuch abstatten. Inzwischen sind ja hier saubere Dinge passirt!“

„Du meinst Zehren’s Verhaftung?“ sprach Hornemann, indem er einen kurzen prüfenden Seitenblick des Doctors auffing.

„Ist denn die Sache nun völlig beigelegt?“

„Wenigstens hat der Instructionsrichter seine sofortige Freilassung verfügt.“

„Man fabelt bereits, er wäre in’s Ausland geflüchtet.“

„Hast Du auch von dem albernen Gewäsch gehört? Zehren ist allerdings sofort nach seiner Freilassung abgereist, aber in einer geschäftlichen Veranlassung. Du weißt so gut wie ich, daß er – leider – keinen politischen Proceß zu fürchten hat.“

Urban zuckte die Achseln und bückte sich dann, um die Lederriemen des Koffers durch die Schnallen zu ziehen „Wer kann das behaupten?“

„Hast Du etwa Gründe zu zweifeln? Und sind es vielleicht die nämlichen, welche Dich veranlaßten, ihm jene Uriaswarnung auf die Tafel zu schreiben?“ Die Schärfe, mit der Hornemann dies sagte, änderte nichts an der Haltung des Doctors.

„Mein Himmel, wenn Du sie einmal kennst, wirst Du auch wissen, unter welchen Umständen ich sie schrieb. Ich war erregt und wollte ihn etwas ängstigen; es war so ein Einfall. Wie konnte ich vermuthen, daß das Allerunwahrscheinlichste geschehen und Donner die Worte lesen würde? Ich denke, Du wirst das einsehen, Pascha. Wundere Dich nicht, daß ich die Ursache kenne, weshalb diese Spürnase den ganzen Lärm angezettelt hat; ich traf Donner kurz vor meiner Abreise, als Zehren noch im Käfig saß, und er war in voller Wuth, denn er hatte eben wieder

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