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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

die See glatt. Langsam stieg der Mond herauf und goß helles Licht und tief dunkle Schatten über das Deck. Jochen stand unweit von mir und lehnte träumend an der Regeling.

Nie schweift der Gedanke williger, verlangender in die Heimath zurück, als in der lauen sternklaren Nacht der südlichen Zone; leise rauschend schlagen die Segel lose an den Mast; träumend wiegt sich das Schiff in der leichten Dünung, und vom Bug flüstert das Wasser einschläfernd herauf; da zieht das Bild der Heimath leise vorüber; ich sehe sie sitzen im traulichen Zimmer, die theure Mutter; ihr müdes Auge ist tief auf die Arbeit gesenkt; die wohlbekannte Lampe spendet ihr freundliches Licht. Jetzt sinken die Hände ihr in den Schooß; sinnend blickt sie vor sich hin – denkt sie an mich? –

Plötzlich werde ich aufgestört aus meinem Traum. Heftiges Schnauben und Prusten klingt aus dem Wasser herauf; hellleuchtende Streifen ziehen mit Blitzesschnelle durch die See, bald hier, bald dorthin, bis sie sich endlich unter dem Bug sammeln. Delphine sind’s, eine ganze Heerde, die in der Stille der Nacht ihr geräuschvolles Spiel treiben. Schnell ergreife ich die stets bereite Harpune, des Augenblicks gewärtig, wo einer der flinken Gesellen sich dem Wurfe bietet; da jagen sie weiter heran, ein hellglänzender Fleck im dunklen Wasser. Unter mir ist mein Ziel, und zischend saust der Speer hernieder. Hurrah! das Eisen sitzt. Alles wird munter auf Deck und eilt herbei, den wild um sich schlagenden und widerstrebenden Burschen an Bord zu holen; Hand über Hand wird die Wurfleine eingeholt, und bald liegt er matt an Deck, fett und prall und über sechs Fuß lang, eine willkommene Abwechselung neben dem harten Salzfleisch.

Der Capitain war während der Abendwache an Deck geblieben. Jetzt, da Finisterre feuerklar in Sicht, ging er beruhigt in seine Cajüte. „Peters,“ wandte er sich in der Thür noch einmal um zu dem am Ruder stehenden Obersteuermann, „Peters, achte gut auf dieses Faß mit Regenwasser! Der Junge hat’s mir in den letzten Tagen mühsam gesammelt – ich will morgen früh darin baden.“ Damit verschwand er.

Süßwasser ist an Bord ein seltener Artikel; nur zum Trinken und Kochen wird es in kleinen Rationen täglich vertheilt; zum Waschen und Reinigen des Körpers giebt es nur Salzwasser, und das auf der Haut getrocknete Salz beißt und juckt, wenn nicht mit Süßwasser hin und wieder nachgespült wird. Ein Bad im Regenwasser ist daher eine ersehnte, aber für die Mannschaft nur in den regenreichen Calmen zu erreichende Erfrischung. In anderen Breiten genießt der Capitain sie für Alle.

Peters schielt nach denn Fasse. Es war nicht groß – man konnte nur gerade darin sitzen, aber – Süßwasser zum Baden!“ denkt Peters; „der Alte kann’s ja morgen nicht merken, ob schon Einer darin gesessen, und Einer ist Keiner.“ Die Gelegenheit ist zu verführerisch. Behutsam trägt er das Faß neben das Ruder, denn das darf nicht verlassen werden. Ruck, ruck, fliegen die Kleider vom Leibe, und im nächsten Augenblicke hockt Peters behaglich schnaufend im Fasse, aus dem heraus sein langer Arm das Ruder dreht; hin und wieder nur taucht sein dürrer nackter Leib aus dem dunkeln Fasse auf. Peters sieht nach dem Compasse, ob die „Clara“ noch auf dem Curse liegt. Es ist gar zu schön und wohlig – er sitzt seine Stunde am Ruder im Fasse ab.

Als der Untersteuermann Link unsern Peters ablöst, findet er ihn, unschuldig, als ob gar kein Regenwasser auf der Welt wäre, wie gewöhnlich am Ruder stehend. Mit größter Wichtigkeit übergiebt Peters an Link den zu steuernden Curs und macht ihn ganz zuletzt, als hätte er’s fast vergessen, auf das wieder abseits stehende Faß aufmerksam, das vor dem Umfallen oder Auslaufen sorgfältig zu bewahren sei; der Capitain wolle morgen früh darin baden. Peters geht nach vorn und legt sich stillvergnügt schlafen; Link bleibt am Ruder zurück; er schielt nach denn Fasse. Dasselbe dringende Bedürfniß nach Erfrischung, dieselbe Reflexion – und nach einer Minute regiert auch er das Ruder aus der Regentonne.

Am andern Morgen in aller Frühe erscheint der Capitain auf Deck; die Luft in der dumpfen und stickigen Coje war entsetzlich drückend und heiß gewesen. Da ist solch ein Bad im frischen Regenwasser doch eine herrliche Erquickung! Es sieht zwar etwas dunkel aus, das Wasser, aber das Segel war ja getheert, in dem es aufgefangen wurde, da kann ja das Wasser nicht so ganz klar bleiben. Ah – das erfrischt! „Ha, welche Lust Capitain zu sein!“ singt er vergnügt vor sich hin und steigt als Dritter aus der Tonne.

Wenn der gestrenge Herr geahnt hätte, daß sein Süßwasserbad schon so ausgiebig benutzt worden, es würde wahrscheinlich zu sehr heftigen Erklärungen gekommen sein.




Die Blinde der Tauben.


Der Vögel Zwitschern und ihr süßes Singen
Wird Deinem todten Ohr nicht mehr erklingen,
Doch siehst Du, wenn der Frühling naht, sein Walten,
Wie Knospen dann zu Blumen sich gestalten.

5
Du hörst nicht mehr die Dir vertrauten Töne

Der Sprache, doch Du siehst in seiner Schöne
Der Kinder Antlitz, siehst die kleinen reinen,
Die Kinderaugen wie sie lächeln, weinen.

Der Rede Sinn geht spurlos Dir vorüber,

10
Doch wird Dein heit’rer Blick darum nicht trüber;

Wenn scharf und schneidig harte Worte fallen,
Du ahnst den Inhalt nicht und sie – verhallen.

Du hörst es nicht, wenn ungerechter Tadel
Verunglimpft Deiner Seele reinen Adel;

15
Du hörst es nicht, das unheilvolle Rügen,

Das heuchelnd lobt, wenn fromm die Mienen trügen.

Und hat ein tiefes Weh Dein Herz erschüttert,
Das jede Lebensfreude Dir verbittert,
Dann schaust Du aufwärts, Sonne, Mond und Sterne,

20
Sie leuchten Trost aus ahnungsreicher Ferne.


Und wenn der Schlaf umfängt der Augen Lider,
Du weißt, der Morgenstrahl durchdringt sie wieder
Zu neuem Schaun der schaffenden Gestalten,
Die, Deinem Blick gehorchend, um Dich walten.

25
Ich – bin erblindet, kann nur in mich schauen

Mit meines Geistes Augen – Nacht und Grauen
Ist um mich, und ich sehe nicht die Lieben,
Die Wen’gen, die von Vielen mir geblieben;

Ich sehe nicht der Morgenröthe Leuchten,

30
Seh’ nicht demant’nen Thau die Flur befeuchten,

Seh’ nicht, wie Blumen ihm entgegenbeben,
Durch seinen Kuß geweckt zu neuem Leben.

Ich sehe nicht der Sonne Strahlengluthen,
Nicht Mond, nicht Sterne in der Ströme Fluthen

35
Sich spiegeln, sehe nicht den Tag sich neigen,

Den Morgen nah’n in andachtsvollem Schweigen.

Und will der Schlaf die todten Augen schließen,
Da fühl’ ich bittre Unmuthsthränen fließen,
Und leises Flehen flüstert bang’ die Frage:

40
Ob nimmer mir ein Morgen wieder tage?


„Nein!“ - tönt es durch der Nacht lautlose Stille:
„Erst wenn sie sinkt, der Seele morsche Hülle,
Sinkt Deiner Augen Schleier; neues Leben
Wird Himmelsklarheit dem erlosch’nen geben.“

45
So hör’ ich, ach! die Geisterstimme flüstern,

Und schwärzer noch will sich der Blick umdüstern,
Denn wie er suchen mag, er wird nicht finden
Den Stab – o, schweres Loos der armen Blinden!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_154.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)