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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Wie klein und arm das Kirchlein hanget
Am Felsgezack! Doch birgt es nicht,
Was einzig durch das Dunkel pranget,
Am Heil’genschrein ein ewig Licht?
     Im Glockenklang und Lampenscheine
     Begrüßt das Herz die Hehre, Reine:
          Ave Maria!

Ein jedes Herz hat seine Weise,
Wie es die Blüthen und die Frucht
Auf unsrer Erdenpilgerreise
Im Glauben und im Lieben sucht.
     Wem wohl das Herz bei seiner Weise,
     Dem klingt wie Himmelsgruß das leise
          Ave Maria!

Fr. Hfm.


Weltschrift und Weltsprache.
Von Carus Sterne.
I.

Zu den nachdenklichsten Mythen der Bibel gehört ohne Zweifel diejenige von der Sprachzerstreuung beim Thurmbaue zu Babylon, welche übrigens nach den neueren Forschungen der Assyriologen ihren Ursprung nicht der jüdischen Poesie, sondern derjenigen eines im alten Babylon ansässigen turanischen Volkes verdankt, von dem das älteste ausgebildete Schriftsystem, die Keilschrift, herrührt. Die Thurmbaumythe wollte dem kindlichen Verstande die auffallende und zu Zweifeln anregende Thatsache erklären, weshalb nicht alle Kinder Adam’s Adam’s Sprache sprechen, sondern in mehr als dreitausend verschiedenen Mundarten durcheinander wälschen.

Man hat in frühern Zeiten viel nach der Sprache Adam’s, der Ursprache, geforscht, und einige Gelehrte haben sie sogar in noch lebenden Sprachen zu erkennen geglaubt. So meinte der alte ebenso phantastische, wie gelehrte Rudbeck unzweifelhaft gefunden zu haben, daß man im Paradiese schwedisch gesprochen, und Becanus meinte sogar, die Schlange habe, als sie die Eva verführte, sich der treuherzigen Sprache Onkel Bräsig’s bedient und plattdeutsch gesprochen. Einige besonders tiefsinnige Forscher haben Reste der allgemeinen Ursprache in jenen fast auf der ganzen Erde übereinstimmend klingenden ersten Lautäußerungen der Kinder, in den Worten Papa und Mama erkennen wollen, aber Buschmann hat den Grund dieser Uebereinstimmung einfacher in dem Umstande gefunden, daß diese beiden Wortbildungen dem ersten Stammeln der Lippen entsprechen, weshalb auch die Uebereinstimmung keine durchgreifende ist, sofern in manchen Ländern der Vater Mama und die Mutter Papa titulirt werden.

Gegenüber den ältern Nachforschungen nach einer Ursprache, aus der alle spätern Sprachen hervorgegangen sein sollten, wie die Mehrzahl der lebenden und todten Sprachen Europas aus dem Sanskrit, ist die neuere Sprachforschung zu dem Schlusse gekommen, daß die Zerstreuung des Menschengeschlechtes über den Erdball wahrscheinlich schon vor den ersten Fortschritten der Sprachbildung geschehen sein müsse, da nicht wenige derselben gar keine Spur von Verwandtschaft zeigen, sodaß man eben genöthigt ist, an einen grundverschiedenen, selbstständigen Aufbau derselben zu denken.

Anders war es mit den Anfängen der Schrift, die in der That an den verschiedensten Orten einen allgemein verständlichen, internationalen Charakter aufwiesen, sofern man zur Bezeichnung der Dinge leichtverständliche Sachbilder anwendete, wodurch es uns möglich ist, alte Bildschriften sowohl der Skandinavier wie der Indianerstämme Nordamerikas mit ziemlicher Sicherheit zu lesen, ohne daß wir ihre Sprache zu kennen brauchen und ebenso besaßen die chinesischen und ägyptischen Wortbilder, so lange sie noch nicht zu einem bloßen Schema geworden waren, eine allgemeinere Verständlichkeit. Die chinesische Schrift wird noch heute von zahlreichen mongolischen Stämmen verstanden, die eine sehr verschieden klingende Sprache reden. In dieser Beziehung waren die Bilderschriften weit gemeinverständlicher, als die Laut- und Buchstabenschriften, und es ist merkwürdig, daß wir die Ausbildung und Einführung der letztern gerade dem unter den Nationen des Alterthums am meisten vermittelnden Volke, den handeltreibenden Phöniciern verdanken, die doch am stärksten hätten den Wunsch empfinden müssen, wenn nicht eine Weltsprache, so doch wenigstens eine Weltschrift heranzubilden. Sie hätten dann den modernen Phöniciern, den Engländern, die Mühe erspart, für die Seeleute aller Nationen eine Weltschrift und Sprache mühsam wieder zu erfinden. Immerhin müssen wir ihnen danken für die internationale Buchstabenschrift, die uns wenigstens das Mittel an die Hand giebt, den verschiedenen Klang der Sprache annähernd darzustellen.

Daß es schöner wäre, wenn die Menschen auf dem ganzen Erdball in derselben Zunge redeten, daß damit dem biblischen Gedanken: ein Hirt und eine Heerde, bedeutend der Weg geebnet sein würde, leidet so wenig einen Zweifel, daß wir den unendlichen Mühen, die auf die Anbahnung einer Universalsprache gerichtet worden sind, nicht ohne Theilnahme zuschauen können. Nach einander haben die griechische, lateinische, arabische, spanische, französische und englische Sprache den Ansatz genommen, Weltsprachen zu werden, und ohne Zweifel hat die englische Sprache, sowohl aus äußern politischen, wie aus innern grammatikalischen Gründen, die meisten Aussichten für sich. Seit Leibniz diesen Plan einer neuzubildenden Universalsprache fester in’s Auge faßte, ist er von zahlreichen, einsamen Denkern immer wieder und wieder aufgenommen worden, und besonders seit einigen Jahren treten fortwährend neue Vorschläge dazu an die Oeffentlichkeit. Die richtige Grundidee für eine solche besteht darin, der Sprache allen überflüssigen Zierrath und alle Unregelmäßigkeit zu nehmen, beispielsweise die im Artikel ausgedrückten Geschlechtsunterschiede von Dingen, die, wie der Tisch und die Bank, doch kein Geschlecht haben, über Bord zu werfen, was die Engländer bereits gethan haben, ferner die Declination nur im Artikel auszudrücken, und alle Unregelmäßigkeiten bei der Conjugation der Zeitwörter, der Steigerung der Eigenschaftswörter etc. auszumerzen, sodaß eine Sprache entstände, die Jeder in kürzester Frist erlernen könnte. Von dieser Grundidee, eine Elementarsprache zu schaffen, wie sie schon sonst Kinder und Wilde anwenden, ist unter andern Lichtenstein in seiner Pasilogie (1859) ausgegangen, und zwar muß bei ihm das Deutsche als Grundlage für die Universalsprache dienen. Ein alter französischer Gelehrter Letellier in Caën hat soeben ähnliche Experimente mit einem französischen Gerippe angestellt, außerdem aber eine Universalschrift erfunden, welche fast wie die chemische Zeichenschrift aussieht, und nur mittelst eines internationalen Schlüssels lesbar wird.

Die letztere Idee, welche keine Universalsprache schaffen will, sondern nur eine allgemeine Verständigung aller Völker der Erde unter einander, und ohne daß eins die Sprache des andern zu erlernen braucht, anstrebt, ist am weitesten durch einen deutschen Gelehrten, Dr. Bachmaier, geführt worden. Seine Schrift besteht aus Zahlen, die für die Worte und Begriffe gesetzt werden. Er nimmt an, daß für alle Vorkommnisse des praktischen Lebens in runder Summe etwa viertausend Worte genügen, und arbeitete deshalb ein Lexikon aus, in welchem neben jeder Zahl von 1 bis 4000 ein anderes Wort steht, und in den Ausgaben der verschiedenen Völker den gleichen Zahlen die entsprechenden Ausdrücke hinzu gefügt werden. Wenn nun für jede Sprache der Welt ein derartiges Lexikon gearbeitet würde, im ersten Theile mit alphabetischer Anordnung der Vokabeln, im zweiten nach der Zahlenreihe, so ist klar, daß mit Hülfe zweier derartiger Bücher, die nur ein Taschenformat haben würden, zwei Menschen, die ihre gegenseitige Sprache zum ersten Male vernehmen, dennoch mit einander verkehren könnten, indem dieselben Zahlen bei allen das gleiche Wort oder den gleichen Begriff bezeichnen. Um Masculinum und Femininum, Substantiv und Adjectiv, Zeitform und Declinationsform, sowie andere grammatikalische Veränderungen anzudeuten fügt Dr. Bachmaier den Zahlen gewisse einfache Nebenzeichen hinzu. Drei solcher Wörterbücher (französisch, englisch, deutsch) hatte der mit weiteren Ausgaben beschäftigte Gelehrte 1875 auf dem Orientalisten-Congreß in Oxford ausgestellt, wo sie natürlich das lebhafteste Interesse erregten. Für die Begegnung fremder Nationen im Kriege wären solche internationalen Wörterbücher fast noch wichtiger, als für den Handel.

Es wird gewiß manchem unsrer Leser neu sein, daß ein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_162.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)