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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


geringe Entzündungsröthe breitet sich weiter aus und ergreift schließlich bei sehr reizbarer Haut den ganzen Oberarm; 2) die Impfstellen fließen, besonders wenn vermittelst langer Querschnitte geimpft wurde, bei scrophulösen, blutarmen Kindern zu einem unter Umständen thalergroßen, langsam heilenden Geschwüre zusammen. An dieser verderblichen Ausdehnung, welche der sonst so gutartige Proceß gewinnt, trägt aber nicht die Impfung, sondern allein das nicht rechtzeitige Einschreiten von Seiten der Mutter die Schuld. Schon vom Beginne an ist das beliebte Bedecken der Impfpusteln mit Fett oder Hirschtalg streng zu verwerfen. Im Sommer zersetzen sich die Fette rasch zu riechenden gährenden Stoffen, welche die wunde Stelle nur reizen und entzünden. Es muß dem Fette eine die Zersetzung hindernde Substanz beigesetzt werden, am besten Carbolsäure (ein halbes Gramm Carbolsäure aus dreißig Gramm Fett). Mit dieser Salbe wird vom dritten Tage an das zweimal täglich zu erneuernde Leinwandstückchen dünn bestrichen, darüber eine leinene Binde nicht zu fest gebunden und, um jede Reibung zu verhindern, der Arm mit unter dem Kleid befestigt. Sollte sich dennoch die Entzündungsröthe oder Eiterung steigern, so bringen kalte Umschläge, wenn möglich mit Eis gemischt (Servietten in das Wasser getaucht, ausgedrückt, um den Arm geschlungen, mit einem wollenen Tuche bedeckt und höchstens eine Viertelstunde liegen gelassene dieselben binnen Kurzem zum Stillstande. Selten entwickeln sich gleiche Impfpusteln wie am Arme auch an anderen Körperstellen, sie gelangen gleich diesen gefahrlos zur Abheilung.

Ungerechtfertigt ist die Furcht so mancher Mutter vor dem Abimpfen; die Oberfläche der Pustel, ein todtes Stückchen Haut, wird nur angestochen; der Inhalt tritt von selbst heraus, ohne den geringsten Nachtheil oder Schmerz für das abgeimpfte Kind hervorzurufen. Leider herrscht aber heute die Ansicht, die Impfung habe den schlechten Zustand unserer Generation verschuldet; man bedenkt nicht, daß die angeborenen Körperstörungen, wie Scrophulose und englische Krankheit, sich erst nach dem ersten Jahre offenbaren, und eine unparteiische Beobachtung zeigt genügend andere, freilich für die Eltern nicht so schmeichelhafte Entstehungsursachen wie die Impfung. Der Arzt möchte verzweifeln, wenn eine vollständig scrophulöse Mutter ihm ihr augenkrankes Kind mit den Worten bringt. „Sehen Sie, Herr Doctor, das kommt nur vom Impfen.“

Vor Kurzem verschoben wir die Impfung eines Kindes wegen eines anhaltenden Hustens. Zufällig entwickelte sich bei dem bis dahin vollständig gesunden Knaben (Vater aber schwindsüchtig) gerade unterhalb der Impfstelle am Arme eine scrophulöse Drüseneiterung, welche sogar die Mutter zu dem Ausspruche veranlaßt: „Wie gut, daß Sie ihn nicht impften! Ich hätte sicher nur hierin den Grund der Erkrankung gesucht.“ Die „Gartenlaube“ hat nicht die Pflicht, wie immer noch Anfragen fordern, die Scheingründe der Impfgegner zu besprechen. Dagegen möchten wir die Letzteren bitten, vorurtheilsfreier als zeither in manchen Fragen der Medicin zu urtheilen und vor allem endlich die Spitzpocken von ihrer Pockenstatistik auszuschließen. Gegen letztere übrigens ungefährliche Kinderkrankheit, welche, wie jetzt wissenschaftlich feststeht, nichts anderes mit den Pocken gemein hat, als eine oft sehr große Aehnlichkeit, kann die Impfung ebenso wenig schützen, wie gegen Masern und Scharlach. Im Interesse der Impfung ist es aber dringend wünschenswert, die oben beschriebenen Abweichungen dadurch zu vermeiden, daß:

a. entweder in den Impflocalen gedruckte Verhaltungsmaßregeln ausliegen oder der Impfling, weil ein richtiges Verständniß solcher Verordnungen oft einige Schwierigkeit verursacht, noch zu einer kurzen dritten Besichtigung bestellt wird;

b. man sich an Stelle der immer noch vielfach üblichen langen Querschnitte überall kurzer, vollständig gefahrloser Längsschnittchen bediene.

Dr. -a-.






Johannes Scherr als Novellist. Wer Johannes Scherr bisher nur aus seinen zahlreichen Leistungen aus dem historischen, politischen und literarisch-historischen Gebiete kennen gelernt hat, der wird bei einigem Blicke für schriftstellerische Begabungen wohl längst erkannt oder herausgefunden haben, daß in der blutwarmen Eigenartigkeit dieses hervorragenden Geschichtsschreibers, dieses tapfern Kritikers und Publicisten auch das volle Zeug zu einem Poeten steckt. So scharf und lebendig finden sich in den Producten seiner wissenschaftlichen Arbeit schon alle die Züge ausgeprägt, deren Vereinigung auch das Talent des wirksamen dichterischen Schilderers, des eindrucksvollen Romanschriftstellers und Novellisten bildet. In der That hat denn auch Scherr auf dem Felde des freien poetischen Gestaltens sich hinlänglich bewährt und im Laufe der Jahre unsere novellistische Literatur mit einer ganzen Reihe werthvoller und anziehender Schöpfungen bereichert, die schon durch seine gedankenreiche Weltanschauung und umfassende Bildungstiefe sich empfehlen, welche zu allen Zeiten die unentbehrliche Grundlage auch alles bedeutsamen dichterischen Schaffens gewesen ist. Die Bücher haben aber ihre Geschicke wie die Menschen, und trotz aller nachdrücklichen Hinweisungen der Presse ließen manche äußerliche Zufälligkeiten die Erzählungen des beliebten Autors nicht zu einer so weiten Verbreitung gelangen, wie sie der Mehrzahl seiner anderweitigen Schriften geworden ist. Wir haben jedoch allen Grund zu der Hoffnung, daß dieser Bann sich jetzt lösen wird, seitdem eine tätige Hand (die Verlagshandlung von J. E. Günther in Leipzig) der Sache sich angenommen und eine Nebeneinanderstellung jener Schätze dem Publicum zu bequemerem Genusse dargeboten hat.

Vor uns liegen zu unserer Freude neun elegant gebundene und hübsch ausgestattete Bände dieser Sammlung Scherr’scher Novellen, eine bunte Mannigfaltigkeit von Gaben, nicht gleichartig allerdings in Bezug aus ihren Werth, hie und da auch unserer eigenen Auffassungs- und Empfindungsweise nicht entsprechend, meistens aber Erzeugnisse einer mächtigen Darstellungskraft, fesselnd durch Form und Gehalt, durchwärmt auch von dem mannhaften Ernst, dem reichen Gemüthsleben und dem urkräftig-drastischen Humor des charaktervollen Denkers und Dichters. Da ist zunächst „Michel, Geschichte eines Deutschen unserer Zeit,“ unter den Romanwerken Scherr’s wohl das älteste und am meisten bekannt gewordene, da es jetzt bereits in dritter Auflage erscheint. Wir müssen davon absehen, die sittliche und literarisch-ästhetische Bedeutung dieses vielseitigen Lebensgemäldes hier mit einigen Strichen bezeichnen zu wollen, gewiß aber würde es uns als ein Fortschritt in den Geschmacksrichtungen des Publicums erscheinen wenn für derartige Lectüre eine immer größere Empfänglichkeit sich zeigte. An den „Michel“ schließt sich sodann das siebenbändige „Novellenbuch“, dessen Stütze gleichfalls eine Perle Scherr’scher Darstellungskunst bildet, eine zweite Auflage der in urtheilsfähigen Kreisen längst hochgeschätzten culturgeschichtlichen Novelle „Schiller“ , so recht eine Lectüre für die Winterabende gebildeter deutscher Familien. In den weiteren Bänden folgt dann ein reicher Wechsel der verschiedensten größeren wie kleineren Erzählungen. Nicht jeder gerade dieser Leistungen und nicht allen Einzelheiten in jeder derselben vermögen wir unbedingt beizustimmen - eine selbstständig geartete Natur wie Scherr wird immer Manches zeigen, was eben nur als Ausfluß dieser Individualität berechtigt ist. Dennoch aber hat eine wiederholte Prüfung uns jetzt wiederum das Urteil bestätigt, daß dieses „Novellenbuch“ eine durchweg charakteristische und im Ganzen außerordentlich wert- und reizvolle Erscheinung ist. Das Gebotene wirkt meistens durch das eigenthümliche Gepräge der Schilderung, durch den von dem Autor ausstrahlenden Zauber des Colorits, der Ausführung und Auffassung. Auf seinen Wanderungen und Erholungsreisen in das Schweizergebirge, inmitten einer großartigen, meisterhaft von ihm geschilderten Naturscenerie, hat er vielfach die Menschengestalten und Lebensläufe, die Cultur- und Gesellschaftsbilder gefunden, die er mit frischester Lebendigkeit und in stets bedeutsamer Weise vor uns ausrollt. Ergreifende und idyllische Gemälde aus der Abgeschiedenheit des Dorflebens, Geschichten aus der philiströsen Enge der kleinen Städte wechseln da mit weiten Ausblicken in die brausende und glänzende Welt des modernen Bewegens, und aus aller dieser Mannigfaltigkeit der Farben und Gestalten blicken uns in eigenthümlicher poesie- und humorvoller Beleuchtung die ernsten Fragen der Zeit, die großen Probleme des Menschendaseins entgegen. - Die Romane und Novellen Scherr’s haben einen Eroberungszug angetreten; wir glauben, daß ihnen der Sieg nicht fehlen kann.

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Chemisch-physikalische Ueberraschungen. Auf dem letzten Weihnachts- und Neujahrsmarkt tauchten unter andern Neuigkeiten auch sogenannte thermographische Zauberbilder und Neujahrswünsche auf, weiße Blättchen Papier, aus denen sich erst beim Erwärmen Märchenbilder, Scherzfiguren, humoristische Neujahrswünsche etc. farbig entwickeln um mit der Abkühlung - das heißt wenn man die Erhitzung nicht zu weit getrieben hat - ebenso spurlos wieder zu verschwinden und beliebig oft neu hervorgerufen werden zu können. Es ist eine hübsche, wenn auch im Grunde ziemlich alte Ueberraschung, die darauf beruht, das verschiedene, im gewöhnliche Zustande farblose Metallverbindungen beim Austrocknen lebhafte Farben annehmen welche letzteren mit der freiwilligen Feuchtigkeitsaufnahme wieder verschwinden. Daher lassen sich die hervorgerufenen Bilder am schnellsten mit dem Munde „wegblasen“, indem der Hauch die zum Verschwinden nötige Feuchtigkeit hergiebt. Die Bilder, welche Referent gesehen hat, waren mit Chlorkobalt gedruckt, und erschienen deshalb in einem angenehmen Himmelblau, da uns aber andre Kobalt-, Kupfer- und Platin-Verbindungen zu Gebote stehen, die vorübergehend alle möglichen Farben in der Wärme annehmen, so könnten derartige Wärmebilder auch in vielfarbigem Druck hergestellt werden, die einen ungleich schöneren Anblick gewähren würden, z. B. Winterlandschaften, die sich in grüne Sommerlandschaften mit bunten Blumen und lachend blauem Himmel verwandelten. Der Chemiker G. Reisenbichler in Kiel hat kürzlich die Ausbeutung derselben Idee der Papiertechnik empfohlen, z. B. zur Anfertigung von Ofenvorschirmen, die sich erst beim Heizen mit bunten Farben schmücken, von Lampenschirmen u. dergl. Eine sehr sinnreiche Anwendung dieser Kobaltauslösungen läßt bekanntlich Jean Paul im „Siebenkäs“ in Form eines Mene Tekel machen, das einem alten Schurken an die Wand hinter dem eine Themis vorstellenden Ofen geschrieben wird. Noch verführerischer erscheint ein Vorschlag des obengenannten Chemikers zur Herstellung „lichtregulirender Zimmertapeten“, die bei hellem Sonnenschein dunkel und lichtdämpfend, bei trübem Wetter hell und lichtreich erscheinen, mithin das Ideal einer Tapete darstellen würden. Dies ließe sich durch eine mit oxalsaurem Kupferoxid grundirte Tapete mit kleineren hellen Mustern erreichen, denn diese Verbindung färbt sich bei hellem Lichte dunkelbraun und wird im dunklen wieder hell. Nicht übel ist auch ein Vorschlag Reisenbichler’s, freudige Familienanzeigen, Festeinladungen u. dergl. mit einer Druckerschwärze zu drucken, die erst, wenn der Brief an’s Licht gezogen wird, allmählich diesen Namen zu verdienen anfängt, nämlich mit einer Abreibung von Silberchlorid, Pfeifenthon und Leinölfirniß, die sich erst am Lichte schwärzt. Die betreffenden Drucksachen müßten freilich bei Lampenlicht angefertigt und in farbige Couverts gesteckt werden, um dem Empfänger die volle Ueberraschung zu sichern.






Wieder zwei Bilder aus dem italienischen Volksleben, der römische Knabe Bernardino mit den großen dunkeln Augen voll südländischen Feuers, der schon so manchem Künstler als willkommenes Modell gedient, und ein bittendes neapolitanisches Mädchen, eine von den anmutigen Erscheinungen, wie sie nur die prächtige Stadt am Vesuv so zahlreich hervorbringt. Die Bilder stammen aus dem Atelier Nathanael Schmitt’s in Rom und machen der deutschen Kunst jenseits der Alpen alle Ehre. Es ist etwas von dem eigenthümlich melancholischen Reize, der die italienischen Volksgestalten kennzeichnet, in diesen beiden jugendlichen Typen von den Straßen Roms und Neapels. Das Original des „Bittenden Mädchens“ befindet sich im Besitze des Herrn G. Kolle in Berlin, in dessen Verlage auch eine Vervielfältigung durch Farbendruck erschienen ist.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_140.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)