Seite:Die Gartenlaube (1877) 156.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

die beiden Grünröcke auf’s Brettchen flüchteten. Sobald sie aber wieder in’s Wasser hüpften, begann das Jagen von Neuem. Lange mühten sich die blutdürstigen Jäger vergeblich ab; das langbeinige Wild entsprang ihnen regelmäßig, wenn sie es schon erhascht zu haben glaubten. Da endlich (war es nun Instinct oder, wie ich annehmen zu müssen glaube, das Resultat einer reiflichen Erwägung der gemachten Erfahrungen, kurz gesagt, Verstand, das die Thiere leitete) änderten sie ihre Taktik. Zwei postirten sich unter dem Brettchen, und die beiden anderen begannen, sobald die Frösche sich im Wasser zeigten, die Treibjagd mit neuen Kräften. Wollten nun die Gehetzten Miene machen, aus dem feuchten Elemente zu entfliehen, so schossen sofort die beiden im Hinterhalte befindlichen Quappen hervor und scheuchten sie zurück. Dieses Manöver wurde so lange wiederholt, bis den beiden Fröschen augenscheinlich die Kräfte ausgingen und sie immer langsamer, immer matter sich bewegten, während die Quappen eine merkwürdige Zähigkeit und Ausdauer in der Verfolgung ihres Zieles zeigten. Noch ein paar schwache, mißlungene Versuche, auf’s Brettchen zu gelangen, ein letztes verzweifeltes Zappeln mit den Beinen - die blutgierigen Verfolger hingen am Halse des einen Frosches und hatten bald seinem Leben ein Ende gemacht, während der andre von mir, da mein Zweck erreicht war und weiter nichts zu beobachten blieb, aus dem Glase genommen und in Freiheit gesetzt wurde, wo er bald sich erholte und froh, der unheimlichen Gesellschaft entronnen zu sein, davonhüpfte.

Dies sind meine Beobachtungen, Beobachtungen, wie sie wohl noch kein anderer gemacht, und sollte vielleicht Jemand Aehnliches bei den Fröschen gesehen haben, so wäre es jedenfalls interessant zu erfahren, unter welchen Bedingungen dies geschehen ist. Ich muß noch einmal bemerken, daß die ganze Zeit über für reichliche Nahrung durch Würmer, Fliegen etc. gesorgt worden war und daß ja auch die Thiere die erste Zeit das ihnen gebotene Futter mit Appetit verzehrten, daß ferner diese Gier nach dem Fleische der eigenen Brüder sich erst zeigte, als die Thiere die Hinterfüße erhalten hatten. Merkwürdig ist noch der Umstand, daß die vier Quappen, als ihnen nun die Möglichkeit genommen war, auch fernerhin durch solchen Mord ihren Hunger zu befriedigen, dennoch keins von den zu ihnen hineingesetzten Thieren anrührten, sondern es vorzogen zu fasten, bis denn eines Morgens drei von ihnen todt auf dem Wasser schwammen; das vierte setzten wir wieder an den Teich, wo es jetzt höchst wahrscheinlich als stattlicher Frosch umherhüpft.

Was den Tod der letzterwähnten drei Quappen anbetrifft, so glaubten einige meiner Bekannten, denen ich diese Geschichte erzählte, daß derselbe durch Ersticken, das heißt dadurch herbeigeführt worden sei, daß ich das Wasser nicht häufig genug durch frisches ersetzt hätte, also Mangel an Sauerstoff in demselben eingetreten sei, wogegen ich bemerke, daß täglich eine sorgfältige Reinigung und Erneuerung des Wassers vorgenommen wurde.

Weiß Jemand dieses sonderbare Benehmen der Thiere zu erklären, so mögen diese Zeilen ihn veranlassen, auch einem weiteren Kreise sein Wissen mitzutheilen und so der Wissenschaft zu nützen, und ich glaube, daß wir noch lange nicht soviel wissen, daß wir nicht auch mit dem kleinsten Betrage zur Erweiterung unserer Kenntnisse auf dem Gebiete der Naturgeschichte zufrieden sein sollten.

C. Grevé.




Blätter und Blüthen.

Bei Hochwürden zu Tische. (Mit Abbildung Seite 145). Welcher Künstler hätte nicht sein Steckenpferd, das er mit Vorliebe reitet! Unser liebenswürdiger Genremaler Ed. Grützner hat, wie bekannt, das Leben der katholischen Geistlichkeit zu der eigentlichen Domäne seines Schaffens gemacht, und wir haben nicht verabsäumt, unsern Lesern manches dieser lebensvollen Gemälde zu reproduciren. Was die Grützner’schen Leistungen vor andern dieses Genres vortheilhaft auszeichnet, das ist im Gegensatze zu der absichtsvollen Satire in den Situationsbildern anderer Meister, denen der katholische Clerus hat Modell stehen müssen, eine gewisse harmlose Lebensfröhlichkeit, welche die Herren Caplane und Mönche bei den unschuldigen Freuden der Tafel und des Kellers aussucht und den poetisch angehauchten Darstellungen nur hier und da einen leisen Zug schelmisch lächelnder Ironie beimischt. Es ist eben nicht die mit Knütteln dreinschlagende Polemik eines polternden Pfaffenfressers, welche uns in den Grützner’schen Bildern entgegentritt, es ist ein in Linien und Farben sich gewissermaßen verstohlen aussprechender, ungemein feiner Sarkasmus, der ebenso wohl eine seltene psychologische Scharfsichtigkeit in den Details, wie den glücklichen Griff in der beziehungsvollen Wahl des Stoffes und dessen charakteristischer Gestaltung verräth. - Unser heutiges Bild, Grützner’s „Bei Hochwürden zu Tische“, spricht für ach selbst: Die hohe Geistlichkeit in lustiger Gesellschaft recht weltlich beim perlenden Rheinwein - und da ist sie ja auch, Hochwürdens jugendliche „Verwandte“, die unvermeidliche apostolische „Nichte“. Die Situation zeigt Leben in jeder Linie. Und wer könnte sie hier verkennen, die feine Ironie? Sie ist nicht vom Meister künstlich hineingelegt in sein Werk, sie ergiebt sich, Jedem greifbar, frei und ungezwungen aus der Situation selbst. Keiner von den vielen Hochwürden wird dem ewig heitern Grützner dieses Bildes wegen zürnen.


Unter dem Krummstab. Der zweite Theil der epischen Dichtung „Eine Römerfahrt“ von Johannes Nordmann ist unter dem vorstehenden Separattitel soeben erschienen und wird nicht verfehlen gleich seinem Vorgänger „Der Bauernkrieg in Oberösterreich“, Aufsehen zu machen. Er behandelt gleich diesem ein düsteres Thema, das alte Lied von dem Kampfe zwischen Finsterniß und Licht, von der Vergewaltigung der Vernunft und dem temporären Siege der fanatischen Dummheit. Auf seiner Fahrt nach Rom ist der Poet in das schöne Salzkammergut gelangt und rastet in St. Peter’s kühlem Keller, wo er sich beim Weine Kraft holt, die Schläfer auf dem alten Friedhofe gleich daneben zum Kreuzverhör zu citiren. In langen Geisterreihen stehlen sie sich der Beschwörung, unter ihnen der Schemen des Abtes Johannes von Staupitz, des Lutherfreundes, der ihm in wechselvollen Bildern den Glaubenskampf der Bauern schildert. Und diese Bilder nun entrollt der Dichter in aufgefrischten Farben vor den Augen der Mitwelt, die der Zeiten, aus denen sie stammen, leider fast vergessen hat. Kaleidoskopisch ziehen sie an uns vorüber in stetem Wechsel; der Faden, an welchen sie gereiht sind, hindert nicht den Sprung zur Seite, vorwärts und zurück, die Landschaft bietet nicht blos Gelegenheit zu schwungvollen Naturschilderungen, sondern auch hundert Anknüpfungspunkte für die Herbeiziehung von Menschen und Dingen. Den Mittelpunkt des Epos bildet die Vertreibung von dreißigtausend Protestanten aus dem Lande Salzburg unter dem fanatischen Erzbischofe Firmian im Jahre 1731. Die Gräuel, welche diese braven Leute um ihres Glaubens willen erdulden mußten sind vom Dichter mit glühendem Griffel geschildert; man fühlt, wie die poetische Gerechtigkeit einen Ausbruch sucht gegenüber solchem grausamen und thörichten Zelotenthum. Es klingt heute noch rührend und zum Mitweinen, das wehmüthige Wanderlied:

„Ich bin ein armer Exulant -
Also thu’ ich mich schreiben.
Man thut mich aus dem Vaterland
Um Gottes Wort vertreiben“

welches Nordmann geschickt im sein zürnendes Poem eingeflochten hat. Wäre bei der prächtigen Schilderung der Ausnahme, die den Vertriebenen in Deutschland geworden, nicht eine Erinnerung an „Hermann und Dorothea“ gerechtfertigt gewesen? Die Brücke zum nächsten Sange, welcher hoffentlich recht bald erscheinen wird, findet der Dichter in einer Apotheose des Walther von der Vogelweide, wobei es ihm mit Recht als eine Art Satyrspiel erscheint, daß aus dem Lande der Finsternis, Tirol, die Auferstehungslieder dieses gottbegnadeten deutschen Sängers klingen. Neben dem gedankenvollen Inhalte der Dichtung muß der Meisterschaft gedacht werden mit welcher der Verfasser die Sprache behandelt. Er hat das schwierige Versmaß der ottave rime gewählt, handhabt dasselbe aber trotz Ariost und Tasso; wenn ihm auch manchmal gewagte Neubildungen aushelfen müssen und hier und dort ein etwas wunderlicher Reim mit unterläuft, so will doch das wenig bedeuten gegenüber dem sonst unerschöpflichen Reichthum seiner Vorräthe. In dieser Beziehung muß das Epos ein bemerkenswerthes Kunstwerk genannt werden. Die eingeschalteten Balladen wirken erfolgreich als Ruhestationen, wie auch durch ihren Eigenwerth. Kurz, es darf das Nordmann’sche Gedicht allen Freunden einer tiefsinnig poetischen Lectüre und tüchtigen Gesinnung als eine beachtenswerthe Zeiterscheinung bestens empfohlen werden.


Bei Drucklegung des Artikel „Der Mann der Gegenwart (vorige Nummer) war weder dem Verfasser desselben noch uns bekannt daß Paul Lindau, wie inzwischen verlautet, eine Revue „Nord und Süd“ begründen und als kritisch-ästhetisches Blatt neben seinem „Gegenwart“ redigiren wird. Die Ueberschrift unseres Artikels dürfte somit bald nicht mehr ganz zutreffen.

D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_156.jpg&oldid=- (Version vom 21.7.2023)